Wissenschaftler befürchten mehrere Millionen Covid-Tote
Indien. Studien gehen davon aus, dass die offizielle Zahl der Corona-Opfer um ein Vielfaches überschritten wird.
Neu Delhi/Wien. Indien befand sich im April und Mai dieses Jahres inmitten einer dramatischen Coronawelle. Inzwischen hat sich die Lage entspannt. Täglich werden zwischen 30.000 und 40.000 neue Coronafälle gemeldet. Jüngste Studien zeigen zugleich, dass die Opferzahl weit höher ist als bisher angenommen: Zwischen 1,3 und fünf Millionen Menschen könnten mit dem Virus verstorben sein. Selbst die kleinere der genannten Zahlen würde traurigen Weltrekord bedeuten: doppelt so viele Tote wie in den USA, die derzeit mit 610.000 Toten in der Statistik an erster Stelle liegen.
Offiziell wurden in Indien etwa 419.000 Todesfälle gezählt. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat in rund der Hälfte der 28 indischen Bundesstaaten nachgefragt und Daten von April bis Mai aus den letzten beiden Jahren verglichen. Das Ergebnis: Die CoronaOpferzahl sei vollkommen unterschätzt worden. Grund dafür sei eine Kombination aus mangelnder Registrierung und zu wenigen Testungen, sodass bei etlichen Todesfällen zum Beispiel als Ursache Herzkrankheiten notiert wurden.
Datenanalysen anderer Wissenschaftler – etwa jene von Bhramar Mukherjee, Professorin an der School of Public Health an der Universität von Michigan, – untermauern die Recherchen. Ihre Studien nennen ebenfalls eine hochgerechnete Opferzahl von 1,3 Millionen Menschen bis zum 15. Juni.
Regierung skeptisch
„Die tatsächliche Zahl der Todesfälle liegt wahrscheinlich bei mehreren Millionen, nicht bei Hunderttausenden“, rechnet auch Arvind Subramanian, Ex-Wirtschaftsberater der indischen Regierung, der mittlerweile für einen Washingtoner Thinktank arbeitet. Die Behörden nennen die neuen Berechnungen hingegen „spekulativ“. Premierminister Narendra Modi betont stets, Indien habe die Krise besser überstanden als jedes andere Land – mit Verweis auf die verhältnismäßig wenigen Toten.
Wie tief das Coronavirus in der indischen Bevölkerung verbreitet ist, zeigt eine vom Staat in Auftrag gegebene Studie: Zwei Drittel der 36.000 indischen Testpersonen ab sechs Jahren weisen Antikörper auf – von einer Infektion oder einer Impfung. Ohne raschen Impffortschritt droht aber auch in Indien eine neue Coronawelle. Das weiß auch die Regierung.