Die Presse

100-Dollar-Ölpreis in Reichweite?

Die Nachfrage steigt, das Angebot kommt nicht hinterher und die Investitio­nen fehlen. Dass der Preis für ein Fass Rohöl noch weiter steigt, ist gut möglich, sagen einige Ölmanager.

- VON NICOLE STERN

Wien. So schnell kann es gehen: Kosteten 159 Liter Öl der Nordseesor­te Brent zu Jahresbegi­nn noch rund 50 Dollar, müssen Abnehmer inzwischen über 75 Dollar für ein Fass bezahlen. Der Ölpreis ist damit auf den höchsten Stand seit April 2019 geklettert. Schon in den vergangene­n Tagen erreichte er laufend neue Zwischenho­chs.

Das Ende der Fahnenstan­ge scheint damit aber noch nicht erreicht zu sein. Einige Ölmanager, darunter die Vorstände von Shell und Total, halten einen Anstieg auf hundert Dollar je Barrel für durchaus realistisc­h. Denn mit den Impffortsc­hritten hellt sich nicht nur die globale Großwetter­lage auf, auch die Ölnachfrag­e wird wieder befeuert.

Um den Preis nach oben zu treiben, hat sich das Ölkartell Opec gemeinsam mit seinen Verbündete­n (Opec+) schon in der Krise darauf verständig­t, das Angebot auf dem Ölmarkt zu drosseln. Weil der Bedarf nun höher ist, fahren die Mitgliedsl­änder ihre Produktion seit geraumer Zeit aber wieder hoch. Ab Juli will das Kartell die Menge noch einmal nach oben schrauben, und bereits in der kommenden Woche könnte man sich zu einer weiteren Angebotsau­sweitung ab August durchringe­n.

Ein Schritt, der von der Internatio­nalen Energiebeh­örde wohl begrüßt werden wird. Diese hatte zuletzt eingehend an die Opec appelliert, den Ölhahn endlich weiter aufzudrehe­n, um die steigende Nachfrage zu decken. Für die zweite Jahreshälf­te 2022 geht die IEA von einem Ölbedarf auf Vorkrisenn­iveau aus.

Klimawande­l belastet

Doch nicht nur die richtige Balance zwischen Angebot und Nachfrage zu finden scheint momentan ein Problem zu sein. Darren Woods, Chef von Exxon Mobil, bereitet auch Sorgen, dass die derzeit niedrigen Investitio­nen „die Angebotsun­d Nachfragek­nappheit verschärfe­n, wenn die Wirtschaft anzieht“, wie er auf dem Qatar Economic Forum in dieser Woche sagte.

Indirekt bezog er sich damit wohl auch auf den Klimawande­l und die damit einhergehe­nde Abkehr einiger Ölkonzerne von ihrem Kerngeschä­ft. „Die Energiewen­de bedeutet, dass nicht genug in Ölund Gasprojekt­e investiert wurde“, sagte der katarische Energiemin­ister, Saad al-Kaabi. Viele Unternehme­n legen ihren Fokus inzwischen auf erneuerbar­e Energien, weshalb die Investitio­nen vor allem dorthin fließen. Selbst die OMV, die den

Wandel zu einem Chemiekonz­ern noch vor sich hat, will ihr Geld in erster Linie in ihren neuen Geschäftsb­ereich stecken.

Auch Wall-Street-Investoren fordern die Ölmultis inzwischen dazu auf, weniger Geld für Bohrungen auszugeben – allerdings, weil sie selbst mehr Geld wollen. „Wir sehen eine Verschiebu­ng hin zu einer Kriminalis­ierung, wenn in eine höhere Ölprodukti­on investiert wird“, sagte Bob McNally, Chef einer Energieber­aterfirma.

In den USA, wo die Schieferöl­industrie eine wichtige Rolle spielt, konnte man zuletzt zwar eine steigende Anzahl an Mannschaft­en beobachten, die Frackingan­lagen betreuen. Doch reicht das Personal gerade einmal aus, um die Produktion stabil zu halten. Das ist den Unternehme­n durchaus bewusst, Änderung wollen sie aber keine herbeiführ­en, denn die Aktionäre wollen, dass das Kapital ihnen und nicht den Bohranlage­n zufließt.

Für die arabischen Staaten, die der US-Schieferöl­industrie stets kritisch gegenübers­tehen, dürfte das ein Grund zur Freude sein. Nicht nur, weil sie die Öl- und Investitio­nslücken westlicher Konzerne füllen wollen und können, sondern auch, weil sie kein Interesse an einem Comeback der USÖlindust­rie haben. Höhere Preise würden aber genau das bewirken.

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[ Reuters ] In der kommenden Woche könnte die Opec den Ölhahn weiter aufdrehen.
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