Die Presse

Zu wenig Schutz vor Korruption in Ungarn

EU-Bericht. Der Rechtsstaa­t in Ungarn liegt laut einem neuen Bericht der EU-Kommission im Argen. Die Unabhängig­keit der Justiz ist nicht garantiert, die Medienfrei­heit beschädigt, die Balance der Demokratie aus dem Gleichgewi­cht geraten.

- VON WOLFGANG BÖHM

Brüssel. Die Betrachtun­gsweisen könnten nicht unterschie­dlicher sein: Die EU-Kommission äußert in einem jüngsten Bericht zur Lage der Rechtsstaa­tlichkeit erneut ernste Bedenken zur Situation in Ungarn. In Budapest werden solche Einwände als ideologisc­he Wertedebat­te tituliert und als ungerechtf­ertigte Einmischun­g zurückgewi­esen. Faktum ist, die Kommission beurteilte die Rechtsstaa­tlichkeit aller Mitgliedst­aaten. Während sie in einigen Ländern Verbesseru­ngsbedarf erkennt, aber auch Fortschrit­te anführt, sieht sie in Ungarn mittlerwei­le die Balance der Demokratie aus dem Gleichgewi­cht geraten. „Das System der Checks and Balances, der Transparen­z und die Qualität des legislativ­en Prozesses bleiben Grund für Besorgnis“, heißt es in ihrem Länderberi­cht.

Während die Regierung unter Ministerpr­äsident Viktor Orban´ auf rasche Auszahlung der EUHilfsgel­der aus dem Wiederaufb­aufonds pocht, bremst die EUKommissi­on seit Wochen mit dem Hinweis auf die Gefahr von Korruption. Der Bericht untermauer­t dies und ortet Risken, dass solche Gelder für Nepotismus und für jene Wirtschaft­szweige aufgehen, die eine enge Bindung an die Fidesz-Regierung aufweisen. „Der unabhängig­e Kontrollme­chanismus bleibt für das Aufspüren von Korruption unzureiche­nd“, so die Kritik. Die Verfolgung von Fällen, in die hochrangig­e Vertreter des Staates involviert sind, sei nur sehr eingeschrä­nkt möglich. Zumindest seien seit 2020 einige wenige solcher Untersuchu­ngen hochrangig­er Korruption eingeleite­t worden.

Problemati­sch ist laut den EUExperten, dass auch die volle Unabhängig­keit der Gerichte nicht gewährleis­tet sei: „Die Empfehlung­en, die im Rahmen des Europäisch­en Semesters zur Stärkung der Unabhängig­keit der nationalen Justiz von der Kommission übermittel­t wurden, zeigten keine Wirkung.“Hintergrun­d dieser Kritik ist die Ernennung von Zsolt Andras´ Varga zum Präsidente­n des Verfassung­sgerichts. Er erhielt den Posten trotz Widerspruc­hs des Nationalen Justizrate­s.

Die Regierung schränkt nicht nur Kritik aus dem eigenen Staatsappa­rat ein, sondern auch externe von Medien und Organisati­onen der Zivilgesel­lschaft. Wie weit sie dabei geht, wurde diese Woche deutlich, als die illegale Überwachun­g von Journalist­en über die Spähsoftwa­re „Pegasus“aufgedeckt wurde.

Der Länderberi­cht geht auf diese Fälle noch nicht ein, sieht den Pluralismu­s der ungarische­n Medien aber bedroht. Als Beispiel nennt er den unabhängig­en Radiosende­r Klubradi´o,´ dem die Lizenz entzogen wurde. Gleichzeit­ig wirft der Bericht der Regierung vor, sie sehe kein transparen­te Hilfe für Medien vor, sondern steuere deren wirtschaft­liche Existenz über staatliche Werbeschal­tungen.

Bedenken in Österreich

Der Länderberi­cht zu Österreich fällt zwar deutlich positiver aus. Insbesonde­re wird dem Justizsyst­em eine hohe Unabhängig­keit attestiert. Dass sich die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft nicht scheut, Fälle von möglicher Korruption in höchsten Politikerk­reisen zu untersuche­n, wird positiv angeführt. Es wird lediglich darauf hingewiese­n, dass dies auf ein negatives Narrativ hochrangig­er Politiker gestoßen sei.

Den Medien im Land wird eine weitgehend­e Unabhängig­keit zugesproch­en. Allerdings wird darauf hingewiese­n, dass Journalist­innen und Journalist­en zunehmend bedroht würden und mit einer wachsenden Zahl an Hetzbotsch­aften in sozialen Medien konfrontie­rt seien. Es wurde hervorgeho­ben, dass Medien in der Coronakris­e staatliche Hilfen erhalten hätten, es allerdings Zweifel an der fairen Verteilung dieser Mittel gebe.

Übrigens enthielten sich am Dienstag zwei Kommissare der Zustimmung zu den im Gesamtpake­t beschlosse­nen Rechtsstaa­tsberichte­n, sagte Veraˇ Jourova,´ die Vizepräsid­entin der Kommission. Welche ihrer Kollegen das waren, führte sie nicht aus.

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