Spiele auf eigene Gefahr
Olympia 2021. Von Corona geplagt, von Politik, Milliarden und Medaillenjagd geprägt beginnt heute das Großereignis in Tokio. Und der olympische Gedanke? Fünf Punkte zu den fünf Ringen.
CORONA
Wegen der Pandemie wurden Tokios Sommerspiele von 2020 auf 2021 verschoben, behielten aber aus Marketinggründen ihre Jahreszahl. Bei der heutigen Eröffnungsfeier (12.30 Uhr, live, ORF1) sieht man erstmals die Folgen der weiterhin täglich steigenden Coronazahlen (zuletzt knapp unter 2000 pro Tag in Tokio): Diese Spiele finden vor leeren Rängen statt. Erstmals gibt es Olympia ohne Zuschauer – es werden reine TV-Spiele.
Um die Verbreitung des Virus „einzudämmen“, wurden in Japan strenge Richtlinien erlassen. Jeder Akkreditierte, der für die Spiele einreist, muss zwei PCR-Tests mitbringen (der erste darf maximal 96 Stunden alt sein) und gleich bei Ankunft auf dem Flughafen noch einen abliefern. Auf dem Smartphone ist die Corona-App „Ocha“zu installierende Pflicht. Man wird „getrackt“, damit die aufgezogene Olympia-Blase auch kontrolliert bleibt. Jeder Aufenthaltsort ist einen Tag im Voraus anzugeben.
In der Olympia-Blase
Das Verlassen der „OlympiaZone“, bestehend aus Hotel, offiziellen Transportmitteln, Arena, Stadion respektive Pressezentrum, ist die ersten 14 Tage lang nicht gestattet. Das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel oder Sightseeing ist strikt verboten. Weil trotzdem Interviews geführt werden müssen, läuft alles online. ÖOC-Gespräche finden via Zoom statt.
Wer bestelltes Essen abholen will, darf sein Hotel für 15 Minuten verlassen – Datum und Uhrzeit werden allerdings vor dem Verlassen vom Security-Personal notiert. Der Kontakt mit der japanischen Bevölkerung soll unterbunden werden.
Das IOC verlangte allen 11.300 Athletinnen und Athleten zudem die Abtretung der Haftungsrechte im Fall von Folgen einer schweren Corona-Erkrankung ab. Es sind somit Spiele in einer Stadt, die sich im Notstand befindet, auf eigene Gefahr. POLITIK
Ist Olympia für Machthaber ein gern gewähltes Mittel, um Stärke zu zeigen, so ist das Festhalten daran für Japans Premier, Yoshihide Suga, womöglich der Grund, die Wahl im Herbst zu verlieren. Zur heutigen Eröffnung werden nur Vertreter von 15 Ländern und internationalen Organisationen erwartet.
Als einer der wenigen Staatschefs hat sich jener von Frankreich, Emmanuel Macron, angekündigt – weil Paris 2024 Austragungsort der Sommerspiele sein wird. Kaiser Naruhito soll den Beginn der Spiele erklären.
Boykott und Regenbogen
Der Aufruf des EU-Parlaments, die Winterspiele in Peking 2022 politisch zu boykottieren, kam für das IOC zum denkbar ungünstigsten Augenblick. Die Kommunikation in der Corona-Frage ist umstritten, auch zu Chinas Menschenrechtsverletzungen ist kein Kommentar zu hören.
Ob Athleten Stellung beziehen oder Regenbogenfarben tragen werden? Regel 50.2 der Olympischen Charta und die IOC-Richtlinien untersagen Botschaften mit politischem Inhalt während des Spiels, nicht aber davor und danach. Bei der Medaillen-Zeremonie sind solche Botschaften unerwünscht und würden sanktioniert werden.
