Di absolute Routine im Sattel
Die Erfahrung von fünf Olympia-Teilnahmen möchte Victoria Max-Theurer auf Abegglen ausspielen. Die Harmonie stimmt, zur Herausforderung wird die japanische Hitze.
Eine der wertvollsten, jedenfalls aber die heikelste Olympia-Fracht hat sich vergangene Woche von Lüttich aus auf den Weg nach Tokio gemacht. Abegglen, Fidertraum oder Te Quiero lauteten Namen auf der Passagierliste, es waren die tierischen Partner von Österreichs Dressurreitern Victoria Max-Theurer, Florian Bacher und Christian Schumach. Für insgesamt 38 Turnierpferde ging es nach einwöchiger Quarantäne auf dem CHIO-Gelände in Aachen nach Japan. Im Begleitteam war neben dem oberösterreichischen Tierarzt Wolfgang Himsl auch Weltstar Isabell Werth. „Wir sind praktisch die Stewardessen“, sagte die sechsmalige Olympiasiegerin, die gern auf den Komfort eines Linienfliegers verzichtete. „Ich freue mich, dass ich das Vertrauen erhalten habe.“
Knapp 19 Stunden dauerte der Flug mit Zwischenstopp in Dubai, Kostenpunkt 22.000 Euro (300 kg Gepräck inklusive). Die Tiere ver
brachten ihn in Boxen, wie sie es von anderen Transporten gewohnt sind. Der große Vorteil: Pferde schlafen im Stehen. Start und Landung seien die kritischen Phasen, für einfacheres Ausbalancieren wird deshalb auch in flacherem Winkel als mit Passagiermaschinen geflogen. Nur in absoluten Notsituationen wird sediert. Mit im Gepäck ist neben Sattel oder Zaumzeug auch das gewohnte Futter, denn die Umstellung ist auch so schon groß genug.
Klimatisierter Stall
Max-Theurer weiß, was auf sie zukommt. Schon 2004 in Athen hat sie ihre Olympia-Premiere gegeben, ihre Routine soll Debütant Abegglen (benannt nach der Schweizer Fußballlegende Max Abegglen) beim Auftakt am Samstag in der Baji-Ko¯en-Anlage im Südwesten der Stadt Rückhalt geben. „Mir geht es bei Olympia in erster Linie darum, eine gute Runde zu drehen. Wenn ich Abegglen die Sicherheit gebe, die er braucht, können wir gut punkten, das haben wir schon gezeigt“, sagte die 35-Jährige, die den elfjährigen Westfalen erst seit 2020 reitet. Wie gut das Duo harmoniert, zeigte die interne Ausscheidung im Juni: Mit 83.010 Prozentpunkten kratzte Abegglen an der stallinternen Kür-Bestmarke von Augustin OLD (83.050), mit dem Max-Theurer zweimal WMSechste geworden war. „Ich habe ihm eine Karotte gegeben und ihm gesagt, dass er den Rekord noch hat.“
Um Nachfolger Abegglen bestmöglich auf das japanische Klima einzustimmen, wurde gezielt bei höheren Temperaturen gearbeitet. „Was man bei uns nicht trainieren kann, ist diese extreme Luftfeuchtigkeit, das ist anstrengender als die trockene Hitze“, sagte die Tochter von Elisabeth Max-Theurer, 1980 Olympiasiegerin und seit 2002 Verbandspräsidentin. Nicht ohne Grund sind die Stallungen in Tokio klimatisiert und mit Sprühventilatoren ausgestattet. Veterinärmedizinische Kontrollen sind vor jedem Bewerb Pflicht.
War Max-Theurer zuletzt dreimal (zuletzt 2016 mit Della Cavalleria Platz 34) als Ein
zelkämpferin am Start, führt sie mit Abegglen als Weltranglisten-33. erstmals seit 17 Jahren wieder ein ÖOC-Dressurteam bei Olympia an. „Es ist ein Riesenerfolg, dass wir es geschafft haben“, so die Rekord-Staatsmeisterin. „Unser gro
ßes Ziel ist der Aufstieg unter die letzten acht. Dafür muss alles passen.“Für Equipe-Chefin Uschi Barth ist „so eine Überraschung durchaus im Bereich des Möglichen“, wie sie mit Blick auf die Bestmarken von Bacher (73.043) und Schumach (72.609) sagt.
Werth auf Goldmission
Mit zehn Olympia-, elf WM- und 24 EM-Medaillen tritt Werth als erfolgreichste Dressurreiterin der Geschichte an, olympisches Einzelgold aber fehlt ihrer imposanten Sammlung noch. In Rio musste sich die seit Mittwoch 52-Jährige zum vierten Mal mit Platz zwei begnügen. Die stärkste Konkurrenz kommt für die Weltranglistenerste aus dem eigenen Land, Werth formuliert bescheiden: „Ich wünsche mir, dass wir alle gesund wieder nach Hause kommen und dazwischen richtig gut reiten.“
Wenn ich Abegglen die Sicherheit gebe, die er braucht, können wir gut punkten.
Victoria Max-Theurer über ihre Chancen