Die Aussicht auf einen Kanzlersturz
Analyse. Vor dem Bundesparteitag am Samstag schöpft die SPÖ wieder Hoffnung und rechnet mit einem „akzeptablen“Ergebnis für Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Doch die (inhaltlichen) Gräben in der Partei sind nach wie vor tief.
Vor dem Bundesparteitag schöpft die SPÖ wieder neue Hoffnung.
Wien. Wie es der SPÖ vor dem Bundesparteitag am Samstag geht? Gut wie lange nicht, versichert die Parteizentrale zweckoptimistisch mit Verweis auf erfreuliche Umfragen. Der leichte Aufwärtstrend, der sich dort seit geraumer Zeit bemerkbar macht, dürfte zwar mehr auf die ÖVP (also deren juristische Probleme) als auf die SPÖ selbst zurückzuführen sein, hat aber den Effekt, dass sich die Sozialdemokraten nun wieder Hoffnungen machen: wenn schon nicht auf Platz eins bei der nächsten Wahl, dann zumindest auf eine Koalition gegen Sebastian Kurz mit Grünen und Neos.
Parteichefin
Zunächst aber muss die Parteivorsitzende intern bestehen. Am Samstag stellt sich Pamela RendiWagner erstmals der Wiederwahl. In der SPÖ geht man gemeinhin von einem „akzeptablen Ergebnis“aus: 97,8 Prozent wie bei ihrem Erstantritt vor drei Jahren dürften es zwar nicht werden. Aber eine Blamage erwarten nicht einmal Rendi-Wagners Kritiker. Unzufriedenheit müsse sich nicht zwingend in Streichungen am Parteitag ausdrücken, heißt es. Vielen sei auch wichtig, dass die SPÖ ein geschlossenes Bild abgibt. Die Aussicht auf einen Kanzlersturz verbindet.
Eine indirekte Wahlempfehlung für Rendi-Wagner gab es diese Woche vom eigentlichen Machthaber in der SPÖ. „Es gibt eine sehr starke Zustimmung für unsere Bundesparteivorsitzende“, versicherte Bürgermeister Michael Ludwig, nachdem Rendi-Wagner – wohl nicht zufällig in der Woche vor dem Parteitag – die Wiener SPÖ-Gremien besucht hatte. Gerade in der Coronakrise habe sie „sehr viel Fingerspitzengefühl und Kompetenz“bewiesen, findet Ludwig. Sollte es also zu einer Neuwahl kommen, könne Rendi-Wagner „selbstverständlich“damit rechnen, Spitzenkandidatin zu werden.
So selbstverständlich war das auch in Wien nicht immer. Doch ein Mitgliedervotum im Frühjahr 2020 (71,4 Prozent stimmten für Rendi-Wagners Verbleib), eine Pandemie und ein Mangel an mehrheitsfähigen Alternativen hat die Stimmung zu Rendi-Wagners Gunsten gedreht. In der SPÖ ist, zumindest an der Oberfläche, wieder Ruhe eingekehrt.
Machtverhältnisse
Dafür haben neben Ludwig auch andere Fürsprecher der Parteichefin gesorgt. Die Zweite Nationalratspräsidentin, Doris Bures, etwa, der Kärntner Landeshauptmann, Peter Kaiser, oder auch die roten Gewerkschafter, denen Rendi-Wagner beinahe jeden Wunsch erfüllt.
Hier liegt auch eine der Ursachen für den Konflikt mit Hans Peter Doskozil: Der Landeshauptmann hätte sich nach dem Gewinn der Absoluten im Jänner 2020 erwartet, dass der burgenländische Mindestlohn (1700 Euro netto) ins Programm der Bundespartei übernommen wird. Damit hätte man aber ins Kerngeschäft der Gewerkschafter eingegriffen, weshalb sich Rendi-Wagner und ihre Berater entschieden haben, lieber für eine Arbeitszeitverkürzung einzutreten.
Parteifreunde halten das für einen „Streit um des Kaisers Bart“, wie es ein Wiener Roter formuliert. Denn die SPÖ müsse in beiden Bereichen „etwas tun“, bei der Arbeitszeit und bei den Löhnen. Doch das rote Familienporzellan ist zerschlagen. Doskozil hat sich aus allen Parteigremien zurückgezogen und setzt im Burgenland seine eigenen Vorstellungen von sozialdemokratischer Politik um.
Andere (Ex-)Kritiker versucht Rendi-Wagner einzubinden. Der Niederösterreicher Franz Schnabl wird einer ihrer Stellvertreter. Der Tiroler Georg Dornauer hat sich vom West-Doskozil zum RendiWagner-Fan gewandelt, was vielen Genossen durchaus ein Rätsel ist. Und der steirische Nationalratsabgeordnete Max Lercher, von RendiWagner einst als Bundesgeschäftsführer entlassen, zieht nun sogar in den SPÖ-Vorstand ein.
Die steirische SPÖ besuchte Rendi-Wagner dann übrigens am Mittwoch und fuhr mit einer Wahlempfehlung von Landesparteichef Anton Lang wieder nach Wien.
Themen
Inhaltlich will die SPÖ am Parteitag zeigen, dass sie ein breites Portfolio hat. Zehn Leitanträge aus ebenso vielen Themenbereichen wurden eingebracht, wobei eine freiwillige, geförderte Viertagewoche (mit 90-prozentigem Lohnausgleich) auf der Liste ganz oben steht.
Hinzu kommen rote Evergreens wie Vermögensteuern, gedeckelte Managergehälter, eine sechste Urlaubswoche für alle und freier Hochschulzugang; außerdem neue Forderungen wie die Abschaffung aller Selbstbehalte im Gesundheitswesen (etwa der Rezeptgebühren), ein der Pandemie geschuldetes Bonussemester an den Schulen oder auch ein „Ökobonus plus“, also ein Co2-Steuerausgleich für die Haushalte.
Staatsbürgerschaft
Eine neues Staatsbürgerschaftsrecht dagegen ist nicht auf der Agenda, obwohl sich die SPÖ zuletzt für einen leichteren Zugang ausgesprochen hat. Überhaupt scheint man dem umstrittenen Themenkomplex Migration keinen breiten (Diskussions-)Raum geben zu wollen. Anträge wie jener der SPÖ Alsergrund, die Hürden für einen Zweitpass zu senken, sollen am Parteitag bloß der Arbeitsgruppe Migration zugewiesen werden.
An der Basis fragen sich viele Sozialdemokraten nach wie vor, warum man ausgerechnet jetzt, da gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz ermittelt wird, der ÖVP ihr Leibthema serviert hat. Man munkelt, dass damit die Rendi-Wagnerkritische SJ besänftigt werden sollte. Offiziell heißt es nur: Nach drei Jahren sei es an der Zeit gewesen, dass die Arbeitsgruppe Migration den Vorschlag präsentiert.
Am linken SPÖ-Flügel und bei Grün-Wählern kam die Botschaft gut an, im türkisen oder gar freiheitlichen Lager ist für die SPÖ damit aber nichts zu holen: 60 Prozent der Österreicher wollen nämlich nicht, dass die Staatsbürgerschaft schneller vergeben wird, wie eine Umfrage von Unique Research für „Profil“gezeigt hat. Ein Sozialdemokrat hält die Vorgangsweise dennoch für legitim: der Vorschlag sei gar nicht schlecht, weil er polarisiere. Aber klar sei auch, „dass Staatsbürgerschaften nicht das Hauptthema der SPÖ in einem Wahlkampf sein können“.