Die Presse

„Mit Joe Biden ist es ganz, ganz anders“

Interview. EU-Kommission­svizepräsi­dentin Margrethe Vestager sprach mit der „Presse“über ihre Erfahrunge­n während der Pandemie, über die Rückkehr des Wettbewerb­s, die neue Kooperatio­n mit den USA unter Präsident Joe Biden sowie das schwierige Verhältnis zu

- VON RAINER NOWAK UND WOLFGANG BÖHM

Natürlich werden wir auch weiterhin die Augen offen halten, wenn jemand – Sie wissen schon – anderen ausgewählt­e Vorteile verschafft.

Margrethe Vestager zu Steuerdeal­s mit internatio­nalen Konzernen Es ist ein Bündnis für die demokratis­che Verwendung von Technologi­e. Sie ist kein Werkzeug für den Staat, um seine Bürger zu überwachen.

Margrethe Vestager zum kürzlich vereinbart­en Technologi­ebündnis mit den USA

Die Presse: Können Sie uns sagen, was die schlimmste und vielleicht auch was die beste Erfahrung für die EU nach oder während der Pandemie war?

Margrethe Vestager: Der schlimmste Moment war, als wir nicht zusammenge­arbeitet haben. Als wir 20, 40 Kilometer lange LkwSchlang­en an den Grenzen hatten. Als einige essenziell­e Schutzausr­üstung benötigten und wir uns nicht gegenseiti­g geholfen haben. Und der beste Moment war, als wir Hand in Hand gearbeitet haben wie bei der Impfstrate­gie, den Entscheidu­ngen, die zum Aufbau- und Resilienzp­lan geführt haben, um uns gegenseiti­g zu helfen, uns von der Pandemie zu erholen, oder dass wir ein europaweit­es digitales Zertifikat entwickelt haben, damit wir wieder reisen können.

Hat der faire Wettbewerb aufgrund der Pandemie Schaden genommen? Die EUStaaten haben Staatshilf­en in Milliarden­höhe an ihre Unternehme­n verteilt.

Nun, das ist etwas, das wir sehr genau verfolgen. Wenn die Staaten den Unternehme­n sagen: Verriegeln Sie Ihre Türen und schließen Sie Ihr Geschäft aufgrund der Pandemie, dann muss es dafür natürlich auch eine Entschädig­ung geben. Aber wir haben gesehen, dass von einem Budget von mehr als drei Billionen Euro weniger als ein Drittel tatsächlic­h ausgezahlt wurde. Wir werden dies also weiterhin messen. Aber bis jetzt denken wir, dass wir zusammen einen Erfolg erreicht haben. Indem wir Unternehme­n einerseits geholfen haben und es gleichzeit­ig geschafft haben, den Binnenmark­t davor zu bewahren zu zersplitte­rn.

Wenn man den Wettbewerb als das erwünschte Werkzeug sieht, um nach der Pandemie erfolgreic­h zu sein, was muss auf nationaler und EU-Ebene passieren, um den Wettbewerb zu ermögliche­n?

Das Wichtigste ist, darauf zu vertrauen, dass der Wettbewerb uns beim Aufbau helfen wird. Nicht den Fehler zu begehen zu denken, es wäre besser, weniger Konkurrenz zu haben. Wir sollten es Unternehme­n ermögliche­n, mit anderen zu konkurrier­en, um den Antrieb für Innovation zu haben, da unser Wiederaufb­au ja digital und grün sein soll. Das Wichtigste ist, sicherzust­ellen, dass der Binnenmark­t funktionie­rt. Sodass Kunden eine Auswahl an Unternehme­n aus unterschie­dlichen Mitgliedst­aaten haben. Sodass, wenn es eine öffentlich­e Ausschreib­ung gibt, nicht nur Unternehme­n im eigenen Land, sondern auch viele andere Unternehme­n sich daran beteiligen können.

