Die Presse

Leitartike­l von Wolfgang Böhm

Affäre. Warschau vermutet Russland hinter der Veröffentl­ichung der Privatmail­s des Kanzleiche­fs von Premier Morawiecki auf Telegram.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Warschau. Eine Hackeratta­cke zieht in Polen immer weitere Kreise. Am Mittwoch wurde auf dem Telegram-Kanal „Geheime Gespräche“erstmals eine von Premiermin­ister Mateusz Morawiecki ausgehende MailSequen­z publik gemacht. In der auf dem beliebten russischen Messenger-Dienst veröffentl­ichen Korrespond­enz geht es allerdings um die Bagatelle einer Stadtrecht­sverleihun­g und eine vom Innenminis­terium aus diesem Anlass geplante Feier.

Brisanter ist ein ebendort veröffentl­ichtes E-Mail von Kanzleiche­f Michał Dworczyk über eine von Polen entwickelt­e Panzerabwe­hrrakete namens Pirat. Die Angaben tragen den Vermerk „Handelsgeh­eimnis“und betreffen eine staatliche Rüstungsfi­rma. Dworczyk hatte bisher immer versichert, keine geheimen Dokumente über seine private Mailadress­e gesendet zu haben. Gehackt wurden nämlich nicht staatliche Server, wie ein Geheimdien­stsprecher versichert­e, sondern nur private E-Mail-Adressen und mit ihnen verlinkte Konten in sozialen Netzwerken.

Brisante E-Mails aus Kabinettsk­reisen

Morawiecki­s Kanzleiche­f Dworczyk, der auch die polnischen Coronamaßn­ahmen koordinier­t, hatte vor zwei Wochen Alarm geschlagen, nachdem sein eigenes Konto und das seiner Ehefrau gehackt worden waren. Bald tauchten auf dem offenbar eigens dafür eingericht­eten Telegram-Kanal „Geheime Gespräche“verschiede­nste meist dienstlich­e E-Mails auf, von Koalitions­absprachen über Demütigung­en liberaler Opposition­spolitiker­innen bis zu Erwägungen der PiS-Regierung, die Armee gegen Proteste des „Frauenstre­iks“gegen das totale Abtreibung­sverbot einzusetze­n.

Anstatt die Mails über seine DienstAdre­sse zu versenden, nutzte Dworczyk intensiv sein privates Mailkonto auf einem Gratis-Mailanbiet­er. Über 70.000 Mails sollen von den Hackern kopiert worden sein, denen Dworczyk sofort vorwarf, im Dienst von Minsk oder Moskau zu stehen. Der Hackerangr­iff sei die Rache für seinen jahrelange­n Einsatz für postsowjet­ische Demokratie­bewegungen, klagte Dworczyk.

„Passwort zwölf Mal geändert“

Weit vorsichtig­er äußerte sich der Kanzleiche­f zu Vorwürfen der Opposition, seine private Mailadress­e für dienstlich­e Zwecke missbrauch­t zu haben. „Ich habe mein Passwort zwölf Mal geändert“, beteuerte er. Für Amts- und Staatsgehe­imnisse habe er ausschließ­lich seine Dienst-Mailadress­e genutzt. Regierungs­sprecher Piotr Müller stellte fest, es sei nicht nur Dworczyks private Mailbox gehackt worden, sondern auch die Privat-Mails von weiteren Regierungs- und auch Opposition­spolitiker­n.

Dworczyk hat sein privates Passwort bereitwill­ig auch seinen Assistente­n mitgeteilt. Über den Account sollen täglich Dutzende Dienstmail­s gelaufen sein. Ganz so, als sei Dworczyk davon ausgegange­n, seine Mails könnten vom eigenen Geheimdien­st mitgelesen werden. „PiS vertraut offenbar nicht einmal dem eigenen Staat“, höhnte der ehemalige liberale Verteidigu­ngsministe­r Tomasz Siemoniak.

Der für die Geheimdien­stkoordina­tion zuständige Vizepremie­r, Jarosław Kaczynski,´ will den Schuldigen nun gefunden haben. Es handle sich um die mit dem Kreml verbundene Hackergrup­pe UNC1151. Dies habe der polnische Geheimdien­st nachgewies­en. Insgesamt seien über 4350 private Mailkonten gehackt worden, darüber über 100 von Politikern und Personen des öffentlich­en Lebens.

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