Grünes Licht für strittige Pipeline
Washington und Berlin legen den jahrelangen Streit um die OstseePipeline bei. Moskau darf das Projekt vollenden, die Ukraine kassiert weiter.
Ende August ist es so weit: Die umstrittenste Erdgasleitung Europas, Nord Stream 2, wird definitiv finalisiert, bestätigte Matthias Warnig, Chef der russisch-schweizerischen Betreibergesellschaft, kürzlich. Trotz aller Attacken Amerikas schafft Moskau damit Fakten – und plötzlich scheint auch ein Frieden im diplomatischen Pipeline-Krieg zwischen EU und USA in Sicht. Mehrere Medien vermeldeten eine – bisher unbestätigte – Einigung zwischen den beiden Verbündeten. Washington verzichtet auf Sanktionen, die russische Pipeline durch die Ostsee wird gebaut und darf in Betrieb genommen werden. Dafür greift Berlin der Ukraine stärker unter die Arme. Warum ist der Pakt jetzt doch möglich, und was wird er verändern?
Das Problem
Die 1230 Kilometer lange Pipeline vom russischen Wyborg durch die Ostsee in den deutschen Ort Lubmin bei Greifswald wurde von Befürwortern wie der deutschen Bundesregierung stets als rein wirtschaftliches Projekt angesehen. Washington hingegen befürchtete, der Kreml werde die Leitung der staatlichen Gazprom als Waffe einsetzen, um die Abhängigkeit osteuropäischer Länder vom Energielieferanten Nummer eins zu verstärken. Vor allem die Ukraine fürchtet um ihre Rolle als Transitland für russisches Gas. Kiew droht nicht nur Milliarden Euro an Transitgebühren zu verlieren, sondern auch einen der letzten Trümpfe im Machtpoker mit Wladimir Putin. Zudem stehen die USA mit ihren Plänen, mehr Flüssiggas in die EU zu liefern, in direkter Konkurrenz zu Russland. Alle Versuche Washingtons, das Projekt (und mitwirkende Firmen wie die OMV) durch Sanktionen zu stoppen, sind jedoch gescheitert. Die gut neun Milliarden Euro teure Gasröhre wird Realität.
Der Deal
Unter dem Republikaner Donald Trump fuhr die US-Regierung einen besonders harten Kurs gegen Nord Stream 2. Auch sein demokratischer Nachfolger Joe Biden hält den Bau immer noch für einen „schlechten Deal für Europa“. Doch er braucht den Kontinent dringend als Verbündeten gegen die zunehmend aggressiven Machtansprüche Chinas und schlug daher schon vor Monaten sanftere Töne an. Die Sanktionen gegen die Nord-Stream-2-Gesellschaft und deren Chef Warnig sind schon seit Längerem ausgesetzt. Mit dem abschlussreifen Deal sollen sie zur Gänze fallen. Die USA goutieren das Projekt zwar nicht, geben ihren Kampf gegen die Pipeline aber offiziell auf. Zum Ausgleich soll die Ukraine mehr Hilfe erhalten. Berlin will dafür sorgen, dass Russland das Land nicht komplett umgeht und über 2024 hinaus üppige Transitgebühren an Kiew bezahlt. Merkel versprach, „aktiv zu handeln“, sollte Russland das nicht einhalten. Was genau Berlin dann tun will, blieb jedoch offen. Mittelfristiges Ziel ist die komplette Unabhängigkeit der Ukraine vom Energielieferanten Russland. Das Land soll fixer Bestandteil der europäischen Energiewende werden. Amerika und Deutschland wollen um zig Millionen Euro sauberen Ökostrom in der Ukraine produzieren und dort auch grünen Wasserstoff für Europa erzeugen.
Die Folgen
Der russische Botschafter in den USA kritisierte den Pakt als „unfairen Wettbewerb“. Doch immerhin: Moskaus Vorhaben, über Nord Stream 2 jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas in die EU zu bringen, scheint endlich realistisch. Die Gefahr von US-Sanktionen gegen beteiligte Firmen besteht aber weiter. Die USA wollen darüber von Fall zu Fall entscheiden. Die EU wird kaum abhängiger von Russland, das 2018 schon 40 Pro
zent aller Gasimporte in die EU deckte. Dafür „gewinnt“der Kontinent einen zusätzlichen Transportweg für russisches Gas, das er angesichts schwindender eigener Reserven auf absehbare Zeit brauchen wird.