Laut „Guardian“soll das IOC Social-Media-Teams angeordnet haben, keine Bilder von knienden Sportlern zu posten. Das wurde am Donnerstag heftig dementiert. SPORT
Wer seit 2008 Sommerspiele verfolgt, kennt kein Festival ohne Michael Phelps oder Usain Bolt. Der US-Schwimmer gewann 23-mal Gold, der Jamaikaner dreimal das Sprint-Triple (100, 200 und 4 x 100 Meter). In Tokio rücken daher andere Sieger ins Bild.
Novak Djokovic´ ist Favorit im Tennis, im Turnen führt kein Barren an Simone Biles (USA, 1,42 Meter groß) vorbei. Kevin Durant steht den US-Basketballern vor, TourSieger Tadej Pogacarˇ (Rad) will im Straßenrennen triumphieren. Katie Ledecky (USA, Schwimmen) oder Alistair Brownlee (USA, Triathlon) sind eine Medaillenbank.
Medaillen aus Handys
Und Österreich? Der ÖOCTross umfasst 75 Starter, die besten Chancen haben Lukas Weißhaidinger (Diskus), Jakob Schubert (Klettern) und Felix Auböck (400 Meter Kraul). Aber: In London 2012 ging man leer aus, in Rio 2016 gab es eine Bronzene.
Die Medaillen wiegen 550 Gramm, das Edelmetall stammt aus alten Handys und Elektrogeräten, die landesweit eingesammelt wurden. Auf den Recycling-Plaketten in Gold, Silber und Bronze thront die Siegesgöttin Nike. GELD
Anfangs hatte Tokios Organisationskomitee die Kosten auf 15,4 Milliarden Dollar beziffert, durch die Verschiebung kamen 2,3 Milliarden Euro an Mehrkosten hinzu. Wie groß der Ausfall durch Ticketing und Merchandising wird, ist noch unklar. Ob eine Absage günstiger gewesen wäre, daran scheiden sich die Geister – sowie an den Gesamtkosten von 19 Milliarden Euro.
Der Gewinner ist das Internationale Olympische Komitee. Der TV-Sender NBC zahlt für die US-Übertragungsrechte eine Milliarde Euro. In Europa lässt sich Discovery (Eurosport) die Spiele 400 Mio. Euro kosten. Der weitere Weg in die Zukunft ist klar: Bis Brisbane 2032 läuft der TV-Vertrag mit einem Gesamtvolumen über 5,57 Mrd. Euro.
Auch fließen pro Event noch Sponsor-Milliarden: In Japan brachten 60 Konzerne drei Milliarden Euro auf. Toyota sprang kurzfristig ab. OLYMPIA
Olympische Spiele stehen eigentlich für Gemeinsamkeit, Vielfalt und trotz aller kommerziellen Argumente auch für Sport, Leistung und kollektives Erlebnis. Die Geschichten von Volunteers, den „Freiwilligen“, die stets schier Unmögliches auf sich nehmen, nur um bei diesem Event dabei zu sein, gehen dabei ebenso unter die Haut wie ein Olympiasieg.
Im olympischen Dorf herrscht Partystimmung rund um die Uhr, Medaillenfeiern im Austria House sind legendär. Und wer je durch Athen, Peking, London oder Rio spaziert ist in Zeiten der Spiele, der weiß, welch Flair und Freudenstimmung bei Bevölkerung, Fans und Stars zu sehen war und gelebt wurde.
Nur eine Gemeinsamkeit
2021 ist aber alles anders. Maske tragen bei 33 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, Abstand wahren, tägliche Tests, kein Applaus, keine Familien, keine Freunde – und spätestens 48 Stunden nach dem Event muss ein Sportler das Dorf verlassen haben. Es gibt keine Feiern.
„Schneller, höher, weiter“oder „Dabeisein ist alles“, es mag das olympische Motto sein. Die einzige Gemeinsamkeit in Tokio ist bloß die, dass strenge Regeln und Verbote gelten. Der nach Vielfalt suchende Geist bleibt ausgesperrt wie Besucher oder Touristen. Auch deshalb werden es einzigartige Spiele.