Rassismus, das amerikanische Trauma
Critical Race Theory. Wie eine alte Theorie das aktuelle politische Klima in den USA wieder enorm aufheizt.
Seit Gründung der Vereinigten Staaten steht das Rassismus-Thema auf der politischen Tagesordnung. Doch wie man mit diesem Thema umgehen soll, darüber scheiden sich die Geister. Und das nicht erst seit der Präsidentschaft von Donald Trump, der sich durch eine polarisierende Rhetorik die Unterstützung der Anhänger einer weißen Vorherrschaft sicherte.
Diese hatten die achtjährige Präsidentschaft des Afroamerikaners Barack Obama (2009–2017) als Bedrohung empfunden. Trump hatte die „White Supremacists“damals mit der Verschwörungstheorie des „Birtherism“gezielt angesprochen, wonach Obama nicht in den USA geboren sei und somit nicht Präsident hätte werden dürfen.
Als die „New York Times“dem Jahrestag der Ankunft der ersten Schwarzen, die auf dem nordamerikanischen Festland verkauft und versklavt wurden, mit dem „1619 Project“einen großen Schwerpunkt mit Essays und Reportagen widmete, um die Geschichte der USA in einem neuen Licht zu zeigen und die Konsequenzen der Sklaverei zu dokumentieren, verteufelte Donald Trump diese journalistische Aktion. Als Reaktion setzte er eine „1776 Commission“ein. 1776 wurde bekanntlich die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“schrieb über die Bezugnahme auf die Jahrestage 1619 und 1776: „Die beiden instrumentalisierten Daten stehen somit für das Auseinanderdriften von Ideal und Wirklichkeit Amerikas.“
„Juneteenth“, ein neuer Feiertag
Erst vor wenigen Wochen unterzeichnete Präsident Joe Biden ein Gesetz über die Einführung eines landesweiten Feiertages am 19. Juni jeden Jahres zur Erinnerung an das Ende der Sklaverei vor 156 Jahren. „Juneteenth“heißt dieser Feiertag. Das Gesetz wurde in beiden Parlamentskammern mit großer Mehrheit beschlossen. Gegenstimmen gab es bloß von einigen Republikanern. Wiewohl nicht zuletzt als Folge der Bürgerrechtsbewegung von Martin Luther King seit den 1960er-Jahren große Fortschritte in Richtung formaler Gleichberechtigung der Afroamerikaner erzielt werden konnten, gibt es – wie die vergangenen Jahre gezeigt haben – noch immer ein Wohlstandsgefälle zwischen Weiß und Schwarz, oder auch brutale Polizeigewalt gegen Afroamerikaner. Der Polizistenmord an George Floyd im Mai 2020 befeuerte die „Black Lives Matter“-Bewegung und verlieh dem Thema Rassismus neue politische Aktualität.
Nun gibt es bereits seit den 1970er-Jahren die „Critical Race Theory“(CRT), die von ein paar Rechtswissenschaftlern formuliert wurde und sich mit dem Zusammenhang von Rasse, Rassismus und Recht auseinandersetzt.
Die CRT sieht im Rassismus ein historisch gewachsenes und gesamtgesellschaftliches Phänomen, das für ein durch das Recht legitimiertes Machtverhältnis steht.
Als im September 2020 der konservative Journalist Christopher Rufo in der „Tucker Carlson Show“auf Fox News davor warnte, dass die CRT die Regierung des damaligen republikanischen Präsidenten Trump mit DiversityTrainings „unterwandere“, zeigten sich rechte Kreise alarmiert und Trump erkannte die Chance, bei seiner Basis zu punkten. Er erließ ein Dekret über ein Verbot von Diversity-Trainings in Bezug auf strukturellen Rassismus in den USA an staatlichen Institutionen. Sein Nachfolger Biden hat dies mittlerweile wieder aufgehoben. Aber der Kulturkampf ist bereits in vollem Gange. Seit Anfang April diesen Jahres wurde der Begriff „Critical Race Theory“bei Fox News, dem Haussender der Rechten, 1300 Mal verwendet.
Zentrales Wahlkampfthema
Die Republikaner wollen CRT offenbar zu einem zentralen Thema im Wahlkampf für die Zwischenwahlen im November 2022 machen. Nach den Feindbildern Political Correctness und Cancel Culture jetzt also auch CRT. Dem Magazin „New Yorker“sagte Christopher Rufo, CRT, von Trump „toxische Propaganda“genannt, sei der „perfekte Buhmann“, um das rechte Lager im Kulturkampf zu mobilisieren. Und prompt erklärte Floridas republikanischer Gouverneur, Ron DeSantis, die CRT habe nichts in Klassenzimmern und Büchern verloren.
Im ganzen Land wollen republikanische Gesetzgeber CRT regelrecht verbieten, weil Diskussionen in Schulen und Universitäten über strukturellen Rassismus Jugendliche zum Hass aufeinander aufstachelten und „unamerikanisch“und „unpatriotisch“seien. Anti-Rassismus-Trainings, wie sie seit Jahrzehnten in amerikanischen Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen üblich sind, seien selbst rassistisch, tönt es aus Fox News und anderen rechten Medien.
Demgegenüber ist sich die amerikanische Armeeführung darüber im Klaren, dass es Rassismus im Militär gibt, und sie bekämpft diese Tendenzen ganz bewusst durch Aufklärung der Rekruten. Die Republikaner, früher als verlässliche Freunde der Generalität bekannt, attackierten nun sowohl Verteidigungsminister Lloyd Austin, einen pensionierten General, als auch Generalstabschef Mark Milley als Unterstützer von CRT. Der rechte Kongressabgeordnete und Trump-Freund Matt Gaetz musste deshalb eine harsche Belehrung Milleys über sich ergehen lassen.
Herabwürdigung ihrer Heimat
Fazit ist, dass ein Teil der amerikanischen Bevölkerung eine tiefgehende Beschäftigung mit der Geschichte der USA befürwortet. Andere sehen gerade darin eine Herabwürdigung ihrer Heimat. Aber die Sklaverei mit all ihren Folgewirkungen war nun einmal die größte Schande in der Geschichte der USA. Eben deshalb löst dieses Thema auch eine besonders heftige Debatte aus. Eine offene kontroversielle Diskussion ist jedenfalls ein besseres Zeichen für eine freie Gesellschaft als die Heroisierung der eigenen Vergangenheit durch Negierung von Verbrechen und Fehlern. In einer freien Gesellschaft kann man Menschen für ihre Verdienste ehren, aber auch verantwortlich machen für ihre Fehler.
Die illiberale Cancel Culture
Cancel Culture der Linken ist sicher ein illiberaler Trend, aber das Bestreben republikanischer Gesetzgeber, das Lehren von CRT zu verbieten, ist noch viel besorgniserregender. Diese rechte Variante von Cancel Culture ist nichts anderes als gesetzliche Zensur und staatliche Propaganda. Die Republikaner fürchten natürlich die demografische Entwicklung, wonach spätestens 2050 die Weißen, ihre Wählerbastion, in der Minderheit sein werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Bestrebungen der Republikaner zur Einschränkung des Wahlrechts, was vor allem Angehörige der Minderheiten betrifft, zu sehen. Die renommierte amerikanische Historikerin Doris Kearns Goodwin sagt dazu: „Das Wahlrecht zu schützen vor Bestrebungen, es einzuschränken oder seine Ausübung zu erschweren, ist die wichtigste Aufgabe der Biden-Administration. Gelingt das nicht, ist die amerikanische Demokratie in Gefahr.“
I