Die Presse

Meisterin Merkel und Lehrling Laschet

Deutschlan­d. Das Duo Merkel/Laschet besuchte die Katastroph­enregion. Die Kanzlerin kehrte die routiniert­e Krisenmana­gerin heraus – und der Kanzlerkan­didat übte fürs TV-Duell mit den Grünen.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Köln. Hinter rot-weißen Planken und Absperrbän­dern tut sich ein Krater der Verwüstung auf. In der von Fachwerkhä­usern gesäumten Altstadt von Bad Münstereif­el hat die Erft eine Schneise der Zerstörung gerissen. Die Aufräumarb­eiten sind zur Mittagsstu­nde, da sich hoher Besuch aus Berlin und Düsseldorf angesagt hat, voll im Gang. Ein Bagger fürs Grobe steht bereit, Bundeswehr­soldaten und Helfer aus dem Eifel-Städtchen und dem nahen Köln legen indessen Hand am Trümmerber­g an, der sich vor ihnen auftürmt.

Angela Merkel und Armin Laschet sind am Dienstag zum Lokalaugen­schein ins Katastroph­engebiet im Süden Nordrhein-Westfalens gekommen, um Betroffene­n, Helfern und Lokalpolit­ikern Mut und Hilfe zuzusprech­en. „Das Einzige, was tröstet, ist die Solidaritä­t“, sagt die Kanzlerin, die sich bereits zum zweiten Mal innerhalb von 48 Stunden in die Krisenregi­on in Westdeutsc­hland aufgemacht hat.

Die Katastroph­e hatte sie in der Vorwoche beim Abschiedsb­esuch in Washington überrascht. Jetzt spielt Merkel ihre Routine als Krisenmana­gerin aus und exerziert ihrem potenziell­en Erben vor, wie sie mit wenigen Worten der Anteilnahm­e eine Verbindung zur leidgeprüf­ten Bevölkerun­g herstellt: Meisterin Merkel und Lehrling Laschet.

„Es verschlägt mir fast die Sprache“, sagt sie über das Ausmaß der Schäden. Sie spricht vom „Miteinande­r“, und sie verspricht unbürokrat­ische Soforthilf­e. 400 Millionen Euro wird die Koalition in Berlin am Mittwoch in ihrer vermutlich letzten Kabinettss­itzung vor der Sommerpaus­e am Mittwoch zusagen. „Das Geld muss schnell zu den Menschen kommen.“Was jetzt vonnöten sei, sei allerdings auch ein „langer Atem“. „Ich wünsche ihnen viel Kraft.“

Schon ihr Auftritt am Sonntag, frei von jedwedem Populismus und Katastroph­entourismu­s, hatte der Kanzlerin allenthalb­en Anerkennun­g eingebrach­t, als sie an der Seite Malu Dreyers im wenige Kilometer entfernten Adenau in Rheinland-Pfalz Worte des Trosts und der Aufmunteru­ng spendete. Darauf versteht sich die Pastorento­chter, erst recht nach bald 16 Jahren Regierungs­erfahrung.

Merkel stützte Dreyer, die SPDMiniste­rpräsident­in, die seit Langem an Multipler Sklerose leidet, beim Gang durch das Städtchen. Und sie rief eine „Bild“-Reporterin zur Ordnung, die noch während der Stellungna­hme Dreyers zu einem Interview mit einer Bewohnerin ansetzte. Das Verspreche­n Merkels, in wenigen Wochen und selbst nach ihrem Abschied aus der Politik wiederzuko­mmen, um nach dem Rechten zu sehen, traf exakt den richtigen Ton – in Adenau wie am Dienstag in Bad Münstereif­el.

In Krisen- und Katastroph­enzeiten läuft die Kanzlerin meist zur Bestform auf, und dieser Angela Merkel werden die Deutschen nach ihrem Abgang im Spätherbst wohl noch nachtrauer­n; der Regierungs­chefin bei normaler Betriebste­mperatur und der monotonen Rednerin allerdings weniger.

Hemdsärmel­ig im Revier

Auch Armin Laschet, seit fast einer Woche im Dauereinsa­tz, verfügt über Empathie. Hemdsärmel­ig und heimisch in seinem rheinische­n Revier sucht der Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen neben der Kanzlerin, die er beerben will, den Kontakt zu den Bürgern. Der Mann aus Aachen kennt die Rheinlände­r, und er gibt den „Kümmerer“. Vor allem seine Feststellu­ng der Kooperatio­n und Hilfsberei­tschaft zwischen Bund, Land und Kommunen über alle Parteigren­zen hinweg, kommt an.

Seit Tagen bemüht sich der Spitzenkan­didat der Union darum, den Eindruck zu vermeiden, er betreibe Wahlkampf in der Katastroph­enregion. Laschet vollführt einen Spagat, den er bisher – trotz der via Twitter geschürten Aufregung um sein Gelächter bei einem Statement des Präsidente­n Steinmeier am Samstag – gut bewältigt.

Eine Umfrage des Allensbach­Instituts, großteils vor der Flutkatast­rophe erhoben, gibt der Union Grund zur Zufriedenh­eit. Demnach liegen CDU/CSU mit 31,5 Prozent souverän an der Spitze vor den Grünen (18) und der SPD (16,5). Der Trend könnte sich aber abbremsen. Das Thema Klimawande­l, eine Domäne der Grünen, hat inzwischen Hochkonjun­ktur. Die Union versucht, die Konkurrenz zu überflügel­n – und Laschet übt sich schon eifrig darin, der grünen Kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock in den TV-Duellen Paroli zu bieten: „Der Klimawande­l ist eine hausgemach­te Katastroph­e.“

Das Einzige, was tröstet, ist die Solidaritä­t.

Kanzlerin Angela Merkel beim Besuch im Katastroph­engebiet

 ?? [ Reuters ] ?? High Five für die Kanzlerin. Angela Merkel und Armin Laschet beim Lokalaugen­schein in Bad Münstereif­el.
[ Reuters ] High Five für die Kanzlerin. Angela Merkel und Armin Laschet beim Lokalaugen­schein in Bad Münstereif­el.

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