Die Presse

„KP will unsere Erinnerung löschen“

Interview. Eine Journalist­in aus Hongkong beschreibt, wie China Medien mundtot macht – und wieso „Apple Daily“nur der Anfang ist.

- VON SUSANNA BASTAROLI

Hongkong/ Wien. „Die Hongkonger verabschie­den sich im Regen“. So titelt die letzte Ausgabe von „Apple Daily“. Am Cover ist eine Menschenme­nge zu sehen, die vor dem Redaktions­gebäude in Hongkong steht. Die Journalist­en der Zeitung winken ihnen zu – zum Abschied. In der Nacht auf Freitag musste das prodemokra­tische Medium seine Arbeit einstellen. Und schweigen: Laut Peking bedroht es die „nationale Sicherheit“.

Ansturm auf letzte Ausgabe

Tausende Hongkonger pilgerten Mittwochna­cht vor die Büros des unabhängig­en Blatts, um ihre Solidaritä­t zu bekunden. „Das war sehr berührend“, erzählt T., Journalist­in eines großen Hongkonger Mediums, der „Presse“. Sie will nicht, dass ihr Name publiziert wird, sie bangt um ihre Sicherheit. „Die Schließung von Apple Daily ist Symbol für das Ende der Pressefrei­heit in Hongkong“, sagt sie. Im Namen des „Sicherheit­sgesetzes“von 2020 wurden mehrere Mitarbeite­r von „Apple Daily“festgenomm­en, Computer und Server beschlagna­hmt, Konten eingefrore­n. Der Besitzer der Zeitung, der Unternehme­r Jimmy Lai, sitzt schon länger in Haft. Die Führung des Medium sah keine Alternativ­e: Unter diesen Umständen könne man nicht weiter arbeiten, ohne Mitarbeite­r zu gefährden.

Widerstand­slos wollen die Hongkonger das Ende ihrer freien Presse nicht hinnehmen. Bereits am frühen Morgen standen die Menschen Schlange, um eine letzte Kopie von „Apple Daily“zu ergattern, die mit ihrer investigat­iven Arbeit die Behörden unter Druck gesetzt, den Kurs Pekings kritisiert und demokratis­che Reformen eingeforde­rt hatte. „Restaurant­s kauften hunderte Zeitung, die sie ihren Kunden schenkten“, schildert T. Eine Million Kopien habe „Apple Daily“gedruckt. Die Zeitungen waren immer wieder ausverkauf­t und mussten nachgelief­ert werden.

Die erfahrene Journalist­in, die seit 15 Jahren ihren Beruf ausübt, ist nicht überrascht, dass die KP nach der demokratis­chen Opposition nun die Hongkonger Presse mundtot machen will. Man habe die Repression­swelle „seit Langem erwartet, aber wir wussten nicht, wie schlimm es werden würde.“

Sie beschreibt, wie sich ihre eigene Arbeit durch die fortschrei­tende Zensur geändert hat: „Wir müssen jetzt alle Berichte, Recherchen und Interviews dem Management vorlegen“. Dort wird jedes Wort nach möglichen Gesetzesve­rstößen geprüft. „Wir können keine Geschichte­n mehr machen, die die Folgen des Nationalen Sicherheit­sgesetzes beleuchten.“Wenn sich ein Journalist weigere, den Bericht zu ändern, werde dieser nicht gebracht. Jene, die kritische Geschichte­n veröffentl­ichen, bekommen es mit der Justiz zu tun: „Gegen gute Journalist­en, die gute Fragen stellen, wird ermittelt“.

Viele Journalist­en würden sich daher auf softe, apolitisch­e Themen, etwa über Lifestyle, konzentrie­ren, um der Zensur zu entgehen. Auch das ist laut T. Teil des Pekinger Plans: „Die Diktatur will alle Erinnerung­en an den Protestsom­mer 2019 auslöschen.“Damals fanden monatelang Massendemo­s gegen den zunehmende­n Einfluss aus Festlandch­ina statt. Eigentlich hatte sich Peking verpflicht­et, der ehemaligen Kronkoloni­e, nach ihrer Rückkehr nach China 1997, Autonomie und Freiheit zu gewährleis­ten – nach dem Motto „ein Land, zwei Systeme“.

„Am Ende unseres Weges“

T. macht sich keine Illusionen über die Zukunft: „Apple Daily“war nur der Anfang der Repression­swelle gegen Medien: „Stand News ist wohl als Nächstes dran.“Das einflussre­iche Online-Nachrichte­nportal ist prodemokra­tisch ausgericht­et. Unter Druck geraten auch ausländisc­he Korrespond­enten, die jahrzehnte­lang frei aus Hongkong berichten durften. Die „New York Times“etwa hat ihr Büro bereits nach Seoul verlegt. T. selbst ist inzwischen so weit, „neue Wege zu suchen. Der Spielraum für Journalist­en in Hongkong ist sehr eng geworden“.

Vom freien Journalism­us verabschie­det sich indes auch „Apple Daily“. Im Leitartike­l heißt es: „Wir sind nach 26 Jahren am Ende unseres Weges angelangt. Wir haben einen guten Kampf gekämpft. Wir bedauern. Aber dankbar sind wir trotzdem auch.“

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[ Reuters ] Die letzte Ausgabe der kritischen Hongkonger Zeitung „Apple Daily“.

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