Hoffnung auf Hilfe am Weg zur Präzisionsmedizin
Noch ist KI vor allem dort im Einsatz, wo es um relativ simple Aufgaben geht, am Beispiel der Bildanalyse. Für individuelle Therapieunterstützung braucht es weitere technologische Fortschritte.
„Wenn wir eine noch bessere und lebenswertere Gesellschaft erreichen wollen, müssen wir an der Spitze der Entwicklung stehen. Künstliche Intelligenz kann uns dabei helfen, weil sie uns herausfordert, Antworten auf die Fragen zu finden, wer wir sind, was wir wollen und was wir tun können“, sagt Richard Greil, Leiter der Inneren Medizin III an der Uniklinik Salzburg. KI sei zunächst vor allem von unschätzbarem Wert, wenn es gilt, die exponentiell wachsende Menge an Daten in Biologie und Medizin nutzbringend zu verarbeiten.
Ist es beim Human Genome Project mit der Sequenzierung des menschlichen Erbguts noch um drei Milliarden Basenpaare gegangen, rechnen Experten bei der Sequenzierung des gesamten menschlichen Immunsystems bereits mit einem hundertmilliardenfachen Volumen an Information wie beim Human Genome Project, die verarbeitet und interpretiert werden müssen. Auch und insbesondere in der Onkologie ist Hilfe gefragt. „Krebserkrankungen sind die komplexesten Erkrankungen, die wir kennen. Wenn man von der Beteiligung von nur 450 Genen ausgeht, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Menschen dieselbe Erkrankung aufweisen, bei unter einem Prozent“, so Greil, und weiter: „Die Conclusio lautet, dass jeder Mensch seine ‚eigene‘ Krebserkrankung hat – und nach einem halben Jahr nicht mehr die gleiche wie zuvor. Wir rechnen damit, dass wir in fünf Jahren für die Entscheidungen bei einem einzigen Patienten rund 10.000 gut aufbereitete Daten benötigen werden.“Das sei auch der Grund, warum es der Entwicklung einer eigenen Onko-Mathematik bedarf, um den Anforderungen einer solchen Komplexität entsprechen zu können.
Als Problemfeld gilt vor allem die Extraktion der Daten aus den Krankengeschichten der Patienten. Ob KI nach aktuellem Stand dabei gute Resultate erzielen kann, darf laut Greil bezweifelt werden. Schließlich braucht es Systeme, die sprachliche Formulierungen berücksichtigen und Fehler korrigieren könnten. „Fortschritte bei KI-basierten Anwendungen sehen wir im Moment eher nur dort, wo es um relativ einfache Dinge geht, wie zum Beispiel in der Bildanalyse“, erklärt der Onkologe. Die Interpretation von Bildern aus CT, MR etc. könne aber nur ein erster Schritt sein. Noch werden Daten aus der Bildgebung bisher in erster Linie dazu verwendet, dem Arzt eine visuelle Darstellung zu vermitteln, die er zu interpretieren in der Lage ist.
Die Zukunft könnte hierbei ganz andere Lösungen bringen. „Wenn wir Techniken hätten, mit denen wir aus radiologischen Untersuchungen einen genomischen Atlas der Heterogenität der Tumormanifestationen für einen einzelnen Patienten ableiten könnten, wäre das eine unglaublich wertvolle Information für eine individuelle Therapie“, so Greil, der einen weiteren noch ungelösten Problembereich zur Sprache bringt: „Die Gesellschaft sollte sich immer auch der Probleme von Algorithmen und KI bewusst sein. Alle Daten, die wir haben, bergen einen sozialen, politischen oder anderen Bias in sich. Wir brauchen demnach auch Algorithmen, die diesen Bias eliminieren können.“