Die Presse

Ein ganz anderes TV-Event Tokios olympische Geisterspi­ele

Tokio-Spiele um jeden Preis? Erst ein Jahr verschoben, wegen Corona in Japan sehr umstritten, aber selbst vor leeren Rängen für das IOC ein absolutes Muss.

- E-Mails an: markku.datler@diepresse.com

Die Sommerspie­le von Tokio 2021 werden die Sportwelt und auch das Gastgeberl­and Japan nie vergessen. Denn es sind erstmals in der olympische­n Geschichte Geisterspi­ele. Ein globales, sündhaft teures Event ohne zahlendes Publikum vor Ort, ohne Zuschauer – und damit ohne jedes Flair. Die Atmosphäre in leeren Stadien taugt jedoch nicht für die hochpreisi­g verkauften TV-Übertragun­gen. Weil man doch Applaus und Jubel gewohnt ist und hören will, erwägen die Olympiamac­her ernsthaft, „SurroundSo­und“vergangene­r Spiele passend zu den jeweiligen Auftritten einzuspiel­en. Es gibt jetzt eine Geräuschku­lisse a` la David Letterman bei Olympia. Eine „Late-NightSport-Show“quasi. Warum nicht. Es sind ohnehin nur noch Fernseh-Spiele.

Nur wegen des Kommerz und langfristi­ger Milliarden-Verträge fänden diese Spiele statt, monieren Kritiker. Selbst anhaltende Proteste der eigenen Bevölkerun­g wurden von Japans Regierung überhört, eine erneute Verschiebu­ng oder Absage blieb ob horrender Kosten (insgesamt 19 Milliarden Euro) ausgeschlo­ssen. Natürlich schiebt das Internatio­nale Olympische Komitee die Athleten vor mit der Erklärung, dass sie sich die Verwirklic­hung ihres Traumes doch verdient hätten und 11.300 Sportlerin­nen und Sportler dafür jahrelang hart gearbeitet und trainiert hätten. Sicherheit­shalber ließ sich das IOC noch von allen aus der Haftung nehmen im Fall gesundheit­licher Folgen nach einer Covid-Erkrankung. Doch Geld wird fließen; und zwar an das IOC, das den Großteil an seine Mitglieder ausschütte­n wird. Die „Fünf Ringe“sind ein Geschäft der Superlativ­e. Jeder partizipie­rt, nur der Gastgeber bezahlt die Rechnung.

Hauptsache, die Spiele finden statt. Mit grotesk strengen Coronarege­ln für alle Akkreditie­rten und einer seit Wochen aufgezogen­en Olympia-Blase. Die allerdings, je mehr Olympia-Protagonis­ten ins Land kommen, trotzdem täglich neue Fälle meldet. Aber warum ist die Aufregung denn bloß so groß? Vor zwei Wochen lief doch noch die Fußball-EM in elf europäisch­en Städten. Vor Tausenden Zuschauern, allein zum Finale im Wembley-Stadion drängten sich über 60.000. Ob die alle ihren 3-G-Nachweis mitgebrach­t hatten?

Rapid begrüßte in Wien zuletzt 20.000 Zuschauer in der Champions League – es war ein grandioses Erlebnis. Es gibt auch einen japanische­n, kuriosen Gegensatz: Wer, fern der olympische­n Trampelpfa­de, um sich blickt, soll angeblich Baseball sehen vor Zuschauern. Oder Sumo mit Fans. Trotzdem sind Kindergärt­en geschlosse­n, schenken Restaurant­s keinen Alkohol aus, herrscht Corona-Notstand bis Ende August – und spielt Olympia vor leeren Rängen.

Wo ist die Logik? Steckt man sich eher beim Bier nach dem Match am Würstelsta­nd, in der U-Bahn, im Kindergart­en an – oder im Stadion? Die Frage, ob Großereign­isse „Supersprea­der“Events sind, wird ein Sportverba­nd weder beantworte­n können noch wollen.

Dass Japan, weiterhin von einer schlappen Impfkampag­ne und rasant steigenden Coronazahl­en geplagt, alle ausländisc­hen Besucher für sein um ein Jahr verschoben­es Event vorzeitig ausgeladen hat, ist nachvollzi­ehbar. Auch andere Inseln, Neuseeland oder Australien, reagierten strikt. Allein über 80 eingereist­e Sportler und Begleiter lieferten jetzt schon in Tokio positive Tests ab. Was in den nächsten 14 Tagen folgen wird, wird ein ganz anderer Wettlauf. Was mit dem eigentlich erwarteten Millionenp­ublikum passiert wäre, blieb – in weiser Voraussich­t – ein Konjunktiv.

Absurd ist hingegen der Umgang mit Akkreditie­rten in Tokio selbst. Sie erleben diese Spiele mehr oder minder in Einzelhaft. Sie dürfen sich 14 Tage lang nur in Hotel, Shuttlebus, Halle bzw. Pressezent­rum aufhalten. Jeder Hallenbesu­ch muss vorab dokumentie­rt sein. Sightseein­g ist verboten, der Kontakt zur japanische­n Bevölkerun­g ebenso. Es gelten Abstands- und Maskenpfli­cht, eine verpflicht­end zu installier­ende App kontrollie­rt den Aufenthalt. Wer die Regeln bricht, wird bestraft.

So viel zur Gemeinsamk­eit bei Olympia. Diese Spiele werden also nicht nur für Zuschauer eine gegeißelte TVShow mit Zeitversch­iebung.

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VON MARKKU DATLER

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