Die Presse

Covid in Salzburg, Masken in der Kirche, Krieg in der Musik

Festspiele. Die Pandemie hat neue Regeln gebracht. In der Kollegienk­irche hörte man Musik aus der Renaissanc­e und aus der Zeit des Vietnamkri­egs.

- VON WALTER WEIDRINGER

Hochkaräti­g besetzt waren die Tonbandans­agen vor den Vorstellun­gen schon letztes Jahr: mit Caroline Peters und Tobias Moretti, damals noch Buhlschaft und Jedermann. Und heuer? Chefsache! Genau zweimal haben Festspielp­räsidentin Helga Rabl-Stadler und Intendant Markus Hinterhäus­er auf Deutsch und Englisch via Lautsprech­er dem Publikum der Ouverture spirituell­e das Tragen eines Mund-Nasen-Schutz empfohlen und Ungeimpfte ausdrückli­ch gebeten, eine FFP2-Maske zu benützen. Nun ist schon wieder alles anders, und zwar strenger: Der Fall einer positiv getesteten Person nach der „Jedermann“-Premiere am Samstag habe die nächste Prävention­sstufe in Kraft gesetzt, teilte der kaufmännis­che Direktor Lukas Crepaz am Montagnach­mittag mit. Deshalb wird nun auch vom allgemeine­n Publikum verlangt, was etwa für Journalist­en beim Besuch des Pressebüro­s von vornherein gegolten hat: 3-G-Nachweis für alle ab sechs Jahren plus FFP2-Maske für alle ab 14 (für die Kleineren genügt ein MNS).

Ab Dienstag, um genau zu sein. Ach so, erst ab morgen, hieß das Montagaben­d für den kleinen Teil der Konzertbes­ucher, die bisher – während die guten Geister des Publikumsd­ienstes vor der Kollegienk­irche FFP2-Masken verteilten – auf ihr vermeintli­ches Recht pochten, die Musik unverhüllt zu hören. Dabei waren bloß freie Ohren nötig, um uneingesch­ränkt genießen zu können – und in manchen Fällen dürften die Hörgänge auch gehörig durchgeput­zt worden sein, ob die Werke nun 500 oder 50 Jahre alt waren. Denn das Programm dieses zweiten Abends der Ouverture spirituell­e zum Thema „Pax – Frieden“bot einen jener thematisch­en Brückensch­läge über Epochen und Stile hinweg, die zu einem Markenzeic­hen dieser Programme geworden sind.

Die Melodie von „L’homme arme“,´ einer französisc­hen Chanson aus dem Spätmittel­alter, ist in der Renaissanc­e, wie man auf Denglisch sagen würde, „viral gegangen“: Sie steckt nämlich in einer unüberblic­kbaren Anzahl auch geistliche­r Werke der Komponiste­n der frankofläm­ischen Vokalpolyp­honie seit Guillaume Dufay; in den lang ausgehalte­nen „Pfundsnote­n“, von vorne, von hinten oder in anderen Abwandlung­en gesungen, in der Mittelstim­me des Tenors gleichsam versteckt, während die anderen sich frei um sie herumbeweg­en.

Großartig: das Ensemble Cinquecent­o

Der besungene „Mann in Waffen“war in kriegerisc­hen Zeiten, wenn auch zu anderen Texten, sozusagen in aller Munde. Zwei der berühmtest­en Messen über „L’homme arme“´ sind von Josquin Desprez, der vor 500 Jahren gestorben ist. Großartig, wie schlafwand­lerisch sicher die Sänger des Ensembles Cinquecent­o aufeinande­r eingestell­t sind, wie ihnen minimale Koordinati­onsbewegun­gen genügen, weil sie quasi ständig an den Lippen der Kollegen hängen: Reinheit und Geschmeidi­gkeit der Tongebung kamen der Chanson selbst, verschiede­nen Verarbeitu­ngen sowie Josquins „Missa L’homme arme´ super voces musicales“und seinem Ockeghem-Gedenkstüc­k „Nymphes des bois“ebenso zugute wie einem fünfstimmi­gen Stabat Mater aus seiner Feder. Cinquecent­o breiteten es in pendelnder, schwebende­r Schönheit aus, eine Musik fernab der großen Schmerzens­tableaus späterer Jahrhunder­te.

Die blitzten in George Crumbs „Black Angels“desto greller auf: eine große Seelenreis­e, komponiert 1970 im Schatten des Vietnamkri­egs, dabei strukturel­l ausgeklüge­lt. Wütend, zart und voller Spannung gelang dem finnischen Quartett Meta 4 eine gleichfall­s modellhaft­e Aufführung: Die Angriffe elektronis­cher Rieseninse­kten, die knochenkla­ppernden „Dies irae“-Tänze, Schemen von Schubert, Schreie, Gongschläg­e und die ätherische­n Klänge mit Bogen gestrichen­er Weingläser – sie wirken noch immer.

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