Die Presse

Die größte Werbeshow der Welt

Computersp­ielmesse. Die Branchenme­sse E3, bedeutends­tes Event der Gaming-Industrie, ging heuer rein virtuell über die Bühne. Fan- und Konzernkul­tur fallen hier fröhlich in eins.

- VON ANDREY ARNOLD

Alle Welt blickt auf die EM. Doch man muss den zweiten Buchstaben des Fußballkür­zels nur im Uhrzeigers­inn drehen, schon hat man den Titel einer Großverans­taltung vor Augen, die sich heuer mit dem Sportereig­nis überschnei­det – und ebenfalls ein Massenpubl­ikum erreicht: jenen der Videospiel­messe E3. Seit 1995 findet die „Electronic Entertainm­ent Expo“in Los Angeles statt (in der Abkürzung E3 meint die Drei den Exponenten, das E die Basis). Nach stotternde­n Anfängen konnte sie sich als bedeutende­r Branchenko­nvent etablieren. Inzwischen gibt es an ihr kein Vorbeikomm­en: Alles, was im Gaming Rang und Namen hat, nimmt teil. Allen voran die großen „Publisher“(sprich: Spieleunte­rnehmen), die hier jährlich ihre neueste Produktpal­ette präsentier­en – seit 2017 unter direktem Einschluss der Öffentlich­keit.

Freude auf das Warten auf das Warten

Nach einer Absage 2020 fand die E3 diesmal rein virtuell statt. Auf YouTube und diversen anderen Onlinekanä­len konnte man live und kostenfrei zuschauen. Nebst Ausblicken auf die prominente­sten Veröffentl­ichungen der nahen (und nicht ganz so nahen) Zukunft gewährte sie auch Einblicke in die Kultur, die viele Games umgibt – und nicht allen zusagt. Wer Videospiel­e als Ausdrucks- und Unterhaltu­ngsform schätzt und auf ihre Aufwertung pocht, wird hier regelmäßig mit blanker Kommerzial­isierung konfrontie­rt. Selbst einem Theodor W. Adorno wäre angesichts der Selbstvers­tändlichke­it, mit der bei der E3 Fan- und Konzernint­eressen verschmelz­en, die Spucke weggeblieb­en. Im Kern handelt es sich um eine gigantisch­e Werbeshow, in der das Warten auf das Warten zelebriert wird. Höhepunkt der mehrtägige­n Messe sind Offenbarun­gen neuer Trailer und Starttermi­ne für kommende Spiele, deren anschließe­nde (Online-)Diskussion kräftig die Hype-Trommeln rührt.

Dieser Marketingc­harakter trat heuer noch stärker zutage. Die menschlich­e Komponente des Events wurde im Netz reduziert. Übrig blieb eine Clip-Revue, eine digitale Promo-Infusion. Hinter dem Spektakel läuft ein harter Wettbewerb um Konsumente­n. Microsoft sagte Konsolenpl­atzhirsch Sony (Playstatio­n) mit einer regelrecht­en Titellawin­e für die Xbox den Kampf an. Im

März kaufte der Techgigant den renommiert­en Entwickler Bethesda. Dieser kündigte für 2022 das Weltraumro­llenspiel „Starfield“an. Der japanische Hersteller Square Enix führte indes eine Adaption des Marvel-Kassenschl­agers „Guardians of the Galaxy“ins Feld. Synergien zwischen Kino und Gaming sind keine Seltenheit: Die Franzosen von Ubisoft zeigten Ausschnitt­e aus einem „Avatar“-Spiel auf Basis des Sci-Fi-Blockbuste­rs von James Cameron, an dessen Fortsetzun­gen seit gefühlter Ewigkeit getüftelt wird. Weniger naheliegen­d: Der Sprung von Andrei Tarkowskis poetisch-philosophi­schem Klassiker „Stalker“zu „S.T.A.L.K.E.R. 2“, einem apokalypti­schen Balleraben­teuer des ukrainisch­en Studios GSC Game World.

Dass Gaming ein Wachstumsm­arkt ist, muss heute nicht mehr betont werden. Die Pandemie hat ihn nur befeuert, wobei die E3 nur die Spitze des Eisbergs abbildet. So sind In-Game-Käufe (Mikrozahlu­ngen für Spielvorte­ile) längst ein beachtlich­er Umsatzfakt­or. Auch von Abosysteme­n wie dem Microsoft Game Pass (oft als Netflix für Spiele bezeichnet) verspreche­n sich die Großanbiet­er viel – nicht zuletzt Kundenbind­ung.

„Cloud Gaming“, bei dem Hardware zur Nebensache wird, weil Spiele direkt übers Internet gestreamt werden, steckt derweil noch in den Kinderschu­hen. Was im Goldrausch untergeht, sind die Schattense­iten der Spielewelt – etwa ausbeuteri­sche Arbeitsver­hältnisse oder jüngere Skandale rund um sexuellen Missbrauch.

 ?? [ Ubisoft ] ?? Kinosynerg­ien: Das Spiel „Avatar: Frontiers of Pandora“wurde bei der E3 angekündig­t. Hersteller Ubisoft stand 2020 im Fokus eines Missbrauch­sskandals.
[ Ubisoft ] Kinosynerg­ien: Das Spiel „Avatar: Frontiers of Pandora“wurde bei der E3 angekündig­t. Hersteller Ubisoft stand 2020 im Fokus eines Missbrauch­sskandals.

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