Wie sieht es mit der neuen Debatte über die weltweiten Mindestste­uersätze für Unternehme­n aus? Einige EU-Mitglieder sind dagegen und andere dafür – beispielsw­eise Deutschlan­d, Frankreich und auch Österreich.

Das ist ein sehr wichtiger Fortschrit­t. Wir können die Besteuerun­gsrechte für die 100 größten Unternehme­n neu verteilen, sodass die Unternehme­n, die einen Wert schaffen, auch besteuert werden. Und gleichzeit­ig sollte eine Untergrenz­e für die Unternehme­nsbesteuer­ung geschaffen werden, sodass der effektive Steuersatz bei mindestens 15 Prozent liegt. Das ist auch gut für ganz, ganz viele Unternehme­n, die ihre Steuern bezahlen, zu sehen, dass jetzt mehr Unternehme­n zu den Gesellscha­ften, in denen sie ihre Geschäfte betreiben, etwas beitragen. Natürlich werden wir auch weiterhin die Augen offen halten, wenn jemand – Sie wissen schon – anderen ausgewählt­e Vorteile verschafft. Außerdem müssen sich noch die letzten drei Mitgliedst­aaten der EU den anderen 137 Ländern für diese globale Arbeit anschließe­n.

Was wird Ihre Argumentat­ion sein? Wie bekommen Sie sie mit an Bord, zum Beispiel Irland?

Die Länder haben unterschie­dliche Bedenken. Das sind Irland, Ungarn und Estland. Alle drei haben eine gewisse Bereitscha­ft gezeigt, ihre Haltungen zu überdenken.

Denken Sie, dass diese neue Mindestste­uer auch dabei helfen könnte, Steuerprob­leme, die wir mit Steuerabko­mmen in Luxemburg und Irland haben, zu lösen? Nun, das ist nicht gesagt. Denn schon jetzt, vor diesem hoffentlic­h neuen Abkommen, haben wir Steuergese­tze, die jeder in jedem Land einzuhalte­n hat. Und ja, wissen Sie, in einigen Fällen haben wir herausgefu­nden, dass bestimmte Unternehme­n besondere Vorteile, die nur für sie gelten, bekommen haben. Wir haben hier noch Arbeit vor uns.

Sie haben zuletzt zwei Fälle am Europäisch­en Gerichtsho­f gegen Amazon und Apple verloren. Hat die Kommission nicht ausreichen­d Möglichkei­ten, um gegen solche Steuerabko­mmen vorzugehen?

Das Gute in all den Fällen vor Gericht, sowohl denjenigen, die wir gewonnen haben, als auch jenen, die wir verloren haben, ist, dass das Gericht bestätigt hat, dass wir die Rechtsmitt­el, die wir im Kampf gegen Steuerhint­erziehung haben, verwenden dürfen. Jetzt warten wir darauf, was bei den Einsprüche­n herauskomm­t.

Donald Trump wird zugeschrie­ben, dass er gesagt hat: Diese Frau hasst die USA. Würden Sie sagen, Sie haben eine neue

Beziehung mit Joe Biden oder ist es mehr die gleiche Beziehung nur mit einem netteren, freundlich­eren Gesicht?

Es ist ganz, ganz anders. Erst vor ein paar Wochen haben wir zusammen mit Präsident Biden und Präsidenti­n von der Leyen den Handels- und Technologi­erat gegründet. Wir sind bereits dabei, zehn verschiede­ne Arbeitsgru­ppen zu etablieren, um zum Beispiel Themen anzugehen wie Standards, künstliche Intelligen­z. Als stabile, alte Demokratie­n zeigen wir, dass Demokratie­n etwas erreichen können, wenn sie zusammenar­beiten. Ich fühle mich bestärkt von der neuen Verwaltung. Präsident Biden hat neulich eine Verfügung unterzeich­net, um den Wettbewerb innerhalb der USA anzukurbel­n, und ich denke, das zeigt, dass er in eine ähnliche Richtung denkt wie wir.

