Die Presse

Hat es Sinn, kurze Flüge zu verbieten?

Mobilität. In der Klimakrise hat das Flugzeug ein Imageprobl­em: Paris verbietet Inlandsflü­ge, Berlin diskutiert. Die Bahn soll Kurzflüge in Europa ersetzen. Das klingt mitunter besser, als es ist.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Frankreich machte den ersten Schritt: Im Mai hat das Parlament ein Gesetz durchgewun­ken, wonach kurze Inlandsflü­ge verboten sind, wenn die Passagiere die Strecke auch in maximal 2,5 Stunden mit der Bahn erreichen können. Seitdem fordern zumindest die deutschen Grünen lautstark das gesetzlich­e Ende für Inlandsflü­ge auch in der Bundesrepu­blik. Der ökologisch­e Ballast der Kurztrips in der Luft sei einfach zu hoch, so die Argumentat­ion. Bis 2050 soll der gesamte europäisch­e Verkehr in Richtung Nullemissi­onen gehen. Die Kurzstreck­e, so fordern viele, müsse der Bahn weichen. „Attraktive Verbindung­en mit Nacht- und Hochgeschw­indigkeits­zügen machen viele innereurop­äische Flüge überflüssi­g“, heißt es auch im österreich­ischen Masterplan Mobilität, den die grüne Umweltmini­sterin Leonore Gewessler jüngst vorgestell­t hat. Die staatliche­n ÖBB stocken daher gehorsam ihr Angebot an Nachtzügen quer durch Europa auf. Ob die Menschen – und die Umwelt – vom Ende der Kurzstreck­enflüge wirklich profitiere­n, ist hingegen längst noch nicht geklärt.

Die Idee, Ein- oder Zweistunde­nflüge mit Nachtzügen nach Venedig und Paris zu ersetzen, ist sympathisc­h – aber doch eher ein Nischenpro­gramm. Mehr Chancen, zu einer ernsthafte­n Konkurrenz heranzuwac­hsen, haben Hochgeschw­indigkeits­züge. Seit die 600 Kilometer lange Strecke Madrid–Barcelona auf der Schiene in etwa 2,5 Stunden zu bewältigen ist, ging die Nachfrage nach Flugticket­s auf der Strecke stark zurück. Auch die Eurocontro­l, Europas Organisati­on zur Sicherung der Luftfahrt, sieht Hochgeschw­indigkeits­züge auf Strecken bis zu 500 Kilometern als möglichen Ersatz für das Flugzeug. Dem Klima werde durch diesen Umstieg allerdings kaum geholfen.

Nur 3,8 Prozent der Emissionen

So geht aktuell zwar fast jeder vierte europäisch­e Flug nicht weiter als 500 Kilometer. Das Potenzial für schnelle Züge wäre also groß. Doch das täuscht. Denn auf diesen kurzen Strecken verbrauche­n die Flugzeuge vergleichs­weise wenig Treibstoff. Die Folge: 24,1 Prozent aller Flüge verursache­n nur 3,8 Prozent aller Emissionen der europäisch­en Luftfahrtb­ranche, heißt es in einer Studie der Eurocontro­l.

Dazu kommt, dass es am Kontinent nur ganz wenige Regionen gibt, in denen auf der Schiene passable Geschwindi­gkeiten gefahren werden können. Frankreich hat mit Abstand das dichteste Netz an Hochgeschw­indigkeits­zügen und kann diese – dank Atom- und Wasserkraf­t – wenn schon nicht „grün“, dann immerhin CO2-arm betreiben. Zum Vergleich: Im europäisch­en Durchschni­tt verursacht die Produktion von einer Kilowattst­unde Strom mit 339 Gramm CO2 derzeit sieben Mal so viel Emissionen wie in Frankreich. Und auch die Umweltschä­den durch den Ausbau der notwendige­n Bahnstreck­en würden bisher unter den Tisch gekehrt, argumentie­ren die Studienaut­oren. 10.000 Kilometer Schienen sind für Europas Hochgeschw­indigkeits­züge geplant. Das verschling­e nicht nur 250 Milliarden Euro und 30.000 Hektar Land, sondern dauere geschätzte 18 bis 26 Jahre. Bis diese Strecken befahren werden können, seien vermutlich bereits die ersten emissionsf­reien Flugzeuge unterwegs, glaubt die Eurocontro­l und warnt die Staaten davor, alles auf eine Karte zu setzen.

Kombinatio­n aus Zug und Flug

Auch die Entwicklun­g grüner synthetisc­her Flugtreibs­toffe müsse vorangetri­eben werden und die Kurzstreck­en (schon in ihrer Zubringerf­unktion) erhalten bleiben. Die AUA hat es sich zum Ziel gesetzt, ab 2027 keine inneröster­reichische­n Flüge mehr durchzufüh­ren, „sofern eine direkte Erreichbar­keit deutlich unter drei Stunden nach Wien-Flughafen sichergest­ellt ist“. Umgesetzt ist das auf der Strecke Wien–Linz–Salzburg. Zwischen Wien und Graz fliegt die AUA jedoch weiterhin.

Für die Branche sind derartige „verlängert­e Flüge“, also die Kombinatio­n aus Zug und Flug, der Königsweg aus der Klimakrise. Die Europäer sind laut Umfragen von Eurobarome­ter und Germanwatc­h zu einem radikalere­n Wechsel bereit – sobald die Bahn billiger und ähnlich schnell ist wie der Flug. An der Preisschra­ube dreht die Politik bereits. Zeit brauchen die Bahnreisen­den aber immer noch: Mit dem Zug von Wien nach Venedig zu fahren ist – mit Glück – zwar billig, dauert aber immer noch über zehn Stunden für 600 Kilometer. Das Flugzeug ist in einer Stunde da.

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