Die größte Werbeshow der Welt
Computerspielmesse. Die Branchenmesse E3, bedeutendstes Event der Gaming-Industrie, ging heuer rein virtuell über die Bühne. Fan- und Konzernkultur fallen hier fröhlich in eins.
Alle Welt blickt auf die EM. Doch man muss den zweiten Buchstaben des Fußballkürzels nur im Uhrzeigersinn drehen, schon hat man den Titel einer Großveranstaltung vor Augen, die sich heuer mit dem Sportereignis überschneidet – und ebenfalls ein Massenpublikum erreicht: jenen der Videospielmesse E3. Seit 1995 findet die „Electronic Entertainment Expo“in Los Angeles statt (in der Abkürzung E3 meint die Drei den Exponenten, das E die Basis). Nach stotternden Anfängen konnte sie sich als bedeutender Branchenkonvent etablieren. Inzwischen gibt es an ihr kein Vorbeikommen: Alles, was im Gaming Rang und Namen hat, nimmt teil. Allen voran die großen „Publisher“(sprich: Spieleunternehmen), die hier jährlich ihre neueste Produktpalette präsentieren – seit 2017 unter direktem Einschluss der Öffentlichkeit.
Freude auf das Warten auf das Warten
Nach einer Absage 2020 fand die E3 diesmal rein virtuell statt. Auf YouTube und diversen anderen Onlinekanälen konnte man live und kostenfrei zuschauen. Nebst Ausblicken auf die prominentesten Veröffentlichungen der nahen (und nicht ganz so nahen) Zukunft gewährte sie auch Einblicke in die Kultur, die viele Games umgibt – und nicht allen zusagt. Wer Videospiele als Ausdrucks- und Unterhaltungsform schätzt und auf ihre Aufwertung pocht, wird hier regelmäßig mit blanker Kommerzialisierung konfrontiert. Selbst einem Theodor W. Adorno wäre angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der bei der E3 Fan- und Konzerninteressen verschmelzen, die Spucke weggeblieben. Im Kern handelt es sich um eine gigantische Werbeshow, in der das Warten auf das Warten zelebriert wird. Höhepunkt der mehrtägigen Messe sind Offenbarungen neuer Trailer und Starttermine für kommende Spiele, deren anschließende (Online-)Diskussion kräftig die Hype-Trommeln rührt.
Dieser Marketingcharakter trat heuer noch stärker zutage. Die menschliche Komponente des Events wurde im Netz reduziert. Übrig blieb eine Clip-Revue, eine digitale Promo-Infusion. Hinter dem Spektakel läuft ein harter Wettbewerb um Konsumenten. Microsoft sagte Konsolenplatzhirsch Sony (Playstation) mit einer regelrechten Titellawine für die Xbox den Kampf an. Im
März kaufte der Techgigant den renommierten Entwickler Bethesda. Dieser kündigte für 2022 das Weltraumrollenspiel „Starfield“an. Der japanische Hersteller Square Enix führte indes eine Adaption des Marvel-Kassenschlagers „Guardians of the Galaxy“ins Feld. Synergien zwischen Kino und Gaming sind keine Seltenheit: Die Franzosen von Ubisoft zeigten Ausschnitte aus einem „Avatar“-Spiel auf Basis des Sci-Fi-Blockbusters von James Cameron, an dessen Fortsetzungen seit gefühlter Ewigkeit getüftelt wird. Weniger naheliegend: Der Sprung von Andrei Tarkowskis poetisch-philosophischem Klassiker „Stalker“zu „S.T.A.L.K.E.R. 2“, einem apokalyptischen Ballerabenteuer des ukrainischen Studios GSC Game World.
Dass Gaming ein Wachstumsmarkt ist, muss heute nicht mehr betont werden. Die Pandemie hat ihn nur befeuert, wobei die E3 nur die Spitze des Eisbergs abbildet. So sind In-Game-Käufe (Mikrozahlungen für Spielvorteile) längst ein beachtlicher Umsatzfaktor. Auch von Abosystemen wie dem Microsoft Game Pass (oft als Netflix für Spiele bezeichnet) versprechen sich die Großanbieter viel – nicht zuletzt Kundenbindung.
„Cloud Gaming“, bei dem Hardware zur Nebensache wird, weil Spiele direkt übers Internet gestreamt werden, steckt derweil noch in den Kinderschuhen. Was im Goldrausch untergeht, sind die Schattenseiten der Spielewelt – etwa ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder jüngere Skandale rund um sexuellen Missbrauch.