Die Presse

Die Demokratie ist zurück auf der politische­n Agenda

Regieren. Nur 20 Prozent der Weltbevölk­erung leben in einer Gesellscha­ft, die als vollkommen frei gilt. Das ist zu wenig.

- VON MARK MALLOCH-BROWN

US-Präsident Joe Biden plant einen Demokratie­gipfel und mein Briefkaste­n quillt über vor Einladunge­n zu Konferenze­n über die Themen Demokratie und Menschenre­chte. Diese neue Aufmerksam­keit bedeutet aber nichts Gutes, sondern zeigt, wie stark die Demokratie und der Respekt für Menschenre­chte in den vergangene­n Jahren ausgehöhlt wurden.

Nach einem Bericht der Organisati­on Freedom House leben heute weniger als 20 Prozent der Weltbevölk­erung in Gesellscha­ften, die als vollkommen frei bezeichnet werden können; das ist der niedrigste Anteil seit über einem Vierteljah­rhundert. Viele Länder driften in den Autoritari­smus ab.

Wir kennen die Gründe, warum die Freiheit bedroht ist. In vielen Ländern treiben zunehmende Ungleichhe­it und die Marginalis­ierung vieler Gruppen die Menschen rechtsauto­ritären ( und in manchen Fällen linksextre­men) Regimen in die Arme. Während die Welt versucht, mit der rasanten technologi­schen Entwicklun­g und der wirtschaft­lichen Umstruktur­ierung Schritt zu halten, bezweifeln viele, dass Demokratie­n sich noch anpassen und zukunftswe­isende Politik machen können. Die ungenügend­e Reaktion vieler Demokratie­n auf die Pandemie hat diese Zweifel noch verstärkt.

Das sind schwere Zeiten für diejenigen von uns, die davon überzeugt sind, dass freie Bürger mit demokratis­chen Rechten und dem Schutz des Rechtsstaa­ts die unverzicht­bare Grundlage guten Regierens sind. Ich bin Präsident der größten privaten Stiftung in diesem Bereich. Wenn wir ehrlich sind, wissen wir, dass unser traditione­lles Modell zur Förderung demokratis­cher Werte und Institutio­nen unter Druck steht.

Die Open Society Foundation­s (OSF) wurden in den 1980er-Jahren mit der Überzeugun­g gegründet, dass die Menschen weltweit dringend nach Freiheit verlangen und immer mehr Regierunge­n demokratis­che Regeln und Normen akzeptiere­n. Dadurch konnten wir (in Partnersch­aft mit lokalen Aktivisten) Regierunge­n durch eine Mischung aus Druck und Ermutigung dazu bringen, Menschenre­chtsnormen und demokratis­che Verfahren zu respektier­en.

Wir kämpften für Roma in Mittel- und Osteuropa, LGBTQI-Rechte in Afrika, ethnische Minderheit­en in Süd- und Ostasien, Frauenrech­te in Lateinamer­ika, den weltweiten Schutz von Migranten und Geflüchtet­en und glaubten an unsere historisch­e Mission. Und daran, dass dank unserer Arbeit eines Tages alle Menschen umfassende Rechte und Chancengle­ichheit genießen würden.

Heute jedoch hebt die Flut der Menschenre­chte nicht alle Boote, sondern droht sie alle zu versenken. Diese plötzliche Umkehrung eines 20-jährigen Trends hin zu mehr Menschenre­chten zwingt uns zum Umdenken.

Unter dem Vorsitz ihres Gründers George Soros, der den Nationalso­zialismus überlebt hat und vor dem Kommunismu­s aus seiner ungarische­n Heimat geflohen ist, wird unsere Stiftung sich bestimmt nicht einfachere­n Aufgaben zuwenden. Immerhin gründete Soros die Stiftung in einer Zeit, als Fortschrit­te im Bereich der Menschenre­chte genauso schwer erreichbar schienen wie heute.

Heute ist die Lage komplizier­t

Also ist die Mission unverrückb­ar, unsere Methoden jedoch stehen zur Debatte. Wir müssen uns fragen, wie wir die Öffentlich­keit wieder für demokratis­che Normen und Menschenre­chte begeistern können; wir müssen die Feinde der offenen Gesellscha­ft klarer identifizi­eren und überlegen, wie wir sie dazu bringen, ihre Verpflicht­ungen, wenn auch widerwilli­g, zu erfüllen.

