Wie „knackig“müssen „Girls“sein, Lena Hoschek?
Die steirische Designerin hat in einem leichtfüßigen Sommerinterview ihre antiquierten Vorstellungen offenbart, wie viel nackte Haut im Sommer okay ist.
Die Sommerhitze bot ORF.at Anlass, diese Woche zehn Fragen an die österreichische Designerin Lena Hoschek zu veröffentlichen. Und leider auch ihre Antworten. „Wie wenig kann man im Sommer auf der Haut tragen – und trotzdem noch stilvoll angezogen sein?“, will der Interviewer wissen. „Wie viel Haut man herzeigen kann, liegt letztlich an der Haut“, erklärt die 40-jährige Labelbesitzerin. Gefragt nach den „größten Modeverbrechen im Sommer“, antwortet Hoschek, neben Trekkingsandalen seien Radlershorts ein No-Go. „Es gibt natürlich Girls, die sind knackig genug für Radlerhosen“, erklärt sie. „Dann ist das schon wieder witzig. Aber für den Rest der Welt: Nein!“
Die Vorgaben von Lena Hoschek werfen einige Fragen auf, die der Interviewer wohl zu stellen vergaß: Warum muss ein Körper eigentlich „knackig“sein, um eine Radlerhose tragen zu dürfen? Wäre es in der Logik von Hoschek nicht sinnvoller, auch „nicht knackigen“Körpern die Radlerhose zu gestatten, da das Radeln als sportliche Betätigung doch die „Knackigkeit“steigern sollte? Ab wann gilt ein Körper dann als „knackig“genug? Gibt es einen Maßstab, an dem man sich orientieren muss? Warum erwähnt Hoschek eigentlich ausschließlich „Girls“? Müssen Männer nicht „knackig“sein, um Radlerhosen zu tragen?
Mode ist politisch. Regeln, wer was tragen darf, ziehen sich durch die Menschheitsgeschichte. Im Mittelalter waren die bunten Stoffe Adeligen vorbehalten; Frauen mit Hosen und Männer ohne Hüte auf der Straße zu sehen, war bis vor ein paar Jahrzehnten undenkbar. Die Outfits der US-amerikanischen First Lady haben immer eine politische Botschaft; so trug etwa Michelle Obama oft Kleidung von erschwinglichen Marken.
Dass heutzutage relativ wenige solcher – offizieller oder inoffizieller – Vorschriften gelten, ist ein Fortschritt. Es bedeutet individuelle Freiheit, Kleidung so zu nutzen, wie sie Spaß macht und am besten zu dem passt, was man gerade tun will oder wie man sich fühlt. Schade also, dass Österreichs bekannteste Designerin an solch rückschrittlichen Konzepten festhält. Sie habe ihre Meinung geäußert, und das „mit sehr viel Augenzwinkern“, reagierte Hoschek am Dienstag auf die Kritik auf Instagram. Natürlich darf sie das, doch als wichtige Person in der Modewelt haben ihre Aussagen viel Gewicht. Und ihr „Schmäh“ist misslungen. Denn die Botschaft bleibt: Es gibt Körper, die verhüllt werden sollen, und zwar nicht, weil die betroffene Person es so möchte, sondern, weil diese Körper makelhaft sind und der Öffentlichkeit nicht zugemutet werden können.
„Hab meine Haut gefragt – ist okay so!“, reagierte die Instagrammerin Radicalsoftness auf Hoscheks Ansage, es komme auf die Haut an, wie viel man von ihr sehen dürfe. Auch hier bleiben Antworten offen: Wie muss die Haut aussehen, damit sie sich zeigen darf? Straff und glatt? Gelten diese Vorschriften für alle? Hat die nackte Haut mancher Menschen mehr „Stil“als die von anderen, und falls ja, wie sieht dieser Stil aus? Was Hoschek hier befeuert, kennt die Wissenschaft als „Lookismus“, die Diskriminierung von nicht schönen Menschen. Studien belegen, dass jene Personen, die den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, mehr Vorteile im Leben haben. Ein symmetrisches Gesicht und ein schlanker Körper helfen, um an bessere Jobs und höhere Gehälter zu kommen. Weshalb es nicht verwunderlich ist, dass schockierende 90 Prozent aller Frauen laut Umfragen mit ihrem Körper unzufrieden sind.
Viele Menschen haben während der Pandemie an Gewicht zugelegt. Sport war oft nicht möglich, Essen diente im Lockdown als Trost. Dass gute Ernährung und ausreichend Bewegung gesund sind, steht außer Frage. Will man Menschen dazu ermutigen, ist es allerdings herzlich kontraproduktiv, vorzuschreiben, wie Körper auszusehen haben, damit sie hergezeigt werden dürfen. Scham war noch nie ein guter Motivator, individuelle Freiheit ist es sehr wohl.
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Zur Autorin:
Anna Goldenberg ist Journalistin und Autorin („Versteckte Jahre. Der Mann, der meinen Großvater rettete“, 2018, Paul Zsolnay) und lebt in Wien. Sie schreibt über Medien und Politik für den „Falter“.
Morgen in „Quergeschrieben“: Christian Ortner
Warum muss ein Körper eigentlich „knackig“sein für Radlerhosen? Und ab wann gilt ein Körper dann als „knackig“genug?