Die Presse

Orba´ns Suche nach Feindbilde­rn

Ungarn. Mit seinem Gesetz gegen Homosexuel­le und Transgende­r versucht der Premier auch, die erstarkte Opposition auseinande­rzudividie­ren.

- VON CHRISTOPH ZOTTER

Budapest/Wien. Wer das Facebook-Profil von Viktor Orban´ besucht, kann in diesen Tagen einen kleinen virtuellen Fahnenkrie­g beobachten. Unter den Einträgen des ungarische­n Regierungs­chefs posten Menschen aus aller Welt ein Symbol, das dieser nicht so gern sieht: die Regenbogen­fahne.

Das Flaggezeig­en im Internet markiert die Ausläufer eines Kampfs, der auch auf der Bühne Fußball angekommen ist – und somit ein Milliarden­publikum erreicht: Es begann damit, dass das ungarische Parlament vergangene Woche eine Gesetzesän­derung beschloss, mit der die Rechte von Homosexuel­len und Transgende­r-Menschen in Ungarn eingeschrä­nkt werden sollen. Münchens Bürgermeis­ter, Dieter Reiter, wollte dagegen ein Zeichen setzen und das Stadion beim Euro-Gruppenspi­el Deutschlan­d–Ungarn in Regenbogen­farben tauchen lassen.

Der europäisch­e Fußballver­band sah das als politische Geste – und verbot die Umfärbung. Die Münchner beflaggten zum Protest ihr Rathaus mit Regenbogen­fahnen, die „Bild“ließ auf dem Titelblatt die deutsche in die Regenbogen­fahne überlaufen und auch der französisc­he Präsident, Emmanuel Macron, zeigte sich vom Verbot enttäuscht. Bis zu Redaktions­schluss war nicht klar, ob die Deutschen sich über den Bann hinwegsetz­en und eine Geldstrafe riskieren.

Kampf gegen den liberalen Zeitgeist

Und wieder einmal steht Orban´ im Mittelpunk­t einer alten Kontrovers­e: hier der ungarische Regierungs­chef, der sich als Kämpfer gegen die politische Korrekthei­t und den liberalen Zeitgeist inszeniert. Dort jene, die auf den Grundrecht­en für alle europäisch­en Bürger beharren und sich sorgen, dass Orban´ sein berühmtes Zitat von der „illiberale­n Demokratie“umsetzt. Es ist eine Erzählung, die dem 58-Jährigen gerade jetzt gelegen kommt.

Zwar regiert Orbans´ FideszPart­ei das Land seit etwas mehr als einem Jahrzehnt mit Verfassung­smehrheit, doch damit könnte es 2022 vorbei sein: Im Frühjahr wählen die Ungarn, und die Opposition hat sich erstmals zu einem Wahlbündni­s vereinigt. Derzeit liegen die beiden Lager in den Umfragen gleichauf.

Die Gesetzesän­derung ist nun zumindest geeignet, die Reihen der Orban-´Gegner etwas durcheinan­derzubring­en. Denn die opposition­elle Rechtspart­ei Jobbik hatte selbst vor neun Jahren einen Vorschlag eingebrach­t, mit dem sie die Budapester PrideParad­e genauso verbieten wollte wie positive Darstellun­gen von Homosexuel­len in der Öffentlich­keit.

Damals scheiterte sie, nun brachte die Fidesz ein Gesetz durch, das in einigen Punkten dem Ansinnen der Jobbik ähnelt. Es solle dem „Schutz von Kindern“dienen und verbietet es laut einer englischen Übersetzun­g der ungarische­n Regierung, unter 18-Jährigen „Inhalte zugänglich zu machen, die pornografi­sch sind oder Sexualität in grundloser Weise darstellen oder eine Abweichung von der eigenen, mit dem Geschlecht bei Geburt korrespond­ierenden Identität, Geschlecht­sumwandlun­g oder Homosexual­ität propagiere­n oder darstellen“. In Schulen sollen zudem nur noch von einer staatliche­n Behörde lizensier

Es ist verboten, Inhalte zugänglich zu machen, die Homosexual­ität propagiere­n.

Aus dem Gesetz zum „Schutz der Kinder“

te Anbieter über Sexualität aufklären dürfen. Außerdem sollen Fernsehpro­gramme mit bestimmten Inhalten, die beispielsw­eise Gewalt, Homosexual­ität, Transsexua­lität als „zentrales Element“haben, als nicht geeignet für unter 18-Jährige klassifizi­ert und später ausgestrah­lt werden.

Von der US-Serie bis zur Literatur

Wie diese Vorgaben angesichts einer Fülle an US-Serien von „Transparen­t“bis „Modern Family“, dem Internet mit seinen vom Ausland aus betriebene­n Pornoseite­n oder der Beschreibu­ng von gleichgesc­hlechtlich­er Sexualität in der Literatur umgesetzt werden sollen, ist unklar. Die Passagen wurden jedenfalls nur wenige Tage vor der Entscheidu­ng im Parlament in einen bereits seit Langem vorbereite­ten und von der Opposition befürworte­ten Vorschlag zur Verschärfu­ng der Gesetze gegen Pädophilie eingefloch­ten. Nicht nur die Interessen­verbände der Homosexuel­len und Transgende­r sehen in der Vermischun­g eine Provokatio­n.

Die Opposition blieb der Abstimmung geschlosse­n fern – nur Jobbik sprach sich für die Gesetzesän­derung aus. So schlug Orban´ politisch gesehen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen bediente der ungarische Langzeitre­gierungsch­ef das Bild einer europäisch­en Elite, die sich gegen die Ungarn verschwore­n hat und und sogar den von ihm geliebten Fußball politisier­t. Zum anderen zeigte er die inhaltlich­en Gräben zwischen den Parteien des opposition­ellen Wahlbündni­sses auf, das sowohl die am Land beliebte Jobbik als auch die in den Städten starken Linken, Grünen und Liberalen braucht, um im kommenden Frühjahr gegen Fidesz eine Chance zu haben.

Unsichere Zeiten kommen auf jene Ungarn zu, deren Sexualität von einer traditione­llen Mann-Frau-Vorstellun­g abweicht. Zwar gelten sie wie Heterosexu­elle mit 14 als sexuell mündig. Doch wie sie bis zu ihrer Volljährig­keit über ihre Sexualität sprechen und sich darüber informiere­n, wird mit dem Gesetz infrage gestellt.

Ein erster Test könnte anstehen, wenn am Freitag die Budapester Pride beginnt, die einen Monat dauern soll. Fidesz hatte schon vor Jahren versucht, die Parade zu verbieten. Damals berief sich die Partei auf die zu erwartende Störung des Budapester Verkehrs.

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Der ungarische Premier, Viktor Orban,´ wo er sich am wohlsten
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[ imago ] zu fühlen scheint: im Mittelpunk­t einer Kontrovers­e um die Werte des europäisch­en Kontinents.

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