Parteiloser Jurist ist neuer Ombudsmann für Bürgerrechte
Polen. Marcin Wi˛acek soll die Bürger künftig vor Übergriffen des Staates schützen. Gewählt wurde er von allen Parteien.
Warschau. Zum Schluss fanden Regierung und Opposition in Polen einen seltenen Kompromiss: Polens kleine Kammer, der Senat, hat Marcin Wiacek˛ als neuen Ombudsmann für Bürgerrechte (RPO) eingesetzt. Damit ist der monatelange Kampf um die Nachfolge des regierungskritischen Menschenrechtsexperten Adam Bodnar beendet. Bodnar war noch vor dem Wahlsieg der Kaczyn´ski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) 2015 als Bürgerombudsmann eingesetzt worden und war damit Sand im Getriebe der rechtspopulistischen Regierungsmehrheit.
Obwohl Bodnars Amtszeit im September 2020 endete, blieb er mangels eines Nachfolgers weiterhin im Amt. Der Bürgerombudsmann hat in Polen die Aufgabe, die Bürger vor Übergriffen des Staates zu schützen und ihre Menschenrechte zu verteidigen. Das RPO-Amt kann bei Behörden intervenieren und bei Gerichten klagen, auch beim polnischen Verfassungsgericht und europäischen Gerichten.
Klagen und Gegenrede
Der kämpferische Bodnar, der vor seinem Amtsantritt als Ombudsmann 2015 der Helsinki-Menschenrechtsstiftung vorstand, hatte von diesem Recht immer wieder Gebrauch gemacht. So ist zum Beispiel eine Klage gegen den Aufkauf und die damit einhergehende regierungsfreundliche Gleichschaltung von rund 100 Regionalzeitungen durch den staatlichen Mineralölkonzern PKN Orlen anhängig. Auch Polens EU-Mitgliedschaft und die sich daraus ableitenden Verpflichtungen bei der Rechtsstaatlichkeit hatte Bodnar bis zuletzt in Anhörungen des seit 2016 PiS-hörigen Verfassungsgerichts verteidigt.
Zum Schluss ließ die Kaczyn´ski-Regierung Bodnars Amtsführung vom Verfassungsgericht beenden. Seit Mitte Juli war das Amt deshalb nicht besetzt. Die Opposition fürchtete, die PiS könnte versucht sein, die Vakanz mangels eines von beiden Parlamentskammern bestätigten Nachfolgers kommissarisch zu besetzen – natürlich mit einem regierungsfreundlichen Statthalter. Im Senat, Polens kleiner Kammer, waren sämtliche von der PiS-Mehrheit abgesegneten Kandidaten gescheitert. Denn seit den Parlamentswahlen 2019 hat PiS im Senat keine Mehrheit mehr.
Seltene Einigkeit aller Parteien
Doch schließlich fand im Mai die kleine gemäßigte Bauernpartei PSL mit dem leisen, bisher ganz auf die Wissenschaft konzentrierten Marcin Wiacek˛ einen Kompromiss, dem auch Jarosław Kaczyn´ski zustimmen konnte. Im Sejm, Polens großer Kammer, wurde Wiacek˛ so mit den Stimmen aller Parteien – eine Seltenheit in Polen – Anfang Juli zum neuen Bürgerombudsmann gewählt. Nur drei von 426 anwesenden Abgeordneten wandten sich gegen den 39-jährigen Rechtsprofessor. Am Mittwoch folgte die Bestätigung durch den Senat.
Geholfen hatten Wiacek˛ dabei bestimmt seine Aussagen, die polnische Verfassung stehe über internationalen Abkommen. Am Mittwoch allerdings machte Wiacek˛ in der Fragestunde des Senats klar, dass er daraus nicht das Recht dazu ableite, Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht mehr umzusetzen. Polens Verfassungsgericht hatte vor einer Woche im Streit mit der EU um Polens Justizreformen entschieden, das EuGH-Anordnungen nicht bindend seien – was die EUKommission zu einer scharfen Warnung gegenüber Warschau veranlasst hatte.
Im Streit zwischen Polen und der EU geht es unter anderem um eine 2018 neu geschaffene Disziplinarkammer am Obersten Gericht, die die Aufsicht über alle Richter hat. Sollte die Arbeit der umstrittenen Kammer nicht eingestellt werden, drohen Polen hohe Geldstrafen für jeden Tag der Nichtumsetzung entsprechender EuGH-Urteile.
Nicht im Sinne der Regierung
Wiacek˛ sprach sich am Mittwoch im Senat dafür aus, dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit einstellen solle. Auch zu Fragen wie In-vitro-Befruchtung und Pressefreiheit äußerte sich der neue Ombudsmann nicht im Sinne der Regierungsmehrheit. „Mein Motto lautet Würde, Gleichheit, Dialog“, sagte er. Die Bestätigung von Marcin Wiacek˛ als neuer Ombudsmann für Bürgerrechte erfolgte im Senat dennoch ohne Gegenstimme, mit 93 Ja-Stimmen und fünf Enthaltungen.
Mein Motto lautet Würde, Gleichheit, Dialog.
Marcin Wiacek,˛
Polens neuer Ombudsmann für Bürgerrechte