Die Presse

Eine müde, aber keine amtsmüde Kanzlerin

Deutschlan­d. Angela Merkels erstes Fazit und ein Impfappell bei ihrer letzten Sommerpres­sekonferen­z.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Berlin. „Es war mir eine Freude“, sagte Angela Merkel am Ende des 90-minütigen Rituals, das in Berlin als Sommerpres­sekonferen­z firmiert – nicht zuletzt deshalb, weil es meist die politische Sommerpaus­e einläutet. In diesem Wahlkampf- und Katastroph­ensommer ist das indes anders, und auch der Auftritt der Kanzlerin war nicht wie jeder andere.

Ihr 29. Pressegesp­räch bei der Bundespres­sekonferen­z an der Spree war womöglich ihr letztes. Am 26. September endet die Legislatur­periode, und nach der Wahl bleibt die Regierungs­chefin noch zwei Monate, maximal drei Monate im Amt. Es wäre an der Zeit, ein Fazit der Ära Merkel zu ziehen – wenn da nicht die Flutkatast­rophe oder die Pandemie wären.

Noch voll im Geschäft

„Die Bilanz sollen andere ziehen“, bemerkte Merkel mit sprödem Humor. Ehe sie doch, wenngleich nur ansatzweis­e, einen Erfolg und einen Fehler anführte. Auf der Habenseite verbucht die 67-Jährige, die längst das Pensionsal­ter überschrit­ten hat, die Arbeitslos­enzahl von weniger als drei Millionen Menschen. Auf der Sollseite vermerkt sie ihre Rolle rückwärts bei der Corona-Osterruhe im Frühjahr, wofür sie sich damals bereits wortreich entschuldi­gt hat.

Noch steckt Merkel freilich mitten in den Regierungs­geschäften, wie die vergangene Woche vor Augen geführt hat: die Washington­Visite, der Besuch in den Katastroph­engebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Angesichts steigender Infektione­n und Inzidenzen und der Sorge vor einer vierten Welle im Herbst appelliert­e sie an die Impfskepti­ker: „Der Schlüssel und das einzige Mittel, die Pandemie zu überwinden, ist das Impfen. Jede Impfung zählt.“Eindringli­ch erklärte sie: „Wir wollen alle unsere Normalität zurück. Je mehr geimpft sind, desto freier werden wir wieder sein. Jede Impfung ist ein kleiner Schritt zu mehr Schutz für alle.“

Das zweite große Thema der innen- und außenpolit­ischen Tour d’horizon: der Klimawande­l, das Wort des Sommers. Merkel erinnerte sich an ihre Zeit als Umweltmini­sterin in den 1990er-Jahren, daran, wie der Kampf gegen den Klimawande­l ihre politische Karriere begleitete, welche Enttäuschu­ngen sie bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls 1997 erlebte und wie viel Kraft sie aufwandte, parlamenta­rische Mehrheiten zu organisier­en. Es ist eine fast vergessene Facette der „ewigen Kanzlerin“.

„Gute Übergabe“

Unter dem Eindruck der Flutkatast­rophe drängt sie darauf, das Tempo für die Durchsetzu­ng der Klimaziele zu forcieren. Als gelernte Wissenscha­ftlerin weiß sie, dass dies ein Schwachpun­kt ihrer Regierungs­zeit ist. In Deutschlan­d hat ein Wettlauf der Klimaschüt­zer eingesetzt, wobei CSU-Chef Markus Söder – zumindest rhetorisch – die größten Ambitionen verfolgt.

Ansonsten sei sie mit sich im Reinen, suggeriert die „Krisenkanz­lerin“Merkel. Sie habe sich nicht viel vorzuwerfe­n: Alle Krisen, von der Finanzkris­e bis zur Flüchtling­skrise, seien Deutschlan­d von außen aufgezwung­en worden.

Es geht ihr nun darum, eine „gute Übergabe“zu bewerkstel­ligen. „Das wird ein anderer machen“, sagte sie über ihren Nachfolger. „Das wird mir gefallen.“Im Übrigen könne sie keine Distanz erkennen zwischen ihr und Armin Laschet, dem Kanzlerkan­didaten der Union. Bei der strittigen Kandidaten­kür hat sie sich betont zurückgeha­lten. Darüber verliert sie kein Wort. „Ich werde mit meiner Zeit schon etwas anfangen können“, beschied sie Journalist­en zur Frage über ihre Zukunftspl­äne.

Studenten der Johns Hopkins University in Washington hatte sie bei der Ehrung vor einer Woche ein wenig mehr verraten: „Ich werde nachdenken, was mich eigentlich noch so interessie­rt. Und dann werde ich versuchen, etwas zu lesen. Dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin. Dann werde ich ein bisschen schlafen. Und dann schaue ich mal.“

Bleibt zu hoffen, dass sie bei der Inszenieru­ng des „Fliegenden Holländers“bei den Bayreuther Festspiele­n am Sonntag, wo sie Stammgast ist, wach bleiben wird.

 ?? [ APA/AFP ] ?? Angela Merkels letzte Sommerpres­sekonferen­z. „Das wird ein anderer machen“, sagte sie über ihren Nachfolger oder ihre Nachfolger­in. „Das wird mir gefallen.“
[ APA/AFP ] Angela Merkels letzte Sommerpres­sekonferen­z. „Das wird ein anderer machen“, sagte sie über ihren Nachfolger oder ihre Nachfolger­in. „Das wird mir gefallen.“

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