„KP will unsere Erinnerung löschen“
Interview. Eine Journalistin aus Hongkong beschreibt, wie China Medien mundtot macht – und wieso „Apple Daily“nur der Anfang ist.
Hongkong/ Wien. „Die Hongkonger verabschieden sich im Regen“. So titelt die letzte Ausgabe von „Apple Daily“. Am Cover ist eine Menschenmenge zu sehen, die vor dem Redaktionsgebäude in Hongkong steht. Die Journalisten der Zeitung winken ihnen zu – zum Abschied. In der Nacht auf Freitag musste das prodemokratische Medium seine Arbeit einstellen. Und schweigen: Laut Peking bedroht es die „nationale Sicherheit“.
Ansturm auf letzte Ausgabe
Tausende Hongkonger pilgerten Mittwochnacht vor die Büros des unabhängigen Blatts, um ihre Solidarität zu bekunden. „Das war sehr berührend“, erzählt T., Journalistin eines großen Hongkonger Mediums, der „Presse“. Sie will nicht, dass ihr Name publiziert wird, sie bangt um ihre Sicherheit. „Die Schließung von Apple Daily ist Symbol für das Ende der Pressefreiheit in Hongkong“, sagt sie. Im Namen des „Sicherheitsgesetzes“von 2020 wurden mehrere Mitarbeiter von „Apple Daily“festgenommen, Computer und Server beschlagnahmt, Konten eingefroren. Der Besitzer der Zeitung, der Unternehmer Jimmy Lai, sitzt schon länger in Haft. Die Führung des Medium sah keine Alternative: Unter diesen Umständen könne man nicht weiter arbeiten, ohne Mitarbeiter zu gefährden.
Widerstandslos wollen die Hongkonger das Ende ihrer freien Presse nicht hinnehmen. Bereits am frühen Morgen standen die Menschen Schlange, um eine letzte Kopie von „Apple Daily“zu ergattern, die mit ihrer investigativen Arbeit die Behörden unter Druck gesetzt, den Kurs Pekings kritisiert und demokratische Reformen eingefordert hatte. „Restaurants kauften hunderte Zeitung, die sie ihren Kunden schenkten“, schildert T. Eine Million Kopien habe „Apple Daily“gedruckt. Die Zeitungen waren immer wieder ausverkauft und mussten nachgeliefert werden.
Die erfahrene Journalistin, die seit 15 Jahren ihren Beruf ausübt, ist nicht überrascht, dass die KP nach der demokratischen Opposition nun die Hongkonger Presse mundtot machen will. Man habe die Repressionswelle „seit Langem erwartet, aber wir wussten nicht, wie schlimm es werden würde.“
Sie beschreibt, wie sich ihre eigene Arbeit durch die fortschreitende Zensur geändert hat: „Wir müssen jetzt alle Berichte, Recherchen und Interviews dem Management vorlegen“. Dort wird jedes Wort nach möglichen Gesetzesverstößen geprüft. „Wir können keine Geschichten mehr machen, die die Folgen des Nationalen Sicherheitsgesetzes beleuchten.“Wenn sich ein Journalist weigere, den Bericht zu ändern, werde dieser nicht gebracht. Jene, die kritische Geschichten veröffentlichen, bekommen es mit der Justiz zu tun: „Gegen gute Journalisten, die gute Fragen stellen, wird ermittelt“.
Viele Journalisten würden sich daher auf softe, apolitische Themen, etwa über Lifestyle, konzentrieren, um der Zensur zu entgehen. Auch das ist laut T. Teil des Pekinger Plans: „Die Diktatur will alle Erinnerungen an den Protestsommer 2019 auslöschen.“Damals fanden monatelang Massendemos gegen den zunehmenden Einfluss aus Festlandchina statt. Eigentlich hatte sich Peking verpflichtet, der ehemaligen Kronkolonie, nach ihrer Rückkehr nach China 1997, Autonomie und Freiheit zu gewährleisten – nach dem Motto „ein Land, zwei Systeme“.
„Am Ende unseres Weges“
T. macht sich keine Illusionen über die Zukunft: „Apple Daily“war nur der Anfang der Repressionswelle gegen Medien: „Stand News ist wohl als Nächstes dran.“Das einflussreiche Online-Nachrichtenportal ist prodemokratisch ausgerichtet. Unter Druck geraten auch ausländische Korrespondenten, die jahrzehntelang frei aus Hongkong berichten durften. Die „New York Times“etwa hat ihr Büro bereits nach Seoul verlegt. T. selbst ist inzwischen so weit, „neue Wege zu suchen. Der Spielraum für Journalisten in Hongkong ist sehr eng geworden“.
Vom freien Journalismus verabschiedet sich indes auch „Apple Daily“. Im Leitartikel heißt es: „Wir sind nach 26 Jahren am Ende unseres Weges angelangt. Wir haben einen guten Kampf gekämpft. Wir bedauern. Aber dankbar sind wir trotzdem auch.“