Orthopädie im Lebenskontinuum
Experten fordern: Größeres Augenmerk auf Prävention, Stärkung der konservativen Orthopädie, Zentren für das operative Fach, Geld für die Forschung.
Beim zweiten Gipfelgespräch unter der Ägide der Österreichischen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie betonten die Experten zunächst vor allem die Bedeutung der Prävention. Prävention ab Säuglingsalter „Die Sonographie der Säuglingshüfte ist ein beispielhaftes und erfolgreiches Modell eines Screenings. Es ist sehr wichtig, so früh wie möglich Hüftreifungsstörungen entdecken und behandeln zu können“, sagt Reinhard Graf, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, der bereits Ende der 1970er-Jahre ein verblüffend einfach zu handhabendes, sonographisches Untersuchungsverfahren (Ultraschall) eingeführt hat, das heute in der ganzen Welt zum Einsatz kommt. Auch in Sachen Lebensstil, Ernährung und Bewegungsmuster spielt es laut Catharina Chiari, Leiterin des Kinderorthopädie-Teams und der Knorpelambulanz an der Universitätsklinik für Orthopädie Wien, eine wesentliche Rolle, bereits im Kindesalter bewusstseinsfördernd anzusetzen: „Beispiel Sport. Da kann zu wenig Aktivität ebenso schädlich sein wie zu viel unkontrollierte Sporttätigkeit, die zu Verletzungen des Gelenkapparats führt.“ Konservativ, dann operativ Diskutiert wurde von den Experten ebenfalls das Spannungsfeld der Fachbereiche: „Zuerst konservative, dann operative Therapie: Um diesem Leitsatz folgen zu können, braucht es entsprechende Strukturen, sprich die Stärkung der konservativen Orthopädie im niedergelassenen und stationären Bereich“, sagt Andreas Stippler, Leiter des David Gesundheitszentrums und Ärztekompetenzzentrums in Krems an der Donau. Die Bedeutung einer idealen Abstimmung von konservativer und operativer Therapie im Zusammenhang mit guter Prävention betont auch Tobias Gotterbarm, Vorstand an der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie, Kepler Universitätsklinikum Linz: „Die Orthopädie ist von der Betreuung des Patienten im gesamten Lebensalter und vom Zusammenspiel der Fachabteilungen abhängig.“
Für einen Ausbau des konservativen orthopädischen Bereichs plädiert ebenso Ronald Dorotka, Vorstand des Berufsverbands Österreichischer Fachärzte für Orthopädie: „Wir brauchen mehr spezielle konservativ-orthopädische Betten und Fachabteilungen, zur Behandlung der Patienten und zur Ausbildung junger Kollegen. Die fachspezifische Diagnostik und Therapie am Bewegungsapparat kann so früher einsetzen. Das hilft den Patienten und ist obendrein langfristig für das Gesundheitssystem kostengünstiger.“ Umfassende Herausforderung „Das sehr fruchtbare Gipfelgespräch hat gezeigt, wie umfassend und bedeutend das Gebiet der Orthopädie ist und vor welchen Herausforderungen wir stehen“, betont Catharina Chiari und fasst die Essenzen zusammen: „Prävention ist klar ein Kernbereich. Wichtig ist, dass Ärzte Zeit für Beratungsgespräche bekommen und dass dies entsprechend honoriert wird. Die konservative Orthopädie muss gestärkt werden, um Patienten lange und folgenschwere Umwege bei Diagnostik und Therapie zu ersparen. Und im operativen Bereich führt die zunehmende Spezialisierung dazu, dass es spezielle Zentren benötigt, die untereinander und auch international bestens vernetzt sein müssen.“
Chiari betont zuletzt die Notwendigkeit spezialisierter Boards, wo seltene Krankheitsbilder interdisziplinär diskutiert werden können, und die Folgen der Pandemie: „Für Patienten kam es zu langen Wartezeiten. Da brauchen wir künftig eine bessere, flexiblere Strategie.“