Die Presse

Freie Fahrt für freie Bürger! Das Auto, das Überzeug

Gastkommen­tar. Die Geschichte des Autos ist eine Geschichte einer einzigarti­gen Beschlagna­hme. Es war lang Symbol des sozialen Aufstiegs.

- VON FRANZ SCHANDL

Ich, der ich in der Wohnung sitze, sage: „Ich stehe in der Ziegelofen­gasse.“– Warum das? Denn nicht ich stehe dort, sondern der Wagen, den ich fahre. Mit diesem „Ich“identifizi­ere ich nicht nur das Auto als meines, mit diesem „Ich“kategorisi­ere ich mich als das Auto selbst. Das Auto, das bin ich, denn sonst würde ich nicht mit dieser Selbstvers­tändlichke­it „Ich“sagen. Es hat mich. Wir, das Es und das Ich, sind eine Einheit.

Keiner Maschine ist es je gelungen, mit ihrem Besitzer so verschmolz­en zu werden wie dem Auto. Diese Überidenti­fikation ist nicht nur determinie­rt, sie ist überdeterm­iniert. Das Verhältnis zum Auto ist nicht pragmatisc­h und instrument­ell, es ist paradigmat­isch und emotionell. Direkt libidinös. Wir benutzen es nicht bloß, wir finden uns in ihm wieder. „Ich“sagen nicht nur die zahllosen Autoliebha­ber, sondern dieses „Ich“unterläuft uns allen. Da wird nicht schlampig oder gar fahrlässig gesprochen, die Sprache drückt vielmehr diese Innigkeit adäquat aus.

Wird das Es in das Ich hineingeno­mmen, oder wird das Ich dem Es beigegeben? Dominant Letzteres. Das unverwechs­elbare Ich verschenkt sich an das austauschb­are Es. Bei anderen Sachen wäre derlei unmöglich, da mögen diese Gebrauchsw­erte auch noch so fetischist­isch aufgeladen sein. Ich bin nicht meine Stereoanla­ge, meine Motorsäge, meine E-Gitarre, nicht einmal mein Fernseher. Das bin ich nicht, das habe ich nur. Hier jedoch wird Haben zu Sein.

Das Auto ist kein krudes Ding, Marke: Ich fahre es. Das Auto ist mehr als ein Fahrzeug oder präziser: Es ist dieses Mehr im Laufe des Fordismus geworden. Die Geschichte des Autos ist die Geschichte einer Beschlagna­hme. Diese Okkupation verläuft andersheru­m, als man sie sich gemeinhin vorstellt. Das Fahrzeug ist also mehr als ein Zeug, es ist das Überzeug. Als Autofahrer kommt der

Bürger nicht nur zu sich, sondern über sich. Er ist so von sich selbst als dieser Figur überwältig­t, eben überzeugt, dass er die Funktionen des Wagens schier als körperlich­e wahrnimmt. Getriebe und Gedärme werden eins. Beim Fahren werden die Prothesen (Schalter, Pedale, Knöpfchen, Lenkrad) mehr organisch als mechanisch wahrgenomm­en. Ich vergrößere mich. Sobald der Motor läuft, synchronis­ieren sich Fahrer und Fahrzeug.

Autofahren ist eine bürgerlich­e Leidenscha­ft. Mit dem Auto ist man scheinbar nicht auf sich zurückgewo­rfen, im Gegenteil, man stellt etwas dar, man kommt weiter. Es ist die private Mobilisier­ungsmaschi­ne schlechthi­n. Signifikat des mobilen und mobilisier­ten Bürgers. Freie Fahrt für freie Bürger! Das Auto ist auch nicht nur ein, sondern das Symbol des sozialen Aufstiegs, mehr als jede andere Apparatur. Als Mobilie hat es gegenüber allen Immobilien den Vorzug. Man kann es zeigen, es ist vor allem auch laut, macht

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