Hat es Sinn, kurze Flüge zu verbieten?
Mobilität. In der Klimakrise hat das Flugzeug ein Imageproblem: Paris verbietet Inlandsflüge, Berlin diskutiert. Die Bahn soll Kurzflüge in Europa ersetzen. Das klingt mitunter besser, als es ist.
Wien. Frankreich machte den ersten Schritt: Im Mai hat das Parlament ein Gesetz durchgewunken, wonach kurze Inlandsflüge verboten sind, wenn die Passagiere die Strecke auch in maximal 2,5 Stunden mit der Bahn erreichen können. Seitdem fordern zumindest die deutschen Grünen lautstark das gesetzliche Ende für Inlandsflüge auch in der Bundesrepublik. Der ökologische Ballast der Kurztrips in der Luft sei einfach zu hoch, so die Argumentation. Bis 2050 soll der gesamte europäische Verkehr in Richtung Nullemissionen gehen. Die Kurzstrecke, so fordern viele, müsse der Bahn weichen. „Attraktive Verbindungen mit Nacht- und Hochgeschwindigkeitszügen machen viele innereuropäische Flüge überflüssig“, heißt es auch im österreichischen Masterplan Mobilität, den die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler jüngst vorgestellt hat. Die staatlichen ÖBB stocken daher gehorsam ihr Angebot an Nachtzügen quer durch Europa auf. Ob die Menschen – und die Umwelt – vom Ende der Kurzstreckenflüge wirklich profitieren, ist hingegen längst noch nicht geklärt.
Die Idee, Ein- oder Zweistundenflüge mit Nachtzügen nach Venedig und Paris zu ersetzen, ist sympathisch – aber doch eher ein Nischenprogramm. Mehr Chancen, zu einer ernsthaften Konkurrenz heranzuwachsen, haben Hochgeschwindigkeitszüge. Seit die 600 Kilometer lange Strecke Madrid–Barcelona auf der Schiene in etwa 2,5 Stunden zu bewältigen ist, ging die Nachfrage nach Flugtickets auf der Strecke stark zurück. Auch die Eurocontrol, Europas Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, sieht Hochgeschwindigkeitszüge auf Strecken bis zu 500 Kilometern als möglichen Ersatz für das Flugzeug. Dem Klima werde durch diesen Umstieg allerdings kaum geholfen.
Nur 3,8 Prozent der Emissionen
So geht aktuell zwar fast jeder vierte europäische Flug nicht weiter als 500 Kilometer. Das Potenzial für schnelle Züge wäre also groß. Doch das täuscht. Denn auf diesen kurzen Strecken verbrauchen die Flugzeuge vergleichsweise wenig Treibstoff. Die Folge: 24,1 Prozent aller Flüge verursachen nur 3,8 Prozent aller Emissionen der europäischen Luftfahrtbranche, heißt es in einer Studie der Eurocontrol.
Dazu kommt, dass es am Kontinent nur ganz wenige Regionen gibt, in denen auf der Schiene passable Geschwindigkeiten gefahren werden können. Frankreich hat mit Abstand das dichteste Netz an Hochgeschwindigkeitszügen und kann diese – dank Atom- und Wasserkraft – wenn schon nicht „grün“, dann immerhin CO2-arm betreiben. Zum Vergleich: Im europäischen Durchschnitt verursacht die Produktion von einer Kilowattstunde Strom mit 339 Gramm CO2 derzeit sieben Mal so viel Emissionen wie in Frankreich. Und auch die Umweltschäden durch den Ausbau der notwendigen Bahnstrecken würden bisher unter den Tisch gekehrt, argumentieren die Studienautoren. 10.000 Kilometer Schienen sind für Europas Hochgeschwindigkeitszüge geplant. Das verschlinge nicht nur 250 Milliarden Euro und 30.000 Hektar Land, sondern dauere geschätzte 18 bis 26 Jahre. Bis diese Strecken befahren werden können, seien vermutlich bereits die ersten emissionsfreien Flugzeuge unterwegs, glaubt die Eurocontrol und warnt die Staaten davor, alles auf eine Karte zu setzen.
Kombination aus Zug und Flug
Auch die Entwicklung grüner synthetischer Flugtreibstoffe müsse vorangetrieben werden und die Kurzstrecken (schon in ihrer Zubringerfunktion) erhalten bleiben. Die AUA hat es sich zum Ziel gesetzt, ab 2027 keine innerösterreichischen Flüge mehr durchzuführen, „sofern eine direkte Erreichbarkeit deutlich unter drei Stunden nach Wien-Flughafen sichergestellt ist“. Umgesetzt ist das auf der Strecke Wien–Linz–Salzburg. Zwischen Wien und Graz fliegt die AUA jedoch weiterhin.
Für die Branche sind derartige „verlängerte Flüge“, also die Kombination aus Zug und Flug, der Königsweg aus der Klimakrise. Die Europäer sind laut Umfragen von Eurobarometer und Germanwatch zu einem radikaleren Wechsel bereit – sobald die Bahn billiger und ähnlich schnell ist wie der Flug. An der Preisschraube dreht die Politik bereits. Zeit brauchen die Bahnreisenden aber immer noch: Mit dem Zug von Wien nach Venedig zu fahren ist – mit Glück – zwar billig, dauert aber immer noch über zehn Stunden für 600 Kilometer. Das Flugzeug ist in einer Stunde da.