Beginnt in Ungarn nun das Endspiel?
Gastbeitrag. Seit 2010 baut Orb´an Schritt für Schritt Ungarns bürgerliche Demokratie ab. Der Abhörskandal ist ein weiteres Beispiel.
Es nahen Wahlen in Ungarn und der nun bekannt gewordene Abhörskandal in Ungarn (aufgedeckt von einem Journalistenkollektiv) zeigt: Viktor Orban´ wird alle Register ziehen, um die Opposition zu bezwingen. Und das passiert in Ungarn, wo in den Jahrzehnten der kommunistischen Diktatur die Bürger bespitzelt und abgehört worden sind. Als gebürtiger Ödenburger kann ich mich gut daran erinnern, dass wir 1990 gemeint haben: So etwas geschieht nie wieder.
Seit 2010 baut Orban´ die Errungenschaften einer bürgerlichen Demokratie Schritt für Schritt ab, als antidemokratischer Politiker besetzt er alle Schlüsselpositionen mit ihm hörigen Personen. Schon bei der jüngsten Parlamentswahl, 2018, konnte sein Parteienbündnis FideszKDNP dank des Wahlsystems mit etwa 48 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit erreichen – unter Umständen, die laut OSZE-Wahlbeobachtern alles andere als fair erschienen. Seitdem wurde sein autoritäres Regime ausgebaut und die Möglichkeiten der Oppositionskräfte wurden eingeengt. Im Medienbereich ist die Lage trostlos: Im öffentlichrechtlichen Rundfunk werden keine Oppositionspolitiker geladen, über 500 Print- und Onlinemedien wurden mit einer Fidesznahen Stiftung gleichgeschaltet und verbreiten Regierungspropaganda; der Rechnungshof (an der Spitze ein getreuer Orban-´Mann) findet stets Wege, die Parteien der Opposition zu hohen Strafen zu verdammen. Und jetzt ist der Beweis da, dass kritische Journalisten und auch Oppositionspolitiker mit der Spähsoftware der Firma NSO abgehört wurden. Diese Software wurde in keinem anderen EU-Mitgliedstaat verwendet, aber sehr wohl in anderen autoritären Staaten, zu denen Orban´ ein enges Verhältnis pflegt.
Vielsagend sind auch die Reaktionen der Fidesz-Politik. Weder in den Nachrichten der offiziellen ungarischen Presseagentur MTI noch in den genannten Medien ist ein Bericht dazu erschienen. Der Vorsitzende des Ausschusses für die nationale Sicherheit, Janos´ Stummer (Jobbik) und alle Oppositionsmitglieder desselben wollen eine Anhörung der Verantwortlichen erreichen.
Nach ersten Reaktionen wird Fidesz die Ausschusssitzung unmöglich machen, da seine Politiker nicht erscheinen wollen. Apropos: Orban´ hat vor Jahren die Möglichkeit abgeschafft, im ungarischen Parlament U-Ausschüsse zu bilden. Der Parlamentspräsident spricht hohe Geldstrafen ohne eindeutige Begründung gegen Oppositionspolitiker aus und meinte in einem Interview kürzlich, dass das europäische Parlament überflüssig sei. Alles erinnert mich an das Einparteiensystem der Kommunisten.
Ausland hat lang zugeschaut
Was sagt man im Ausland dazu? Sowohl die EVP als auch die EU haben zu lang zugeschaut und dieses immer autoritärer werdende System üppig finanziert. Nicht zu vergessen: Der Vertreter der in Ungarn ohne messbare gesellschaftliche Unterstützung (null Prozent in Umfragen) formell existierenden Fidesz-Satellitenpartei namens KDNP (christlich-demokratische Volkspartei) sitzt weiterhin in den Reihen der EVP. Ihre Abgeordneten sind gewöhnlich die richtigen Scharfmacher des Orban-´Kurses im ungarischen Parlament. Folgerichtig müsste die EVP also auch dieses Überbleibsel loswerden, wenn sie ein wenig an Glaubhaftigkeit gewinnen wollte.
Es gibt aber auch gute Nachrichten: Bei den Wahlen im April 2022 wird unser breites Wahlbündnis aller Oppositionsparteien (von der christlich-sozialen Volkspartei Jobbik bis zu linken, liberalen und grünen Parteien) diesem Albtraum vielleicht ein Ende setzen.
Koloman Brenner, Vizepräsident des ungarischen Parlaments (Jobbik).
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