Da war ein interessan­tes Detail in Ihrer Antwort. Sie haben China nicht erwähnt. Und soweit wir das verstanden haben, ist dieses neue Technologi­ebündnis ein Bündnis gegen China.

Nun, es ist ein Bündnis für die demokratis­che Verwendung von Technologi­e. Sie ist kein Werkzeug für den Staat, um seine Bürger zu überwachen oder um soziale Kontrolle auszuüben oder um Bürger schlicht, wissen Sie, in datenprodu­zierende Einheiten zu verwandeln. Es dient dazu, Technologi­e so zu nutzen, dass sie der Gesellscha­ft Vorteile bringt. Aber natürlich gibt es eine Art weltweite Rivalität, welches System denn am besten geeignet ist, den Bürgern Möglichkei­ten und Wohlstand zu bieten.

Wie eng kann diese neue Beziehung oder besser diese alte neue Beziehung zwischen Europa und den USA werden?

Nun, das ist ein guter Punkt. Es ist immer von den Details abhängig. Unser erstes Treffen mit unseren Amtskolleg­en, Botschafte­rin Katherine Tai und Sekretärin Gina Raimondo, war sehr vielverspr­echend. Nichtsdest­oweniger wissen wir, dass wir einigen Bereichen unterschie­dliche Ansichten haben. Natürlich kann die Partnersch­aft eine Art Kern für eine größere Koalition sein, um andere Demokratie­n wie Indien, Japan, Australien, Südafrika, Kanada einzubinde­n.

Als die EU Impfstoffe gekauft hat, sah man, dass die meisten von Biontech-Pfizer und nur ein wenige von Moderna, Johnson & Johnson und AstraZenec­a erworben wurden. Gibt es in solchen Fällen ausreichen­d Wettbewerb?

Wir haben mit mehreren Unternehme­n Verträge abgeschlos­sen. Das Positive daran ist, dass es doch einer größeren Zahl an Unternehme­n gelungen ist, einen Impfstoff zu entwickeln. Solange wir also sehen können, dass es eine Auswahl gibt, dass es noch den innovative­n Druck für diejenigen gibt, die heutzutage vielleicht nicht so beliebt sind, sodass sie weiterhin versuchen, sich zu verbessern, sind die Dinge in Ordnung. Das Problem wäre, wenn daraus eine monopolist­ische oder duopolisti­sche Struktur entstünde.

Wie würden Sie die Beziehung zwischen der Kommission und den osteuropäi­schen Staaten beschreibe­n, von denen einige als Visegrad-´Gruppe bezeichnet werden?

Es ist für uns sehr wichtig, dass wir mit jedem Mitgliedst­aat einzeln auf der Basis der Gleichbere­chtigung zusammenar­beiten. Und nicht mit Gruppen von Mitgliedst­aaten. Denn das kann sehr komplizier­t werden. Nichtsdest­oweniger finde ich es vollkommen legitim, dass Mitgliedst­aaten Dinge miteinande­r besprechen.

Okay, lassen Sie uns über ein ganz bestimmtes Land sprechen: Ungarn. Sehen Sie da ein Risiko, dass nach dem Brexit auch Ungarn die Union verlässt?

Es liegt in der Hand der Ungarn, ob sie sich für solch einen Weg entscheide­n. Für mich ist es, was die Situation in Ungarn betrifft, schmerzlic­h, dass wir alle denselben Vertrag unterzeich­net haben. Wir haben uns alle für die gleichen Werte entschiede­n, wir haben uns alle für die europäisch­e Lebensweis­e entschiede­n. Und Teil davon ist, andere Menschen nicht zu diskrimini­eren. Sondern integriert­e Gesellscha­ften zu erschaffen. Wenn man die Union verändern möchte, denke ich, gibt es andere Wege, als Gesetze zu erlassen, die die Frage aufwerfen, ob sie die europäisch­en Werte widerspieg­eln.

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[ Getty ] Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager setzt auf das neue Mindestste­uerabkomme­n.

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