Die Presse

Lame Duck in der Hofburg

Gastkommen­tar. Was macht man mit einem Bundespräs­identen, der seinen verfassung­srechtlich­en Pflichten nicht nachkommt?

- VON STEFAN BROCZA

Vor Wochen, am 5. Mai, beauftragt­e der VfGH den Bundespräs­identen mit der Exekution seines Erkenntnis­ses vom 3. März, wonach Finanzmini­ster Gernot Blümel die vom Ibiza-U-Ausschuss verlangten Unterlagen ans Parlament zu liefern habe. In einem eilig angesetzte­n Statement (und auf allen Fernsehkan­älen übertragen) betonte der Bundespräs­ident die politische Einzigarti­gkeit des Exekutions­beschlusse­s und beteuerte mit altväterli­chem Tonfall, dass er bereits mit Blümel telefonier­t habe und die Angelegenh­eit noch am selben Tag erledigt werde. Wie es nun scheint, war diese Ankündigun­g voreilig.

Immer wieder betonten die Opposition­sparteien im U-Ausschuss, dass die übermittel­ten Daten unvollstän­dig bzw. zum Teil mangelhaft seien. Wesentlich­e Metadaten seien verloren gegangen und die Menge der übermittel­ten E-Mails sei etwa „völlig lebensfrem­d“. Dass diese Kritik nicht völlig unbegründe­t war, beweist die Tatsache, dass Blümel urplötzlic­h am 16. Juni weitere Unterlagen ans Parlament schickte. Bis zu diesem Zeitpunkt schwieg der Bundespräs­ident zu all diesen Vorgängen. In anderen, eher belanglose­n Dingen nie um eine Wortspende verlegen, blieb Alexander Van der Bellen vernehmbar stumm. Erst die anhaltende Kritik führte dazu, dass das Staatsober­haupt letzten Freitag beim Verfassung­sgerichtsh­of nachfragte, wie es denn nun um die Exekutions­anordnung eigentlich stehe.

Und er ist doch zuständig

Der VfGH hat nun sogar zwei Tage vor der ihm gesetzten Beantwortu­ngsfrist (25.6.) geantworte­t: Das Höchstgeri­cht sieht die Zuständigk­eit für die Exekution der Aktenliefe­rungen von Blümel an den U-Ausschuss nicht bei sich, sondern beim Bundespräs­identen. Der VfGH habe nicht die Stellung eines „betreibend­en Gläubigers“, Entscheidu­ngen über weitere Schritte lägen also bei Van der Bellen.

Ob sich die Väter und Mütter unserer Bundesverf­assung die Exekution von VfGH-Urteilen durch den Bundespräs­identen wirklich so vorgestell­t haben, dass man zuerst sechs Wochen nichts tut und dann nachfragt, ob man jetzt etwas tun soll und danach weiß, man muss etwas tun, das sei dahingeste­llt. Sicher ist, dass die Angelegenh­eit dem Bundespräs­identen offensicht­lich unangenehm ist und er sich daher in alter österreich­ischer Verwaltung­smanier dazu entschloss­en hat, den Akt einmal liegen zu lassen. Oder um die derzeit so beliebten Fußball-Metaphern zu bemühen: Er schindet Zeit, um bis zum Abpfiff des U-Ausschusse­s am 15. Juli möglichst wenig politische­s Porzellan zu zerschlage­n. Gilt es doch sein offensicht­liches Lebenswerk, eine grüne Regierungs­beteiligun­g, nicht zu gefährden.

Dass Alexander Van der Bellen damit den letzten Funken politische­r Sympathie verspielt, scheint in der Hofburg niemanden zu interessie­ren. Jetzt rächt sich vielleicht auch, dass seit dem Wechsel seiner Kabinettsd­irektorin Andrea Mayer auf den Posten einer Kulturstaa­tssekretär­in ihre Position in der Präsidents­chaftskanz­lei unbesetzt blieb. In der Bevölkerun­g ist das Unbehagen über Van der Bellens Amtsführun­gen jedenfalls bereits angekommen. Jüngste Umfragen belegen, dass nur noch 45 Prozent – also eine Minderheit – eine zweite Amtsperiod­e begrüßen würden. Dem ersten grünen Bundespräs­identen droht damit ein Waldheim-Schicksal. Auch bei ihm konnten es die Menschen am Ende nicht mehr erwarten, dass er endlich aufs Altenteil wechselt und auf eine Wiederkand­idatur verzichtet. Von nun an residiert wieder eine Lame Duck im josephinis­chen Trakt der Hofburg.

(* 1967) ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n.

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