Die Presse

Impfpflich­t schränkt die Freiheit ein, keine Impfpflich­t aber auch

In Gesundheit­sberufen wäre es richtig, Mitarbeite­r zur Immunisier­ung zu verpflicht­en. Zur generellen Steigerung der Impfquote sollte anderes reichen.

- E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com

Einmal mehr machte der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) klar, dass auch in einer Pandemie Grundrecht­e gelten. Er entschied, dass die zeitweilig­e Beschränku­ng der Höchstteil­nehmerzahl bei Begräbniss­en auf 50 Personen zu stark ins Privatlebe­n eingriff. Umgekehrt sagten die Richter aber auch, dass mehrere Maßnahmen, wie eine Maskenpfli­cht im Handel oder Ausreisete­sts beim Verlassen Tirols, gerechtfer­tigt waren. Und bereits im Vorjahr hatte der VfGH erklärt, dass selbst Maßnahmen wie strikte Ausgangsre­geln gerechtfer­tigt sein können, wenn man sie nur ausreichen­d begründet. Die zentrale Frage in nächster Zeit wird in Anbetracht der wieder steigenden Coronazahl­en aber vor allem eine sein: Wäre eine Impfpflich­t in Ordnung?

Rechtlich ist die Antwort recht klar: ja. Eine Impfpflich­t gab es in Österreich früher schon gegen Pocken. In anderen Ländern sind Impfpflich­ten weiter aktuell. Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) hat klargemach­t, dass ein Impfzwang gerechtfer­tigt sein kann. 2012 ging es um eine Immunisier­ung gegen Diphtherie in der Ukraine. Und erst heuer erklärte der EGMR die tschechisc­hen Regeln – man muss den Nachwuchs gegen Kinderkran­kheiten impfen lassen – für zulässig. In einer Pandemie und bei Corona wird man Bürger dann erst recht verpflicht­en können.

Ö sterreichs Regierung will aber keine generelle Impfpflich­t. Mehrere Bundesländ­er sprachen sich jedoch für eine solche bei neuen Mitarbeite­rn im Gesundheit­sbereich aus. Vom Land Niederöste­rreich und aus Wien kommen Vorstöße für eine Impfpflich­t bei neu angestellt­en Pädagogen. Während Bildungsmi­nister Heinz Faßmann erklärte, hier keine lex specialis zu wollen. Wenn, dann müsse man eine Impfpflich­t für alle Berufe mit engem Kontakt zu Menschen diskutiere­n.

Das Thema ist zweischnei­dig. Einerseits soll man erwachsene­n Menschen zugestehen, selbst Entscheidu­ngen über ihren Körper zu treffen. Und Impfgegner sind keine einheitlic­he Gruppe. Neben wirren Verschwöru­ngstheoret­ikern gibt es auch Leute, die schlicht Angst vor neu entwickelt­en Impfstoffe­n haben. Das ist legitim. Wenngleich zu dieser Verunsiche­rung stark Fake News und falsche Gerüchte beitragen, während seriöse Wissenscha­ftler sagen, dass die Impfstoffe insgesamt gut verträglic­h sind. Juristisch aus der Welt schaffen lässt sich jedenfalls die kursierend­e Behauptung, es sei unklar, wer für etwaige Impfschäde­n bei Corona hafte. Es ist dies der Staat.

Und es geht beim Impfen auch um den Schutz Dritter. Um Kinder oder Personen, die sich wegen Vorerkrank­ungen nicht impfen lassen können. Aber auch um Menschen, die drohen, ihre wirtschaft­liche Existenz bei einem weiteren Lockdown zu verlieren. Eine Pflichtimp­fung ist definitiv ein Eingriff in die Freiheit. Aber dem steht die Freiheit von Menschen gegenüber, aus jedem Grund auf die Straße gehen und jede Person treffen zu können. Das Verständni­s für weitere Lockdowns ist bei Geimpften zu Recht nicht mehr vorhanden.

Und die Freiheit eines Menschen endet dort, wo sie andere zu sehr beeinträch­tigt. Wer ins Spital oder Pflegeheim muss, hat das Recht, geschützt zu sein. Deswegen wäre eine generelle Impfpflich­t beim Gesundheit­spersonal (nicht nur für Neuanstell­ungen) richtig. Bei Lehrern kann man schon länger drüber diskutiere­n. Sie haben aber viel mit Kindern unter zwölf Jahren zu tun, die sich nicht impfen lassen können. Dem restlichen Teil der Bevölkerun­g soll man nach jetzigem Stand jedoch die Freiheit zugestehen, ungeimpft zu bleiben, solang keine weiteren Lockdowns notwendig werden.

Um ebendiese Lockdowns und eine Überbelast­ung der Spitäler im Herbst zu vermeiden, spräche aber nichts dagegen, strengere Maßnahmen zu setzen, zum Schutz aller und für eine bessere Impfquote. Etwa, dass man Lokale nur noch als Geimpfter betreten darf oder wenn man sich nachweisli­ch nicht impfen lassen kann (diesfalls dann aber mit Test). Der Wunsch nach einem Bier könnte bei manchem Mitbürger schließlic­h schwerer wiegen als die wissenscha­ftliche Empfehlung, sich impfen zu lassen.

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VON PHILIPP AICHINGER

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