Impfpflicht schränkt die Freiheit ein, keine Impfpflicht aber auch
In Gesundheitsberufen wäre es richtig, Mitarbeiter zur Immunisierung zu verpflichten. Zur generellen Steigerung der Impfquote sollte anderes reichen.
Einmal mehr machte der Verfassungsgerichtshof (VfGH) klar, dass auch in einer Pandemie Grundrechte gelten. Er entschied, dass die zeitweilige Beschränkung der Höchstteilnehmerzahl bei Begräbnissen auf 50 Personen zu stark ins Privatleben eingriff. Umgekehrt sagten die Richter aber auch, dass mehrere Maßnahmen, wie eine Maskenpflicht im Handel oder Ausreisetests beim Verlassen Tirols, gerechtfertigt waren. Und bereits im Vorjahr hatte der VfGH erklärt, dass selbst Maßnahmen wie strikte Ausgangsregeln gerechtfertigt sein können, wenn man sie nur ausreichend begründet. Die zentrale Frage in nächster Zeit wird in Anbetracht der wieder steigenden Coronazahlen aber vor allem eine sein: Wäre eine Impfpflicht in Ordnung?
Rechtlich ist die Antwort recht klar: ja. Eine Impfpflicht gab es in Österreich früher schon gegen Pocken. In anderen Ländern sind Impfpflichten weiter aktuell. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat klargemacht, dass ein Impfzwang gerechtfertigt sein kann. 2012 ging es um eine Immunisierung gegen Diphtherie in der Ukraine. Und erst heuer erklärte der EGMR die tschechischen Regeln – man muss den Nachwuchs gegen Kinderkrankheiten impfen lassen – für zulässig. In einer Pandemie und bei Corona wird man Bürger dann erst recht verpflichten können.
Ö sterreichs Regierung will aber keine generelle Impfpflicht. Mehrere Bundesländer sprachen sich jedoch für eine solche bei neuen Mitarbeitern im Gesundheitsbereich aus. Vom Land Niederösterreich und aus Wien kommen Vorstöße für eine Impfpflicht bei neu angestellten Pädagogen. Während Bildungsminister Heinz Faßmann erklärte, hier keine lex specialis zu wollen. Wenn, dann müsse man eine Impfpflicht für alle Berufe mit engem Kontakt zu Menschen diskutieren.
Das Thema ist zweischneidig. Einerseits soll man erwachsenen Menschen zugestehen, selbst Entscheidungen über ihren Körper zu treffen. Und Impfgegner sind keine einheitliche Gruppe. Neben wirren Verschwörungstheoretikern gibt es auch Leute, die schlicht Angst vor neu entwickelten Impfstoffen haben. Das ist legitim. Wenngleich zu dieser Verunsicherung stark Fake News und falsche Gerüchte beitragen, während seriöse Wissenschaftler sagen, dass die Impfstoffe insgesamt gut verträglich sind. Juristisch aus der Welt schaffen lässt sich jedenfalls die kursierende Behauptung, es sei unklar, wer für etwaige Impfschäden bei Corona hafte. Es ist dies der Staat.
Und es geht beim Impfen auch um den Schutz Dritter. Um Kinder oder Personen, die sich wegen Vorerkrankungen nicht impfen lassen können. Aber auch um Menschen, die drohen, ihre wirtschaftliche Existenz bei einem weiteren Lockdown zu verlieren. Eine Pflichtimpfung ist definitiv ein Eingriff in die Freiheit. Aber dem steht die Freiheit von Menschen gegenüber, aus jedem Grund auf die Straße gehen und jede Person treffen zu können. Das Verständnis für weitere Lockdowns ist bei Geimpften zu Recht nicht mehr vorhanden.
Und die Freiheit eines Menschen endet dort, wo sie andere zu sehr beeinträchtigt. Wer ins Spital oder Pflegeheim muss, hat das Recht, geschützt zu sein. Deswegen wäre eine generelle Impfpflicht beim Gesundheitspersonal (nicht nur für Neuanstellungen) richtig. Bei Lehrern kann man schon länger drüber diskutieren. Sie haben aber viel mit Kindern unter zwölf Jahren zu tun, die sich nicht impfen lassen können. Dem restlichen Teil der Bevölkerung soll man nach jetzigem Stand jedoch die Freiheit zugestehen, ungeimpft zu bleiben, solang keine weiteren Lockdowns notwendig werden.
Um ebendiese Lockdowns und eine Überbelastung der Spitäler im Herbst zu vermeiden, spräche aber nichts dagegen, strengere Maßnahmen zu setzen, zum Schutz aller und für eine bessere Impfquote. Etwa, dass man Lokale nur noch als Geimpfter betreten darf oder wenn man sich nachweislich nicht impfen lassen kann (diesfalls dann aber mit Test). Der Wunsch nach einem Bier könnte bei manchem Mitbürger schließlich schwerer wiegen als die wissenschaftliche Empfehlung, sich impfen zu lassen.