Ein Trump-Deal ohne Trump zwischen Merkel und Biden
In stiller Diplomatie brach die Kanzlerin den Widerstand in Washington gegen die Nord-Stream-2-Pipeline. Um den Preis einer Gegenleistung gegen China?
Und es geht ja doch. Freilich nur unter der Voraussetzung, dass sich zwei Gesprächspartner gegenübersitzen wie jüngst Joe Biden und Angela Merkel im Weißen Haus, die ultimative Standpunkte ad acta legen, die die Schmerzgrenzen des Visavis kennen und geübt sind in der Kunst des Kompromisses und der Diplomatie. Der US-Präsident und die deutsche Kanzlerin haben den Dauerkonflikt zwischen den transatlantischen Partnern um das milliardenschwere und bereits weit fortgeschrittene Prestigeprojekt der NordStream-2-Pipeline in den Tiefen der Ostsee zwischen dem nordrussischen Wyborg und dem ostdeutschen Greifswald stillschweigend beigelegt.
Die grundlegenden Differenzen zwischen den USA und Deutschland sind zwar nicht beseitigt. Dies betonte der USPräsident auch beim Abschiedsbesuch der Berliner Regierungschefin in Washington, als er seine Skepsis in den amikalen Satz kleidete: „Unter Freunden kann man unterschiedlicher Meinung sein.“
Dies war im Ton doch ein scharfer Kontrast zu seinem Vorgänger Donald Trump, der – wie das gesamte US-Establishment, ob demokratisch oder republikanisch – das Projekt ablehnt. Im Gegensatz zu Biden suchte Trump allerdings permanent die Konfrontation, sie war geradezu sein Geschäftsmodell. Die Drohung mit Sanktionen und Zöllen verliert indes bei ständiger Wiederholung ihre Wirkung und ihren Schrecken. Richard Grenell, der einstige US-Botschafter in Berlin, hat mit seiner vehementen Interessenspolitik der Sache einen schlechten Dienst erwiesen: Er stieß Sympathisanten der US-Politik vor den Kopf.
Joe Biden und Antony Blinken, sein Außenminister, haben gegenüber Berlin schon länger signalisiert, dass sie keine Sanktionen gegen Deutschland verhängen würden. Sie verfolgen einen traditionellen außenpolitischen Kurs, der Verbündete nicht verprellt. Was würden Sanktionen praktisch ausrichten? Welchen Effekt würden sie haben außer Groll in Berlin? Die Pipeline steht knapp vor ihrer Fertigstellung. Es fehlen nur noch wenige Kilometer, und in Sassnitz auf Rügen stapeln sich die Rohre, die die Lücke schließen sollen.
Die Einsprüche aus Brüssel, Paris, Kiew, Warschau, Tallinn oder Riga kamen zu spät. Unter Gerhard Schröder, dem nunmehrigen Gazprom-Aufsichtsratschef, war Deutschland den Pakt mit Wladimir Putin eingegangen, der die Energieversorgung des Industriestandorts Deutschland sichern soll – nach Ansicht vieler ein „Teufelspakt“. Unter seiner Nachfolgerin Angela Merkel fand das Projekt seine Fortsetzung. Die Kanzlerin setzte sich über den internen Widerstand von CDU-Politikern wie dem Transatlantiker Norbert Röttgen oder den Grünen hinweg, vor allem aber über die Opposition der EU, der Ukraine, Polens oder der baltischen Staaten.
Sie hatten und haben gute Argumente für ihre Position, nicht zuletzt die Erpressbarkeit Europas durch eine KremlFührung, die nach Belieben den Gashahn zudrehen kann. Zugleich versuchten die Gegner, im Fall des Giftanschlags gegen den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny mit der Forderung eines Baustopps Putin unter Druck zu setzen. Der russische Präsident ist jedoch zu kaltblütig, als dass er sich so leicht einschüchtern ließe. Dafür war das Projekt schon zu weit gediehen, Milliardeninvestitionen waren verbaut. Zu durchsichtig waren schließlich die Einwände der Trump-Regierung: Sie suchte Abnehmer für das Fracking-Gas aus dem Mittleren Westen.
Es wird nun an Deutschland liegen, mit seiner Verantwortung gegenüber den osteuropäischen Staaten sorgsam umzugehen, auf die eingebauten Sicherheitsklauseln – insbesondere für die Ukraine – zu pochen und sie bei Bedarf auch zur Anwendung zu bringen.
Irgendwann wird sich auch herausstellen, welche Gegenleistung Merkel im Zuge der stillen Diplomatie gegenüber Biden im Weißen Haus erbracht hat. Über einen solchen Deal, wie ihn Donald Trump stets im Mund geführt hat, lässt sich nur mutmaßen. Die Wetten, dass Berlin auf eine härtere Politik der BidenRegierung gegenüber Moskau, letztlich aber vor allem gegenüber Peking einschwenkt, stehen jedenfalls ganz gut.
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