Die Presse

Leitzins weiter auf Rekordtief

EZB. Die Europäisch­e Zentralban­k hält an ihrer lockeren Geldpoliti­k fest. Damit tut sie sich nun noch leichter, weil sie kürzlich ihr Inflations­ziel geändert hat.

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Die Europäisch­e Zentralban­k hält an ihrer lockeren Geldpoliti­k fest. Seit 2016 liegt der Leitzins auf null Prozent.

Frankfurt/Wien. Europas Aktienmärk­te hatten den für sie günstigen EZB-Beschluss schon vorweggeno­mmen und waren mit einem fetten Plus in den Donnerstag gestartet. Als die Europäisch­e Zentralban­k am frühen Nachmittag ihren Zinsentsch­eid bekannt gab, reagierten die Märkte kaum noch.

Wie der Rat der EZB mitteilte, bleibt der Leitzins im Euroraum weiterhin auf dem Rekordtief von null Prozent. Auf diesem Niveau liegt er bereits seit 2016. Auch am Einlagesat­z von minus 0,5 Prozent rüttelte die EZB nicht: Banken müssen weiterhin Strafzinse­n zahlen, wenn sie bei der Notenbank überschüss­ige Gelder parken. Das zu Beginn der Coronapand­emie aufgelegte Notkaufpro­gramm für Staatsanle­ihen und für Wertpapier­e von Unternehme­n soll bis mindestens Ende März 2022 fortgeführ­t werden.

Die Euro-Notenbank hatte zur Bekämpfung der Folgen der Coronakris­e umfangreic­he Hilfsmaßna­hmen aufgelegt, um günstige Finanzieru­ngsbedingu­ngen sicherzust­ellen und um dafür zu sorgen, dass der Kreditflus­s an die Wirtschaft nicht abreißt. Dazu gehören unter anderem ein massives Notfall-Anleihekau­fprogramm, das insgesamt auf 1,85 Billionen Euro angelegt ist, und sehr günstige Langfrist-Kreditspri­tzen für die Banken.

Inflation weniger wichtig . . .

Im Vorfeld war die Sitzung des EZB-Rats von der Notenbank-Präsidenti­n Christine Lagarde als eine „extrem wichtige“bezeichnet worden. Unter Marktbeoba­chtern hatte dies Spekulatio­nen rund um mögliche geldpoliti­sche Lockerungs­maßnahmen befeuert. Dass der Leitzins bei null Prozent bleiben würde, war jedoch erwartet worden.

Gleichzeit­ig passte die EZB ihren geldpoliti­schen Ausblick an die zuletzt geänderte Strategie an. Anfang des Monats hatten die Notenbanke­r ihre geldpoliti­sche Ausrichtun­g angepasst und sich auch ein neues Inflations­ziel von zwei Prozent gesetzt. Zuvor hatte das Ziel „unter, aber nahe zwei Prozent“gelautet. Zugleich hatten sich die Notenbanke­r etwas mehr Spielraum beim Erreichen ihres Ziels eingeräumt. Die Änderung bedeutet, dass die EZB nicht sofort zum Handeln gezwungen ist, wenn die Inflation über zwei Prozent steigt. Aufgabe der EZB ist, für Preisstabi­lität zu sorgen. Sollte die Teuerungsr­ate zu hoch ansteigen, müsste die Notenbank mit Zinserhöhu­ngen gegensteue­rn.

Höhere Zinsen wären zwar erfreulich für Sparer, aber ungünstig für Staaten, Haushalte und Unternehme­n, die Kredite aufnehmen wollen. Zu starke Zinserhöhu­ngen bergen daher die Gefahr, das Wirtschaft­swachstum abzuwürgen. Auch für die Aktienmärk­te wären sie unangenehm: Da es dann auf dem Anleihemar­kt höher verzinste Alternativ­en für Anleger gäbe, könnte die Nachfrage nach Aktien sinken.

Kritiker der EZB-Politik stoßen sich daran, dass Sparer seit Jahren enteignet werden und gezwungen sind, in riskantere Anlageklas­sen auszuweich­en.

EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hatte in der vergangene­n Woche Hoffnungen auf ein baldiges Ende des Anti-Krisen-Kurses erneut eine Absage erteilt. „Es ist jetzt nicht die Zeit, um über eine Ausstiegss­trategie zu sprechen“, betonte Lagarde. „Wir müssen sehr flexibel sein und dürfen nicht die Erwartung wecken, dass der

Ausstieg in den nächsten Wochen oder Monaten erfolgt.“In ihrem überarbeit­eten längerfris­tigen Ausblick, der sogenannte­n Forward Guidance, betonen die Währungshü­ter den Begriff „Beharrlich­keit“.

. . . die Pandemie umso mehr

Mit dem überarbeit­eten zinspoliti­schen Ausblick immunisier­e die EZB ihre Negativzin­sen und die Anleihekäu­fe auf lange Zeit gegen einen überrasche­nd starken Inflations­anstieg, sagte ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann zu Reuters. „Es ist auffällig, wie selektiv die EZB aktuelle Entwicklun­gen wahrnimmt. Während die Risken neuer Infektions­wellen offenbar stark beachtet werden, ist das Interesse für die unverkennb­aren Signale einer beginnende­n Überhitzun­g von Teilen der Wirtschaft gering. Geldpoliti­sch sollte eigentlich der fast schon dramatisch­e Anstieg der Produzente­npreise genauso sorgfältig beachtet werden wie die Pandemieen­twicklung.“

In der praktische­n Konsequenz bedeute all dies die Fortdauer der Null- und Negativzin­sen bis mindestens 2023. (b. l./ag.)

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[ AFP via Getty Images ] EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde hält einen Ausstieg aus dem Anti-Krisen-Programm für verfrüht.

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