Gesundheitsbewusste Landwirtschaft
Für Versorgungssicherheit hat die Landwirtschaft in der EU längst gesorgt. Nun rücken Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfragen in den Fokus.
Landwirtschaftlich genutzte Böden bestimmen das Landschaftsbild der Europäischen Union. Die 174 Millionen Hektar entsprechen 40 Prozent der gesamten Fläche. Bewirtschaftet wird die Fläche von mehr als zehn Millionen Betrieben. Kein anderer Wirtschaftsbereich ist in der EU zudem so stark durch gemeinschaftliche Regeln geprägt wie die Landwirtschaft. Sie unterliegt der Gemeinsamen Agrarpolitik, kurz GAP. Ihre Ziele und Aufgaben wurden erstmals 1957 festgelegt. Die anfangs aus nur sechs Ländern bestehende Staatengemeinschaft wollte die Menschen im zerstörten Nachkriegseuropa mit genügend Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen versorgen. Das Kosten-Umwelt-Dilemma
Das Ziel der Selbstversorgung hat die GAP innerhalb kürzester Zeit erreicht. Schon in den 1970er-Jahren produzierten die Bauern in der EU mehr Nahrungsmittel, als gebraucht wurden. Auch preislich hat sich vieles in den letzten Jahrzehnten verändert: Machten Lebensmittelausgaben von EU-Bürgern in den 1970er-Jahren noch rund ein Drittel der Haushaltsbudgets aus, so sind es heute im Durchschnitt nur noch 15 bis 20 Prozent.
„Die Ernährungssicherheit ist gegeben. Die GAP fokussiert daher seit geraumer Zeit auf das neue Ziel, diese Sicherheit mit Umwelt- und Klimazielen in Einklang zu bringen“, erklärt Jurist Erich Schweighofer von der Universität Wien, der sich aktuell im Auftrag der EU unter anderem mit Fragen des Landwirtschafts- und Wettbewerbsrecht sowie mit Reformen im Bereich der GAP befasst. Schweighofer zum Status quo: „Rund 75 Milliarden Euro an Direktzahlungen, Förderungen für ländliche Entwicklung und staatlichen Beihilfen fließen derzeit in die Landwirtschaft der EU, was rund vier Promille des EU27 BIP entspricht. Ernährungsund Landwirtschaft können frei entscheiden, was produziert wird, sprich was der Konsument will und was Gewinn macht. Diskutiert wird nunmehr darüber, wie weit Klimaund Umweltschutzbedingungen etwa an Direktzahlungen gekoppelt werden können.“
Über die grundsätzliche ökologische Ausrichtung herrsche laut Schweighofer in der EU Konsens. Als problematisch erweisen sich die Details der Umsetzung. Das Dilemma: Höhere Klima- und Umweltleistungen der Landwirtschaft kosten Geld. Der Einsatz von weniger Pestiziden für ein Mehr an Bio-Landwirtschaft, Tierschutzauflagen und der mit der Schaffung von mehr klimagerechten Flächen insgesamt einhergehende Produktivitätsverlust verlangt nach Ausgleich. Die öffentliche Hand kann das alleine nicht finanzieren. Bezahlen könnte auch der Konsument, indem er für entsprechende Produkte doppelt oder dreifach erhöhte Beiträge ausgibt. Dazu herrscht aber keine ausreichende Bereitschaft. „Politisch sind solche Preiserhöhungen, die rein theoretisch das Dilemma lösen würden, nicht umsetzbar“, so Schweighofer. Frei nach Bertolt Brecht: „Zuerst kommt das Essen, dann die Umwelt, das Klima und die Gesundheit.“
De facto ist die EU als wichtiger Player am Weltmarkt der Landwirtschaft auf den Konsens der Bürger und Mitgliedsstaaten angewiesen. Nur mit entsprechendem Engagement aller Stakeholder lasse sich laut Schweighofer eine Reform tragen und umsetzen, die in Sachen Ernährung eine Versorgungssicherheit ebenso bieten kann wie klimaund umweltgerechtes Wirtschaften. Technologische Hilfe Hoffnung setzt der Rechtsinformatik-Experte dabei in künftige Entwicklungen auf dem Gebiet der Data Governance und der Künstlichen Intelligenz: „Damit können wir nicht nur die Datenlage verbessern, um zu wissen, was wo wie und von wem produziert wird. Auch eine zielgerichtete umweltfreundliche Düngung und Schädlingsbekämpfung, eine tierfreundlichere Züchtung und die stärkere Fokussierung von Produkten auf den Konsumenten werden einfacher umsetzbar.“
Offen bleibt freilich die problematische Frage, wer diesen datengetriebenen Prozess kontrollieren soll – eine Sache des Datenschutzrechts. Auch darüber wird im Rahmen der Reformbemühungen der EU in der GD AGRI (zuständige Generaldirektion für die Maßnahmen der EU-Kommission in den Bereichen Landwirtschaft, ländliche Entwicklung und gemeinsame Agrarpolitik) debattiert. Vier EU-Rechtsakte stehen aktuell zur Diskussion.