Eine müde, aber keine amtsmüde Kanzlerin
Deutschland. Angela Merkels erstes Fazit und ein Impfappell bei ihrer letzten Sommerpressekonferenz.
Wien/Berlin. „Es war mir eine Freude“, sagte Angela Merkel am Ende des 90-minütigen Rituals, das in Berlin als Sommerpressekonferenz firmiert – nicht zuletzt deshalb, weil es meist die politische Sommerpause einläutet. In diesem Wahlkampf- und Katastrophensommer ist das indes anders, und auch der Auftritt der Kanzlerin war nicht wie jeder andere.
Ihr 29. Pressegespräch bei der Bundespressekonferenz an der Spree war womöglich ihr letztes. Am 26. September endet die Legislaturperiode, und nach der Wahl bleibt die Regierungschefin noch zwei Monate, maximal drei Monate im Amt. Es wäre an der Zeit, ein Fazit der Ära Merkel zu ziehen – wenn da nicht die Flutkatastrophe oder die Pandemie wären.
Noch voll im Geschäft
„Die Bilanz sollen andere ziehen“, bemerkte Merkel mit sprödem Humor. Ehe sie doch, wenngleich nur ansatzweise, einen Erfolg und einen Fehler anführte. Auf der Habenseite verbucht die 67-Jährige, die längst das Pensionsalter überschritten hat, die Arbeitslosenzahl von weniger als drei Millionen Menschen. Auf der Sollseite vermerkt sie ihre Rolle rückwärts bei der Corona-Osterruhe im Frühjahr, wofür sie sich damals bereits wortreich entschuldigt hat.
Noch steckt Merkel freilich mitten in den Regierungsgeschäften, wie die vergangene Woche vor Augen geführt hat: die WashingtonVisite, der Besuch in den Katastrophengebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Angesichts steigender Infektionen und Inzidenzen und der Sorge vor einer vierten Welle im Herbst appellierte sie an die Impfskeptiker: „Der Schlüssel und das einzige Mittel, die Pandemie zu überwinden, ist das Impfen. Jede Impfung zählt.“Eindringlich erklärte sie: „Wir wollen alle unsere Normalität zurück. Je mehr geimpft sind, desto freier werden wir wieder sein. Jede Impfung ist ein kleiner Schritt zu mehr Schutz für alle.“
Das zweite große Thema der innen- und außenpolitischen Tour d’horizon: der Klimawandel, das Wort des Sommers. Merkel erinnerte sich an ihre Zeit als Umweltministerin in den 1990er-Jahren, daran, wie der Kampf gegen den Klimawandel ihre politische Karriere begleitete, welche Enttäuschungen sie bei der Umsetzung des Kyoto-Protokolls 1997 erlebte und wie viel Kraft sie aufwandte, parlamentarische Mehrheiten zu organisieren. Es ist eine fast vergessene Facette der „ewigen Kanzlerin“.
„Gute Übergabe“
Unter dem Eindruck der Flutkatastrophe drängt sie darauf, das Tempo für die Durchsetzung der Klimaziele zu forcieren. Als gelernte Wissenschaftlerin weiß sie, dass dies ein Schwachpunkt ihrer Regierungszeit ist. In Deutschland hat ein Wettlauf der Klimaschützer eingesetzt, wobei CSU-Chef Markus Söder – zumindest rhetorisch – die größten Ambitionen verfolgt.
Ansonsten sei sie mit sich im Reinen, suggeriert die „Krisenkanzlerin“Merkel. Sie habe sich nicht viel vorzuwerfen: Alle Krisen, von der Finanzkrise bis zur Flüchtlingskrise, seien Deutschland von außen aufgezwungen worden.
Es geht ihr nun darum, eine „gute Übergabe“zu bewerkstelligen. „Das wird ein anderer machen“, sagte sie über ihren Nachfolger. „Das wird mir gefallen.“Im Übrigen könne sie keine Distanz erkennen zwischen ihr und Armin Laschet, dem Kanzlerkandidaten der Union. Bei der strittigen Kandidatenkür hat sie sich betont zurückgehalten. Darüber verliert sie kein Wort. „Ich werde mit meiner Zeit schon etwas anfangen können“, beschied sie Journalisten zur Frage über ihre Zukunftspläne.
Studenten der Johns Hopkins University in Washington hatte sie bei der Ehrung vor einer Woche ein wenig mehr verraten: „Ich werde nachdenken, was mich eigentlich noch so interessiert. Und dann werde ich versuchen, etwas zu lesen. Dann werden mir die Augen zufallen, weil ich müde bin. Dann werde ich ein bisschen schlafen. Und dann schaue ich mal.“
Bleibt zu hoffen, dass sie bei der Inszenierung des „Fliegenden Holländers“bei den Bayreuther Festspielen am Sonntag, wo sie Stammgast ist, wach bleiben wird.