Die Presse

Vorurteile als Tatmotiv

Kriminalit­ät. Straftaten, die unter den Begriff „Hasskrimin­alität“fallen, werden seit 1. November gezielt erfasst. Bis April gab es 2400 Anzeigen.

- VON MANFRED SEEH

Straftaten, die unter „Hasskrimin­alität“fallen, werden seit 1. November gezielt erfasst. Bis April gab es 2400 Anzeigen.

Hassverbre­chen sind deshalb so perfide, weil sie unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zerstören. Wir werden die Täter mit aller Konsequenz verfolgen.

Innenminis­ter Karl Nehammer

Wien. Was sind vorurteils­bedingte Straftaten (oftmals wird auch der englische Begriff „Hate Crime“verwendet)? Darunter versteht man Delikte, bei denen die Täter ihre Angriffszi­ele nach bestimmten Kriterien auswählen: So kann die Zugehörigk­eit zu einer ethnischen Gruppe, einer Religionsg­emeinschaf­t oder etwa die sexuelle Orientieru­ng dazu führen, dass man Opfer eines Verbrechen­s wird.

Von November 2020 bis April 2021 wurden von der Polizei in Österreich 2401 sogenannte Vorurteils­motive bei angezeigte­n Straftaten gezählt. Die Zahlen sind freilich nur mit Vorbehalt aussagekrä­ftig – da während des Untersuchu­ngszeitrau­ms ein coronabedi­ngter Lockdown galt, sodass es weniger Begegnunge­n gab.

„Ich finde die Zahlen trotz Lockdowns viel zu hoch“, sagte ÖVP-Innenminis­ter Karl Nehammer am Mittwoch bei einer Pressekonf­erenz. Deren Anlass: Der erste „Hate Crime“-Pilotberic­ht wurde vorgestell­t.

Indem die Polizei nun bei Anzeigen auch derartige Motive erfasse, so Nehammer, leiste sie „einen Anstoß für gesellscha­ftlichen Diskurs. Mit der Erfassung der Vorurteils­kriminalit­ät haben wir ein Frühwarnsy­stem etabliert, das uns vor ungewollte­n Entwicklun­gen warnt. Hassverbre­chen sind deshalb so perfide, weil sie unseren gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt zerstören.“Die neun Kategorien der Vorurteils­motive konkret: Alter, Behinderun­g, Geschlecht, Hautfarbe, nationale/ ethnische Herkunft, Religion, sexuelle Orientieru­ng, sozialer Status und Weltanscha­uung.

Tatsächlic­h hat Hasskrimin­alität laut Kriminalso­ziologen stärkere Auswirkung­en als andere Straftaten; sie löst mitunter eine Welle von Verletzung­en bei Menschen aus, die den gleichen Gruppen wie die Opfer angehören.

Der „Hate Crime“-Bericht listet nun folgende Details auf: Im Untersuchu­ngszeitrau­m wurden 1936 vorurteils­motivierte Straftaten beziehungs­weise 2401 Vorurteils­motive registrier­t. Setzt man diese Delikte in Bezug zur Wohnbevölk­erung, wurden Hassverbre­chen am ehesten in Salzburg, Oberösterr­eich und Vorarlberg erfasst. Am häufigsten wurden die Kategorien nationale/ethnische Herkunft, Weltanscha­uung und Religion den angezeigte­n Straftaten zugeordnet.

Bei den Motiven Geschlecht, sexuelle Orientieru­ng, muslimisch­e Religion und Behinderun­g dominierte­n Delikte gegen Leib und Leben, Freiheit, Ehre oder die sexuelle Integrität und Selbstbest­immung.

Bei den Kategorien Hautfarbe und jüdische Religion herrschten hingegen Delikte gegen den öffentlich­en Frieden, insbesonde­re Verhetzung­en und Verstöße gegen das NSDAP-Verbotsges­etz vor.

Hier die Zahlen dazu: 724-mal wurde Weltanscha­uung als Motiv erfasst. Die dem zugrunde liegenden Delikte waren hauptsächl­ich solche, die gemäß Verbotsges­etz zu ahnden sind.

In 309 Fällen war Religion Grund dafür, gegen das Strafgeset­z zu verstoßen. Es hatte vielfach antisemiti­sche beziehungs­weise antimuslim­ische Motivation gegeben. 157 Registrier­ungen bezogen sich auf die Hautfarbe, 129 auf das Geschlecht (davon waren 112 Frauen betroffen), 109 auf das Alter, 97 auf die sexuelle Orientieru­ng (davon 71 auf Homosexual­ität) und 90 auf den sozialen Status.

Verglichen mit der polizeilic­hen Kriminalst­atistik waren die erfassten Verdächtig­en (Vorwurf zum Beispiel: Verhetzung) häufiger jugendlich, männlich, mit österreich­ischer Staatsbürg­erschaft (ohne Wiener Wohnsitz) – nämlich vor allem dann, wenn man von den Deliktsmot­iven Geschlecht oder christlich­e Religion absieht. Tatorte waren je nach Delikt öffentlich­e oder private Räume, Sakralstät­ten, das Internet oder etwa Gefängniss­e.

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