Ist das E-Auto gar nicht CO2-freundlich?
Analyse. In Deutschland streiten Wissenschaftler über die Umweltfreundlichkeit von Elektroautos. Die Frage, an der sich die Geister scheiden: Woher kommt der Strom für die Autos?
Wien. Jeder, der schon einmal am Stammtisch über Elektroautos geredet hat, kennt das: Nüchtern und objektiv lassen sich die Vor- und Nachteile nicht diskutieren. Das Elektroauto ist für viele eine Glaubensfrage – das ist wie einst die Debatte Apple gegen Microsoft.
Jetzt hat die Diskussion um Elektroautos ein neues, recht hohes Niveau erreicht. Es geht um die Umweltfreundlichkeit der E-Fahrzeuge. 171 Wissenschaftler, angeführt von Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie, weisen in einem Schreiben an die EU-Kommission auf einen Rechenfehler hin, der gravierende Folgen habe: Die CO2-Belastung durch E-Autos sei in der Realität nämlich bedeutend höher. Konkreter: mehr als doppelt so hoch, wie von der EU-Kommission angenommen. Anschaulicher: Ein Elektroauto sei für einen höheren CO2Ausstoß verantwortlich als ein Diesel-Pkw mit Vollhybridantrieb.
Dieses Schreiben hat nun andere Wissenschaftler auf den Plan gerufen, die leidenschaftlich gegen die Thesen ihrer Kollegen argumentieren. Deren Brief sei schlicht „hochgradig peinlich“, meint etwa Christian Rehtanz von der Technischen Universität Dortmund. Es sei der verzweifelte Versuch einer Lobbyistenorganisation, den Verbrennungsmotor zu retten.
Zu wenig Windstrom
Bei der Diskussion geht es um die Frage, wie der Strom für den Antrieb eines Elektroautos erzeugt wird. Koch und seine 170 Kollegen sagen, dass die EU beim Strommix von falschen Annahmen ausgeht. Die Wissenschaftler argumentieren folgendermaßen: Für das Laden von Elektroautos werde Strom aus dem Netz entnommen. Also müsse dafür zusätzlicher Strom eingespeist werden. Weil aber die Stromerzeugung mit Wind und Sonne bereits mit maximaler Leistung fahre, kämen für den zusätzlichen Strom nur herkömmliche Erzeuger infrage – nämlich Kohleund Erdgaskraftwerke.
Man könne also nicht, wie es die EU macht, mit dem CO2-Wert des durchschnittlichen Strommixes rechnen (also jenem bei Erzeugung des Stroms durch fossile und erneuerbare Energie). Stattdessen müsse man berücksichtigen, dass beim Laden von E-Autos mehr fossile Energie fließe, weil es eben nicht immer genug „grünen“Strom gebe.
Umgelegt auf ein derzeit sehr populäres Elektroauto – den ID.3 von VW – ergibt das für Koch und Co. mehr als doppelt so viel CO2Ausstoß, wie von der EU angegeben. Über den Lebenszyklus des ID.3 (15 Jahre, 220.000 Kilometer Laufleistung) ergebe das somit nicht 14 Tonnen, sondern 30 Tonnen CO2. Die Klimabilanz eines Dieselvollhybriden sei demnach besser als jene des VW-Elektroautos.
Nun weiß man, dass man Durchschnittswerte tatsächlich grundsätzlich skeptisch betrachten muss. Wenn der Kopf brennt und die Füße im Eiswasser stecken, ergibt das im Durchschnitt auch eine angenehme Körpertemperatur. In dem Fall aber soll die Durchschnittsangabe stimmen – sagen jene Wissenschaftler, die den Brief und die CO2-Rechnung kritisieren.
Nur erneuerbare Energie
Martin Wietschel vom FraunhoferInstitut für System- und Innovationsforschung meint, dass die Verwendung von Durchschnittsemissionen wissenschaftlicher Standard sei. Grenzstromemissionen ließen sich nämlich nicht klar zuordnen. Außerdem könnten Elektroautos künftig ja auch als flexibler Speicher für überschüssige Wind- und Sonnenenergie dienen.
Die Diskussion ist für Europa neu. In China dagegen, das weltweit führender Markt für Elektroautos ist, dagegen nicht. Dort hat man bereits Ende 2019 begonnen, die staatlichen Förderungen von E-Autos zurückzunehmen – weil nämlich der Strom hauptsächlich aus Kohlekraftwerken kommt. Mehr E-Autos in China, die mehr Strom benötigen, heißt mehr verbrannte Kohle und ein höherer CO2-Ausstoß.
In Österreich soll es dieses Problem erst gar nicht geben. Die Koalition aus ÖVP und Grünen hat in ihrem Arbeitsprogramm festgeschrieben, dass bis 2030 100 Prozent des heimischen Stroms aus erneuerbarer Energie (vor allem Wasserkraft) kommen sollen. Man hat dabei mit einem Anteil an batteriebetriebenen Pkw von elf Prozent gerechnet. Wenn die E-Autos also zu erfolgreich sind, geht sich das möglicherweise nicht aus.
All diese Rechnungen inkludieren nicht, wie viel CO2 bei der Produktion von E-Autos entsteht. Auch hier kommen Wissenschaftler zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die einen belegen in ihren Studien, dass im Laufe eines E-Autolebens vom Abbau von Lithium für die Batterie bis zur Verschrottung mehr Treibhausgase entstehen als im Leben eines kleinen Dieselautos. Die anderen errechnen, dass das E-Auto bedeutend umweltfreundlicher ist als jedes Fahrzeug, das mit einem Verbrennungsmotor angetrieben wird.
Alles nicht sehr hilfreich für die Diskussionen am Stammtisch.