Ein ganz anderes Schauspiel in Fukushima
Softball. Zehn Jahre nach der Katastrophe sollte Olympia der Welt die Fortschritte beim Wiederaufbau in Fukushima zeigen, so lautete der PR-Plan. Dann kam Corona.
Das Summen der Zikaden war das einzige Geräusch, welches dem ersten Softballspiel dieser Sommerspiele lange als Geräuschkulisse diente. Doch dann sprangen Japans Spielerinnen doch noch auf. Unter sengender Sonne bei 30 Grad schrien und feuerten sie ihre „Hitterin“an. Es war also doch ein Hauch von Atmosphäre und Sportfestflair bemerkbar – hier, just in Fukushima, der 2011 von Erdbeben, Tsunami und folgendem Reaktorunfall schwer geplagten Region.
Japans 8:1-Sieg gegen Australien mag für viele wie eine doppelte Befreiung gewirkt haben. Endlich laufen die um ein Jahr verschobenen und wegen steigender Coronazahlen weiterhin so ungeliebten Sommerspiele. Und gottlob feierte der Gastgeber den ersten Sieg noch vor der Eröffnungsfeier am Freitag. Und trotzdem gibt es in Japan eine immer größer werdende Kritik an diesem Event. In Fukushima versteht man nicht, wieso überhaupt gespielt wird.
Doch keine PR-Tribüne
Bei Olympia wird in Fukushima neben Softball auch die Männervariante Baseball gespielt. Beide Sparten feiern ihre Rückkehr ins Programm. Von 1996 bis 2008 wurde Softball bei den Sommerspielen gespielt, Baseball war 1992 bis 2008 dabei. In Japan ist beides allerdings ungeheurer populär. Weil es wie im Fußball viele Partien gibt, starten sie schon vor der Eröffnungsfeier.
Sechs Teams (Japan, USA, Kanada, Mexiko, Italien, Australien) treffen jetzt sechs Tage lang aufeinander, dann folgen die ersten vier Partien um Bronze und Gold. Am 27. Juli steigt das Endspiel im großartigen Yokohama-Stadion. Österreichs Team ist nicht dabei, Rotweißrot ist dennoch vertreten: Verbandsvizepräsidentin Gabriele Hardinger dient den Spielen als technische Kommissarin.
Zehn Jahre nach der Dreifachkatastrophe sollten die Wettkämpfe in Fukushima, 300 Kilometer nördlich von Tokio, der Welt die Fortschritte beim Wiederaufbau der Region zeigen. Das war die wohlüberlegte Vision der PR-Abteilung. Doch mit leeren Rängen in der Pandemie vermittelt man ganz andere Bilder. Zudem: Es ist auch noch lange nicht alles eitel Wonne in Fukushima. Vor allem die Folgen des radioaktiven Fallouts sind weiterhin real. Das Isotop Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Neun Reaktoren des
Kernkraftwerkes Daiichi sind wieder in Betrieb und Japan setzt weiterhin auf diese Form der Stromgewinnung. Und Kritiker wie Politikprofessor Koichi Nakano von der Sophia University Tokio verweisen darauf, dass sich die Katastrophenregion „nie vollständig erholt“habe. „Viele Menschen fühlen sich zurückgelassen. Noch immer können Zehntausende Bewohner nicht in ihre Häuser zurück.“
Politische Stilblüten
Und jetzt finden ausgerechnet hier Olympische Spiele statt. Ungeachtet dessen, dass viele Japaner sie gar nicht mehr wollten, der Pandemie wegen. Der erhoffte PR-Hit hat eine sehr dunkle Schattenseite.
Zwei Tage lang stand Fukushima jedenfalls im Mittelpunkt der Soft- und Baseballwelt. Dass die Spieler Eiswasser brauchten, die Hitze enorm war und getrost nicht jeder Wurf gelang, sind Randnotizen. Um annähernd den Anschein von Fanunterstützung zu vermitteln, wurde das Stadion mit Pfirsichbäumen und anderen Pflanzen umsäumt. Sie tragen Botschaften von Kindern, die Athleten auffordern, „Gold zu holen“.
Das treibt Nakano auf die Palme: „Japaner sind allgemein sehr opportunistisch, apolitisch und meiden politisch sensible Themen. Beim Anblick solcher Zettel sagen selbst sie unverhohlen: Meine Güte, was machen die?“(fin)