Mit 38 auf dem Gipfel
Georg-Büchner-Preis. Der gebürtige Grazer gehört zu den jüngsten Büchner-Preisträgern. Die Imagination ist bei ihm Kerker und Rettung zugleich.
Der gebürtige Grazer Clemens Setz gehört zu den jüngsten BüchnerPreisträgern. Die Imagination ist bei ihm Kerker und Rettung zugleich.
Er ist so alt wie Ingeborg Bachmann, als sie den Preis erhielt, und vier Jahre älter als Hans Magnus Enzensberger es war, der immer noch den Jugendrekord hält: Der Österreicher Clemens Setz, 38 Jahre alt, zählt zu den jüngsten mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichneten Autorinnen und Autoren.
Und das ist nicht irgendein, sondern der renommierteste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum. Die Reihe der Preisträger liest sich wie ein Who is who der (männlichen) Literatur seit der Nachkriegszeit: Benn, Böll, Celan, Canetti, Frisch, Dürrenmatt, Bernhard, Handke . . . Jelinek, Bachmann und Mayröcker sind auch dabei. Erst zehn österreichische Autoren und Autorinnen seit 1951 haben den Preis bekommen.
Vergeben wird er von der eher (sprach-) konservativen Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Diese nannte Setz in ihrer Begründung am Dienstag „einen Sprachkünstler, der mit seinen Romanen und Erzählungen immer wieder menschliche Grenzbereiche erkundet. Seine bisweilen verstörende Drastik sticht ins Herz unserer Gegenwart, weil sie einem zutiefst humanistischen Impuls folgt.“
Mit 50.000 Euro ist der Preis dotiert, ein Autor wie Setz kann das gut brauchen. Er ist renommiert, seine Texte werden mit Kritikerlob überhäuft, liegen in jeder Buchhandlung. Andererseits sperren sie sich gegen Einordnungen und damit leichte Buchmarktverwertbarkeit. Bestes Beispiel ist sein jüngstes Buch, „Die Bienen und das Unsichtbare“. Ist das ein Roman, ein Sachbuch, Autofiktion, etwas Blogartiges, eine Anthologie? Von allem ist es etwas und noch viel mehr, jedenfalls aber ist es in höchstem Maße eigen in seiner Art: ab-seitig im besten Sinn.
Plansprache und 1000 Seiten Paranoia
In Plansprachen taucht Setz hier ein, lässt den Leser teilhaben an seiner Erkundung von Volapük, Esperanto, Laadan,´ Blissymbolics, Klingonisch et cetera, übersetzt Gedichte aus diesen Sprachen ins Deutsche. Vor allem aber folgt er den ungewöhnlichen Lebensgeschichten mancher „Geheimagenten dieser Parallelwelten“(wie er es im Interview mit der „Presse“nannte): etwa des blinden Esperanto-Poeten Jeroschenko, der den zu seiner Zeit wichtigsten chinesischen Dichter beeinflusste; oder des KZ-Überlebenden Charles Bliss, der von einer eindeutigen, Propaganda verunmöglichenden Sprache träumte und dann selbst zum Sprachdiktator wurde.
Bei alledem geht es auch um Befreiung, Selbstbefreiung – durch den Geist, die Sprache, konstruierte Welten. Das ist in Setz’ Büchern der helle Gegenpol zur dunklen Seite: dem zwanghaften Sich-Verlieren in verstörenden Innen- und Fantasiewelten.
Behinderte Menschen ebenso wie Männer mit der Anmutung verirrter Geheimagenten findet man auch im 1000 Seiten dicken, in Graz spielenden Roman „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“, den Setz davor veröffentlichte. „Männer“, sagt darin die Behindertenbetreuerin Natalie, erschienen ihr „wie traurige Geheimagenten, deren Auftraggeberland nicht mehr existiert“. Natalie wird Zeugin einer Stalking-Beziehung zwischen einem Mann im Rollstuhl und seinem regelmäßigen Besucher, doch der ganze Roman ist voll von Paranoia.
Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises landete 2012 der Roman „Indigo“. Darin setzte der Autor den Mathematiklehrer Clemens Setz (der er einmal werden wollte) in ein laborhaftes steirisches Internat für Kinder mit dem rätselhaften Indigo-Syndrom. Ihre Nähe löst bei Mitmenschen Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen aus, der Lehrer versucht die Krankheit zu ergründen. Was ihm nicht gut bekommt.
Zwei Romane waren es auch, die Setz nach frühen Gedichten und Erzählungen bekannt machten; beide handelten von VaterSohn-Beziehungen. „Söhne und Planeten“verblüffte 2007 mit seiner legeren Reife, zwei Jahre später – inzwischen hatte Setz schon einen Preis beim Bachmann-Wettlesen abgeräumt – wurde „Die Frequenzen“für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Vogelstraußtrompete und Osbick-Vogel
Setz’ erster Erzählband, „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes“, erhielt 2011 den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse. Einen weiteren Band, „Der Trost der runden Dinge“, hat er inzwischen veröffentlicht. Dazu kommen kleine Juwelen wie die Gedichte im Band „Die Vogelstraußtrompete“. Und Übersetzungen: 2020 erschien eine Neuausgabe von „Der Osbick-Vogel“, bereits das dritte von ihm übersetzte Buch des USAutors und Illustrators Edward Gorey, Spezialist für drastischen Nonsens-Humor.
Setz’ Bücher sind so faszinierend wie schwer zu fassen, das spiegelt sich in den Kritikerkomplimenten: „literarischer Extremist im besten Sinn“, „Außerirdischer der deutschsprachigen Literatur“. . . Setz lesen heißt, aus der „Wirklichkeit“in verstörende, dabei unglaublich verspielte Welten abgesaugt zu werden. Diesen Sog schafft Setz’ Sprache, für die er nun den renommiertesten deutschsprachigen Literaturpreis bekommt.
Was ihn hier vielleicht besonders freuen wird – die Gesellschaft Ernst Jandls. Begeisterung für dessen Gedichte haben ihn einst zum Schreiben animiert.