Lame Duck in der Hofburg
Gastkommentar. Was macht man mit einem Bundespräsidenten, der seinen verfassungsrechtlichen Pflichten nicht nachkommt?
Vor Wochen, am 5. Mai, beauftragte der VfGH den Bundespräsidenten mit der Exekution seines Erkenntnisses vom 3. März, wonach Finanzminister Gernot Blümel die vom Ibiza-U-Ausschuss verlangten Unterlagen ans Parlament zu liefern habe. In einem eilig angesetzten Statement (und auf allen Fernsehkanälen übertragen) betonte der Bundespräsident die politische Einzigartigkeit des Exekutionsbeschlusses und beteuerte mit altväterlichem Tonfall, dass er bereits mit Blümel telefoniert habe und die Angelegenheit noch am selben Tag erledigt werde. Wie es nun scheint, war diese Ankündigung voreilig.
Immer wieder betonten die Oppositionsparteien im U-Ausschuss, dass die übermittelten Daten unvollständig bzw. zum Teil mangelhaft seien. Wesentliche Metadaten seien verloren gegangen und die Menge der übermittelten E-Mails sei etwa „völlig lebensfremd“. Dass diese Kritik nicht völlig unbegründet war, beweist die Tatsache, dass Blümel urplötzlich am 16. Juni weitere Unterlagen ans Parlament schickte. Bis zu diesem Zeitpunkt schwieg der Bundespräsident zu all diesen Vorgängen. In anderen, eher belanglosen Dingen nie um eine Wortspende verlegen, blieb Alexander Van der Bellen vernehmbar stumm. Erst die anhaltende Kritik führte dazu, dass das Staatsoberhaupt letzten Freitag beim Verfassungsgerichtshof nachfragte, wie es denn nun um die Exekutionsanordnung eigentlich stehe.
Und er ist doch zuständig
Der VfGH hat nun sogar zwei Tage vor der ihm gesetzten Beantwortungsfrist (25.6.) geantwortet: Das Höchstgericht sieht die Zuständigkeit für die Exekution der Aktenlieferungen von Blümel an den U-Ausschuss nicht bei sich, sondern beim Bundespräsidenten. Der VfGH habe nicht die Stellung eines „betreibenden Gläubigers“, Entscheidungen über weitere Schritte lägen also bei Van der Bellen.
Ob sich die Väter und Mütter unserer Bundesverfassung die Exekution von VfGH-Urteilen durch den Bundespräsidenten wirklich so vorgestellt haben, dass man zuerst sechs Wochen nichts tut und dann nachfragt, ob man jetzt etwas tun soll und danach weiß, man muss etwas tun, das sei dahingestellt. Sicher ist, dass die Angelegenheit dem Bundespräsidenten offensichtlich unangenehm ist und er sich daher in alter österreichischer Verwaltungsmanier dazu entschlossen hat, den Akt einmal liegen zu lassen. Oder um die derzeit so beliebten Fußball-Metaphern zu bemühen: Er schindet Zeit, um bis zum Abpfiff des U-Ausschusses am 15. Juli möglichst wenig politisches Porzellan zu zerschlagen. Gilt es doch sein offensichtliches Lebenswerk, eine grüne Regierungsbeteiligung, nicht zu gefährden.
Dass Alexander Van der Bellen damit den letzten Funken politischer Sympathie verspielt, scheint in der Hofburg niemanden zu interessieren. Jetzt rächt sich vielleicht auch, dass seit dem Wechsel seiner Kabinettsdirektorin Andrea Mayer auf den Posten einer Kulturstaatssekretärin ihre Position in der Präsidentschaftskanzlei unbesetzt blieb. In der Bevölkerung ist das Unbehagen über Van der Bellens Amtsführungen jedenfalls bereits angekommen. Jüngste Umfragen belegen, dass nur noch 45 Prozent – also eine Minderheit – eine zweite Amtsperiode begrüßen würden. Dem ersten grünen Bundespräsidenten droht damit ein Waldheim-Schicksal. Auch bei ihm konnten es die Menschen am Ende nicht mehr erwarten, dass er endlich aufs Altenteil wechselt und auf eine Wiederkandidatur verzichtet. Von nun an residiert wieder eine Lame Duck im josephinischen Trakt der Hofburg.
(* 1967) ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.