Orba´ns Suche nach Feindbildern
Ungarn. Mit seinem Gesetz gegen Homosexuelle und Transgender versucht der Premier auch, die erstarkte Opposition auseinanderzudividieren.
Budapest/Wien. Wer das Facebook-Profil von Viktor Orban´ besucht, kann in diesen Tagen einen kleinen virtuellen Fahnenkrieg beobachten. Unter den Einträgen des ungarischen Regierungschefs posten Menschen aus aller Welt ein Symbol, das dieser nicht so gern sieht: die Regenbogenfahne.
Das Flaggezeigen im Internet markiert die Ausläufer eines Kampfs, der auch auf der Bühne Fußball angekommen ist – und somit ein Milliardenpublikum erreicht: Es begann damit, dass das ungarische Parlament vergangene Woche eine Gesetzesänderung beschloss, mit der die Rechte von Homosexuellen und Transgender-Menschen in Ungarn eingeschränkt werden sollen. Münchens Bürgermeister, Dieter Reiter, wollte dagegen ein Zeichen setzen und das Stadion beim Euro-Gruppenspiel Deutschland–Ungarn in Regenbogenfarben tauchen lassen.
Der europäische Fußballverband sah das als politische Geste – und verbot die Umfärbung. Die Münchner beflaggten zum Protest ihr Rathaus mit Regenbogenfahnen, die „Bild“ließ auf dem Titelblatt die deutsche in die Regenbogenfahne überlaufen und auch der französische Präsident, Emmanuel Macron, zeigte sich vom Verbot enttäuscht. Bis zu Redaktionsschluss war nicht klar, ob die Deutschen sich über den Bann hinwegsetzen und eine Geldstrafe riskieren.
Kampf gegen den liberalen Zeitgeist
Und wieder einmal steht Orban´ im Mittelpunkt einer alten Kontroverse: hier der ungarische Regierungschef, der sich als Kämpfer gegen die politische Korrektheit und den liberalen Zeitgeist inszeniert. Dort jene, die auf den Grundrechten für alle europäischen Bürger beharren und sich sorgen, dass Orban´ sein berühmtes Zitat von der „illiberalen Demokratie“umsetzt. Es ist eine Erzählung, die dem 58-Jährigen gerade jetzt gelegen kommt.
Zwar regiert Orbans´ FideszPartei das Land seit etwas mehr als einem Jahrzehnt mit Verfassungsmehrheit, doch damit könnte es 2022 vorbei sein: Im Frühjahr wählen die Ungarn, und die Opposition hat sich erstmals zu einem Wahlbündnis vereinigt. Derzeit liegen die beiden Lager in den Umfragen gleichauf.
Die Gesetzesänderung ist nun zumindest geeignet, die Reihen der Orban-´Gegner etwas durcheinanderzubringen. Denn die oppositionelle Rechtspartei Jobbik hatte selbst vor neun Jahren einen Vorschlag eingebracht, mit dem sie die Budapester PrideParade genauso verbieten wollte wie positive Darstellungen von Homosexuellen in der Öffentlichkeit.
Damals scheiterte sie, nun brachte die Fidesz ein Gesetz durch, das in einigen Punkten dem Ansinnen der Jobbik ähnelt. Es solle dem „Schutz von Kindern“dienen und verbietet es laut einer englischen Übersetzung der ungarischen Regierung, unter 18-Jährigen „Inhalte zugänglich zu machen, die pornografisch sind oder Sexualität in grundloser Weise darstellen oder eine Abweichung von der eigenen, mit dem Geschlecht bei Geburt korrespondierenden Identität, Geschlechtsumwandlung oder Homosexualität propagieren oder darstellen“. In Schulen sollen zudem nur noch von einer staatlichen Behörde lizensier
Es ist verboten, Inhalte zugänglich zu machen, die Homosexualität propagieren.
Aus dem Gesetz zum „Schutz der Kinder“
te Anbieter über Sexualität aufklären dürfen. Außerdem sollen Fernsehprogramme mit bestimmten Inhalten, die beispielsweise Gewalt, Homosexualität, Transsexualität als „zentrales Element“haben, als nicht geeignet für unter 18-Jährige klassifiziert und später ausgestrahlt werden.
Von der US-Serie bis zur Literatur
Wie diese Vorgaben angesichts einer Fülle an US-Serien von „Transparent“bis „Modern Family“, dem Internet mit seinen vom Ausland aus betriebenen Pornoseiten oder der Beschreibung von gleichgeschlechtlicher Sexualität in der Literatur umgesetzt werden sollen, ist unklar. Die Passagen wurden jedenfalls nur wenige Tage vor der Entscheidung im Parlament in einen bereits seit Langem vorbereiteten und von der Opposition befürworteten Vorschlag zur Verschärfung der Gesetze gegen Pädophilie eingeflochten. Nicht nur die Interessenverbände der Homosexuellen und Transgender sehen in der Vermischung eine Provokation.
Die Opposition blieb der Abstimmung geschlossen fern – nur Jobbik sprach sich für die Gesetzesänderung aus. So schlug Orban´ politisch gesehen gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen bediente der ungarische Langzeitregierungschef das Bild einer europäischen Elite, die sich gegen die Ungarn verschworen hat und und sogar den von ihm geliebten Fußball politisiert. Zum anderen zeigte er die inhaltlichen Gräben zwischen den Parteien des oppositionellen Wahlbündnisses auf, das sowohl die am Land beliebte Jobbik als auch die in den Städten starken Linken, Grünen und Liberalen braucht, um im kommenden Frühjahr gegen Fidesz eine Chance zu haben.
Unsichere Zeiten kommen auf jene Ungarn zu, deren Sexualität von einer traditionellen Mann-Frau-Vorstellung abweicht. Zwar gelten sie wie Heterosexuelle mit 14 als sexuell mündig. Doch wie sie bis zu ihrer Volljährigkeit über ihre Sexualität sprechen und sich darüber informieren, wird mit dem Gesetz infrage gestellt.
Ein erster Test könnte anstehen, wenn am Freitag die Budapester Pride beginnt, die einen Monat dauern soll. Fidesz hatte schon vor Jahren versucht, die Parade zu verbieten. Damals berief sich die Partei auf die zu erwartende Störung des Budapester Verkehrs.