100-Dollar-Ölpreis in Reichweite?
Die Nachfrage steigt, das Angebot kommt nicht hinterher und die Investitionen fehlen. Dass der Preis für ein Fass Rohöl noch weiter steigt, ist gut möglich, sagen einige Ölmanager.
Wien. So schnell kann es gehen: Kosteten 159 Liter Öl der Nordseesorte Brent zu Jahresbeginn noch rund 50 Dollar, müssen Abnehmer inzwischen über 75 Dollar für ein Fass bezahlen. Der Ölpreis ist damit auf den höchsten Stand seit April 2019 geklettert. Schon in den vergangenen Tagen erreichte er laufend neue Zwischenhochs.
Das Ende der Fahnenstange scheint damit aber noch nicht erreicht zu sein. Einige Ölmanager, darunter die Vorstände von Shell und Total, halten einen Anstieg auf hundert Dollar je Barrel für durchaus realistisch. Denn mit den Impffortschritten hellt sich nicht nur die globale Großwetterlage auf, auch die Ölnachfrage wird wieder befeuert.
Um den Preis nach oben zu treiben, hat sich das Ölkartell Opec gemeinsam mit seinen Verbündeten (Opec+) schon in der Krise darauf verständigt, das Angebot auf dem Ölmarkt zu drosseln. Weil der Bedarf nun höher ist, fahren die Mitgliedsländer ihre Produktion seit geraumer Zeit aber wieder hoch. Ab Juli will das Kartell die Menge noch einmal nach oben schrauben, und bereits in der kommenden Woche könnte man sich zu einer weiteren Angebotsausweitung ab August durchringen.
Ein Schritt, der von der Internationalen Energiebehörde wohl begrüßt werden wird. Diese hatte zuletzt eingehend an die Opec appelliert, den Ölhahn endlich weiter aufzudrehen, um die steigende Nachfrage zu decken. Für die zweite Jahreshälfte 2022 geht die IEA von einem Ölbedarf auf Vorkrisenniveau aus.
Klimawandel belastet
Doch nicht nur die richtige Balance zwischen Angebot und Nachfrage zu finden scheint momentan ein Problem zu sein. Darren Woods, Chef von Exxon Mobil, bereitet auch Sorgen, dass die derzeit niedrigen Investitionen „die Angebotsund Nachfrageknappheit verschärfen, wenn die Wirtschaft anzieht“, wie er auf dem Qatar Economic Forum in dieser Woche sagte.
Indirekt bezog er sich damit wohl auch auf den Klimawandel und die damit einhergehende Abkehr einiger Ölkonzerne von ihrem Kerngeschäft. „Die Energiewende bedeutet, dass nicht genug in Ölund Gasprojekte investiert wurde“, sagte der katarische Energieminister, Saad al-Kaabi. Viele Unternehmen legen ihren Fokus inzwischen auf erneuerbare Energien, weshalb die Investitionen vor allem dorthin fließen. Selbst die OMV, die den
Wandel zu einem Chemiekonzern noch vor sich hat, will ihr Geld in erster Linie in ihren neuen Geschäftsbereich stecken.
Auch Wall-Street-Investoren fordern die Ölmultis inzwischen dazu auf, weniger Geld für Bohrungen auszugeben – allerdings, weil sie selbst mehr Geld wollen. „Wir sehen eine Verschiebung hin zu einer Kriminalisierung, wenn in eine höhere Ölproduktion investiert wird“, sagte Bob McNally, Chef einer Energieberaterfirma.
In den USA, wo die Schieferölindustrie eine wichtige Rolle spielt, konnte man zuletzt zwar eine steigende Anzahl an Mannschaften beobachten, die Frackinganlagen betreuen. Doch reicht das Personal gerade einmal aus, um die Produktion stabil zu halten. Das ist den Unternehmen durchaus bewusst, Änderung wollen sie aber keine herbeiführen, denn die Aktionäre wollen, dass das Kapital ihnen und nicht den Bohranlagen zufließt.
Für die arabischen Staaten, die der US-Schieferölindustrie stets kritisch gegenüberstehen, dürfte das ein Grund zur Freude sein. Nicht nur, weil sie die Öl- und Investitionslücken westlicher Konzerne füllen wollen und können, sondern auch, weil sie kein Interesse an einem Comeback der USÖlindustrie haben. Höhere Preise würden aber genau das bewirken.