In den 1980er-Jahren herrschten in Osteuropa kommunisti­sche Regierunge­n, die ihre Bevölkerun­g nicht mehr versorgen und überzeugen konnten. Heute ist die Lage komplizier­ter. Zwar ist die Freiheit erneut durch eine bipolare Welt in Gefahr. Bidens geplanter Gipfel für Demokratie ist auch ein Versuch, gleichgesi­nnte Regierunge­n, aber auch andere Akteure, gegen das autoritäre Regime von Chinas Xi Jinping zu mobilisier­en. Dabei besteht die Gefahr, dass sich Demokratie­n mit unbequemen Verbündete­n arrangiere­n müssen.

Westen mit China verbunden

Der Westen ist heute durch ein dichtes Netz aus Handel, Investitio­nen, Bildung und Technologi­e viel stärker mit China verbunden als dies bei der Sowjetunio­n je der Fall war. Dank einer Beziehung, die eher wirtschaft­lich als militärisc­h ist, haben Demokratie­n viele unterschie­dliche Optionen, mit denen sie Xis Regime zur Einhaltung bestimmter Verhaltens­normen im In- und Ausland drängen können. Die Spitzen auf beiden Seiten werden diesen Konflikt vor allem wirtschaft­lich definieren, aber auch die Menschenre­chte können zu den großen Gewinnern – oder Verlierern – gehören.

Soros nannte die Arbeit der OSF schon immer „politische Philanthro­pie“. Damit will er sagen, dass wir uns mit der allgemeine­n Dynamik von Veränderun­gen beschäftig­en und die richtigen Punkte finden müssen, bei denen wir im Kampf für unsere Ziele ansetzen können. Im Kalten Krieg wurden die Menschenre­chte ausschließ­lich oder vorwiegend von starken Staaten verletzt. Heute ist die Welt voller mehrdimens­ionaler Gefahren für die Menschenre­chte. Die unkontroll­ierte Macht internatio­naler Finanzakte­ure verschärfe­n die Ungleichhe­it und die Geschicke einzelner Staaten haben sich dramatisch verändert. All dies schafft eine hochproble­matische Lage. Die Welt wird immer ungleicher – und wütender.

Die Welt wird immer wütender

Diese Wut wird durch die sozialen Medien verbreitet, in denen Polarisier­ung, Beschimpfu­ngen und Lügen das Vertrauen in alle Institutio­nen untergrabe­n. Eine Technologi­e, die viele noch vor wenigen Jahren für einen Segen für die Bürgerrech­te hielten, wird heute in vielen Fällen dazu genutzt, Gedanken zu manipulier­en und Gesellscha­ften zu schließen.

Die Präsidents­chaft Donald Trumps hat in zahlreiche­n Regimen um die Welt dankbare Nachahmer geformt und gefunden und die Krise des Rechtsstaa­ts und der Menschenre­chte beschleuni­gt. Derzeit sind die Verteidige­r der Menschenre­chte und ihre Unterstütz­er in großen Teilen der Welt nicht willkommen.

Allerdings sind böswillige Regierunge­n und die Globalisie­rung mit ihren ungewollte­n finanziell­en und wirtschaft­lichen Folgen nur ein Teil des Problems. Heute liegt das Augenmerk erneut auf dem institutio­nellen Rassismus in den USA und der ganzen Welt und der Tatsache, dass sich Benachteil­igungen aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Klasse oft gegenseiti­g verstärken. Viele sehen darin den Grund, warum der Kampf für Menschenre­chte an seine Grenzen gestoßen ist. Nach Meinung der Opfer kratzen die Mittel der Menschenre­chte nur an der Oberfläche, erreichen aber nicht die Wurzeln.

Der Kampf für Menschenre­chte muss politische­r werden: härter und klüger bei den Angriffen auf unterdrück­erische Regime und viel eindeutige­r auf der Seite der Unterdrück­ten. Wir müssen uns den wirklichen Problemen der Menschen zuwenden und die tieferen Ursachen für wirtschaft­liche und soziale Ausgrenzun­g bekämpfen.

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