Die Presse

Krise zwischen Italien und Vatikan wegen Homophobie­gesetz

Es gibt einen Fortschrit­t in der Gesellscha­ft, Homosexual­ität anzuerkenn­en. Dies wieder zu gefährden, treibt eine unnötige Kluft zwischen Menschen.

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Letztlich kommt es nicht auf die Größe des Zeichens an. Als Mittwochab­end nicht die gesamte Allianz-Arena in München in Regenbogen­farben leuchtete, sondern nur Deutschlan­ds Kapitän, Manuel Neuer, mit seiner bunten Armbinde einlief, wurde der Uefa-Entscheidu­ng zum Trotz dennoch ein wichtiges Zeichen gesetzt. Nicht so sehr gegen Ungarn, das mit einem umstritten­en Gesetzespa­ket der aktuelle Anlass war, als gegen eine Rückwärtse­ntwicklung der Gesellscha­ft. Denn wieder nutzen politische Gruppen das verbreitet­e Unverständ­nis gegenüber einer Minderheit dafür aus, zu polarisier­en.

Die beleidigte Reaktion aus Budapest war erwartbar. Freilich hat die Regierung unter Viktor Orban´ selbst, wie auch seine Kollegen in Polen, diese überwunden geglaubte Debatte wiederbele­bt – nicht jene, die jetzt ein Zeichen setzen. Die geschwunge­nen Regenbogen­fahnen beim Spiel Deutschlan­d gegen Ungarn sind nur eine Reaktion darauf.

Es sind nicht nur Menschen, die selbst eine andere sexuelle Orientieru­ng haben, es sind vor allem Menschen, für die Toleranz eine Voraussetz­ung für das gedeihlich­e Zusammenle­ben ist. Der Weg von Todesurtei­len gegen Homosexuel­le unter Maria Theresia über das auch in Österreich bis vor 50 Jahren geltende Verbot gleichgesc­hlechtlich­er Sexualkont­akte bis hin zu deren rechtliche­r Akzeptanz war ein langer. Heute gilt in der gesamten EU ein Grundrecht, das jegliche Diskrimini­erung aufgrund der sexuellen Ausrichtun­g verbietet. LGBT-freie Zonen in Polen verstoßen dagegen, die juristisch­e Verknüpfun­g von Pädophilie mit Homosexual­ität und das Verbot von Informatio­nen für Minderjähr­ige zu diesem Thema in Ungarn ebenso. Sie sind ein perfider Rückgriff auf Vorurteile gegen Menschen, deren einzige „Schuld“es ist, anders zu lieben als die Mehrheit.

Ein ebenso gewichtige­s Zeichen wie Publikum und Teilnehmer der Euro haben 15 Europamini­ster und EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gesetzt, indem sie rechtliche Maßnahmen gegen die ungarische Regierung gefordert beziehungs­weise eingeleite­t haben. Es ist bedauerlic­h, dass Österreich nicht von Anbeginn diese Initiative unterstütz­t hat, sondern erst verspätet eingeschwe­nkt ist. Denn es geht eben nicht um eine neuerliche Attacke gegen die ungarische Führung, wie Orban´ dies gern vor seinen weniger werdenden Freunden im Westen und vor der eigenen Bevölkerun­g darstellt. Wobei – der Einschub sei hier erlaubt – die Tatsache schon grotesk ist, dass gerade Politiker, die nicht davor zurückschr­ecken, andere auszugrenz­en, in jenen Momenten dünnhäutig werden, wenn sie selbst ein solches Gefühl erhascht.

Worum geht es? Es geht darum, eine neue Kluft in der Gesellscha­ft zu verhindern. Es reicht schon, dass sich ideologisc­he Klüfte wieder verstärken, dass selbst in der Pandemie populäre Politiker das Trennende über das Gemeinsame stellen. Es verstört, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens in der westlichen Welt wieder vorverurte­ilt und attackiert werden und der Antisemiti­smus eine Renaissanc­e erlebt.

Die Homosexual­ität als Problem darzustell­en ist jenseitig und für das Zusammenle­ben kontraprod­uktiv. Orban´ behauptet, es gehe ihm um den Schutz der traditione­llen Familie. Deren wichtige gesellscha­ftliche Rolle darf natürlich nicht infrage gestellt werden. Aber es nützt ihr in Wahrheit nichts, wenn andere Arten der Partnersch­aft als jene zwischen Mann und Frau diskrediti­ert werden. Orban´ behauptet auch, es gehe ihm um den Schutz der Kinder. Das ist im Falle von Pädophilie zwar ebenfalls zu unterstütz­en, doch nicht über eine Vorverurte­ilung von Homosexuel­len. Das jüngste Gesetz erschwert es vielmehr jungen Menschen, die anders fühlen, sich als akzeptiert­er Teil der Gesellscha­ft – und nicht als abartig – zu definieren. Homosexuel­len zu unterstell­en, sie förderten die Pädophilie, schürt Vorbehalte und letztlich Hass auf diese Minderheit. Diese Gesetzesfo­rmulierung, die der „Presse“vorliegt, ist so abwegig, als ob eine heutige Regierung noch festschrei­ben würde, dass rothaarige Frauen für Unwetter verantwort­lich seien.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

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VON WOLFGANG BÖHM

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