IV: Materialknappheit ist bald beseitigt
Die Auftragslage ist gut, doch macht ein Fachkräftemangel den Unternehmen zu schaffen.
Wien. Die österreichische Industrie hat die Pandemie bereits hinter sich gelassen. Zu diesem Schluss kommen Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), sowie IV-Chefökonom Christian Helmenstein. Die Industrie habe bereits Ende des ersten Quartals das Vorkrisenniveau erreicht, die gesamte Volkswirtschaft werde das erst im dritten Quartal schaffen.
Das IV-Konjunkturbarometer (eine Umfrage unter Unternehmern zur gegenwärtigen und künftigen Geschäftslage) ist auf ein Dreijahreshoch geklettert. Dabei wird vor allem die gegenwärtige Geschäftslage rosig gesehen. Für die kommenden sechs Monate sind die Unternehmer per Saldo noch immer optimistisch, aber bereits vorsichtiger.
Nur Halbleiter bleiben knapp
Den Unternehmen machte zuletzt die mangelnde Verfügbarkeit bestimmter Vorprodukte (Schnittholz, Kupfer, Halbleiter) zu schaffen. Bei Schnittholz und Kupfer werde es bald zu einer Entspannung kommen, meint Helmenstein. Da in den USA die Holzpreise nach einem extrem steilen Anstieg wieder nachgegeben haben (siehe Grafik), müssen die US-Firmen nicht mehr so viel Holz aus Europa importieren, was diesseits des Atlantiks für Entspannung sorgen dürfte. Auch der Kupferpreis scheine bereits am Plafond angekommen zu sein. Da es sich aber um Produkte mit höherem Verarbeitungsgrad handle, dürfte die Entspannung bei Preisen und Verfügbarkeit erst in den nächsten Monaten erfolgen.
Lediglich bei Halbleitern müssen sich die Unternehmen darauf einstellen, dass diese noch bis 2023 oder 2024 knapp bleiben. Ursache sei die hohe Nachfrage aufgrund der Transformation zur E- Mobilität und die beschleunigte Digitalisierung.
Doch gebe es neben der Erholung von der Materialknappheit noch weitere positive Anzeichen: Die Auftragsbestände der Unternehmen seien stark gestiegen, obwohl der Interkontinentalverkehr derzeit sehr eingeschränkt sei, man also nicht so leicht Businessreisen etwa in die USA unternehmen könne. Zudem würden auch die Verkaufspreise steigen, die Unternehmen könnten es sich also leisten, die hohen Vorproduktpreise an ihre Kunden weiterzugeben.
Auch der Beschäftigtenstand wachse. Doch stehe man hier zunehmend vor dem auf den ersten Blick paradoxen Problem, dass die Unternehmen den Fachkräftemangel beklagen (40 Prozent der Industriebetriebe würden gerne mehr Leute einstellen, wenn sie welche fänden), während gleichzeitig viele Menschen auf Jobsuche sind.
„Arbeitszeitverkürzung hilft nicht“
Derzeit heiß diskutierte Konzepte wie eine Arbeitszeitverkürzung oder eine Viertagewoche würden dagegen nicht helfen. „Diese alten Hüte sollen in der Hutablage bleiben.“Denn wenn ein Programmierer weniger arbeite, bekomme deswegen kein Hilfsarbeiter einen Job. Es gehe vielmehr um „horizontale Mobilität“zwischen den Branchen, also die Vermittlung branchenübergreifender Kompetenzen, meint Helmenstein.
Eine „Stagflation“(hohe Inflation bei schwachem Wirtschaftswachstum) fürchtet er nicht. Die Weltwirtschaft erlebe heuer mit einem erwarteten Wachstum von sechs Pro
zent den stärksten Aufschwung seit fünf Dekaden. Und die Inflation sei zum Teil temporär (Materialknappheit, Basiseffekte wegen der niedrigen Preise im Vorjahr), zum Teil liege es an der Politik, die Teuerung nicht durch Steuern und Gebühren anzuheizen. Im Wohnbereich gelte es, einer Angebotsknappheit vorzubeugen.
Auch Neumayer sieht als größte mögliche Hürden für einen weiteren Aufschwung den Fachkräftemangel sowie die Nichtumsetzung geplanter Infrastrukturvorhaben. Durch die Baustopps der Linzer Autobahn A26 oder der Wiener Außenringschnellstra
ße S1 seien 27.500 Arbeitsplätze gefährdet. Auch am kürzlich vorgestellten EU-Klimapaket übt Neumayer Kritik: Um eine Abwanderung der emissionsstarken Unternehmen zu verhindern, genüge es nicht, Schutzzölle einzuführen. Man müsse weiterhin gratis CO2-Zertifikate zuteilen, fordert er.