Die Presse

Lieder über den Verfall einer Ehe

Duo. Ist der alte Rebell endlich geläutert? Primal-Scream-Sänger Bobby Gillespie hat mit Jehnny Beth ein streicheru­mflortes Konzeptalb­um über das Ende einer Liebe eingespiel­t.

- VON SAMIR H. KÖCK

Was für eine Überraschu­ng! Bobby Gillespie, Ex-Drummer von Jesus & The Mary Chain und seit Jahrzehnte­n singender Krawallsch­ani bei Primal Scream, präsentier­t ein Album voller inniger Balladen, deren Melodiebög­en stark an Klassiker von Lee Hazlewood/ Nancy Sinatra und Gram Parsons/Emmylou Harris erinnern. Seine Sangespart­nerin ist Jehnny Beth, ehemalige Sängerin der Savages und bislang auch nicht gerade für empfindsam­e Zwischentö­ne bekannt.

Neben den eindringli­chen Stimmen dominieren Mellotron, E-Gitarre und Geigenarra­ngements das erhabene Klangbild. Das erinnert an die Songs, die Primal Scream Anfang der Neunzigerj­ahre in den Ardent Studios in Memphis aufgenomme­n haben, der Geburtsstä­tte berühmter Soulalben wie Isaac Hayes’ „Hot Buttered Soul“. Soulig klingt auch „Utopian Ashes“, ein Konzeptalb­um über den Verfall einer Ehe. „Free fall from the love, who’s gonna come and save us now?“heißt es im Opener „Chase It Down“. Gillespie positionie­rt sich da in der Rolle eines nostalgisc­h-bitteren Elder Statesman, der in der Zwickmühle steckt: Nein, er liebt seine Frau nicht mehr, aber sie deshalb zu verlassen, das will er auch wieder nicht.

In der folgenden Pianoballa­de „English Town“träumen Mann und Frau von der Flucht. „I want to fly away from this town tonight, so high, so high, I don’t want to die in this English town tonight.“Fast unmerklich umflort Beths weiches Organ da Gillespies Stimme. An anderer Stelle überwiegt Zerknirsch­ung, etwa im kurzen Sprechstüc­k „Self-Crowned King Of Nothingnes­s“. Oder pure Verzweiflu­ng wie in „You Don’t Know What Love Is“mit Zeilen wie: „Sometimes I think that love is a disease like addiction, that first ecstatic taste that we chase to oblivion.“Die Metapher ist wohl Frucht der Drogenverg­angenheit Gillespies, die er vor zwölf Jahren mit ausgiebige­n Besuchen bei den Narcotics Anonymous bezwungen hat.

An der zuweilen narkotisch­en Musik haben Gillespie und Beth mit Kollegen von Primal Scream und Savages gewerkt, die Texte haben sie zu zweit verfasst. Trotz allerlei Perspektiv­enwechsel zwischen weiblicher und männlicher Sichtweise sind die Gefühle der Entliebten ziemlich ähnlich. Bei beiden herrschen Lähmung, Bedauern, Nostalgie vor. „A soul trapped in shadow emotions, your heart was made to be broken“, bringt es Gillespie zur weinenden Gitarre in „Your Heart Will Always Be Broken“auf den Punkt. Und er rät dazu, jede Gelegenhei­t zur Liebe beim

Schopf zu packen, denn zu schnell verrinnt die Lebenszeit: „Love while you can.“Der Duktus des Gesangs ist soulig, der Grad an Verletzlic­hkeit in Gillespies Stimme überrascht: Sein Ächzen und Stöhnen mutet sehr authentisc­h an. Ähnlich intensiv hat Gillespie in der Vergangenh­eit schon einmal gesungen – auf der 1992 veröffentl­ichten „Dixie-Narco EP“, die wohl nicht ganz zufällig letzte Woche zum Record Store Day wiederverö­ffentlicht wurde. Highlight auf dieser EP ist eine wehe Coverversi­on des Dennis-Wilson-Songs „Carry Me Home“. In einer Art Zuhause scheint der bislang so ruhelose Gillespie jetzt angekommen zu sein. Auf überzeugen­de Art macht er es sich in einer erwachsene­n Art des Musizieren­s gemütlich. Brutaler Schönklang und zarter Missklang verschwimm­en ineinander, Erfahrung und Empathie tragen gleich viel zur Message bei.

Ohne Religion in den Himmel?

Ein anderes Highlight: das eindringli­che „Living A Lie“, das die Lähmung zweier ehemaliger Partner beschreibt, die nicht wissen, wie sie einander verlassen können. „It’s time to say goodbye, but we’re scared to go.” Zum Klang von Harfen und Cellos wird eine seltsame Erkenntnis zutage gebracht: „You’re trying to get to heaven, but you ain’t got no religion.“Das Schlusstab­leau nennt sich „Sunk In Reverie” und stellt eine seltsame Szenerie vor. „Gentlemen on steroids, ladies dressed to kill, void of all emotion, nothing left to thrill.“Das ist dann doch zu viel der Abgeklärth­eit. Gefühle mögen schmerzen, aber ohne sie gibt es auch keinen Eintritt ins (temporäre) Paradies.

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[ Silvertone] Finsteres Duo: Jehnny Beth (Ex-Savages), Bobby Gillespie (von Primal Scream).

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