Amazon wird zum globalen Wahrheitsministerium
Das größte Kaufhaus der Welt stellt in Zukunft nicht nur Pakete zu, sondern oktroyiert seinen Millionen Kunden auch seine Weltanschauung.
Der US-amerikanische AmazonKonzern, längst nicht nur weltweit geschätzter Zustelldienst für alles und jedes, sondern auch einer der größten Filmproduzenten der Welt, hat im Juni einen Leitfaden herausgegeben, mit dem mehr „Diversität, Gleichheit und Inklusion“erreicht werden soll, um „langjährige Gewohnheiten“in der Filmbranche zu überwinden.
In diesem „Inclusion Playbook“geht es nicht nur um sogenannte gendergerechte, also verstümmelte und verhunzte Sprache, es geht um die Art und Weise, wie die Welt künftig in Amazon-Produktionen dargestellt, beschrieben und gesehen werden soll. So will der Konzern, dass künftig nur noch solche Schauspieler eine bestimmte Rolle kriegen, deren Geschlecht, Herkunft, aber auch sexuelle Präferenz oder körperliche Beeinträchtigung auch der Identität der gespielten Figur entspricht.
Das heißt: Rollen werden künftig nicht mehr an die Person vergeben, die dafür nach Ansicht von Produzentin oder Regisseur am besten geeignet ist, sondern nach der Identität des Schauspielers. Homosexuelle etwa dürfen dann nur noch von homosexuellen Schauspielern gespielt werden, Juden nur von jüdischen.
Dass man Rollen nach der Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung vergibt, hätte man früher als rassistisch und diskriminierend empfunden – heute gilt es als besonders fortschrittlich. Dazu kommt, dass Amazon-Filme künftig auch bestimmte Begrifflichkeiten verwenden, andere meiden sollen. So soll etwa, wenn der Islam in einem Film vorkommt, die Scharia, die Frauen, Juden, Christen und Homosexuelle zu minderen Menschen reduziert, als „den klaren, viel begangenen Weg zum Wasser“darstellen. Logisch, dass Terroristen, die in den Jihad ziehen, bei Amazon künftig „für Gott kämpfen und nach ihm streben“.
Das geht weit über das geschlechterfixierte Vergewaltigen der deutschen Sprache, wie es mittlerweile in vielen Medien üblich geworden ist, hinaus. Hier geht es darum, den Abermillionen Betrachtern von Amazon-Produktionen ein bestimmtes, durchaus problematisches Weltbild zu oktroyieren.
Die schiere Größe und Marktmacht des Konzerns bewirkt, dass hier eine Art globales Wahrheitsministerium am Entstehen ist, das künftig dafür sorgen soll, dass die Welt, so wie Amazon sie sieht, zu einer Welt wird, die die Welt so sieht, wie Amazon sie sieht.
Seit einiger Zeit gehen immer mehr große Konzerne dazu über, den Forderungen unterschiedlichster Lobbygruppen verschiedener Opfer-Identitäten nachzugeben, oft genug schon, bevor die Forderung überhaupt erhoben worden sind. Dabei geht es stets um das öffentliche Bekennen zur jeweiligen Opfergruppe, um eine entsprechende Personalpolitik in den Führungsetagen, um die Gestaltung und Benennung von Produkten oder die Verbreitung der Symbole der Minderheit des Tages. Mit bizarren Ergebnissen, wenn etwa die Lufthansa-Gruppe ihre Gäste nicht mehr als „Damen und Herren“begrüßt, nicht etwa der an Bord üblichen Schmuddel-Kleidung aus Leggings, Shorts und Badeschlapfen wegen, die „Damen und Herren“eher meiden, sondern aus Respekt vor allen anderen Geschlechtern, die sich auf den Schlips getreten fühlen könnten.
Was bringt erwachsene Manager zu diesem Unfug? Zu vermuten ist: eine Mischung aus Angst vor einem Shitstorm von bestimmten Gruppen, die sich einen Opferstatus zuschreiben; der Hoffnung, sich als „wokes“Unternehmen an den Zeitgeist anbiedern zu können; und da oder dort die ehrliche Überzeugung des handelnden Personals, die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Was die Schlimmste der drei Motivlagen ist – weil sie auf einen Mangel an Intelligenz hindeutet.
Unternehmen, die sich derart an einen unguten Zeitgeist anpassen, übernehmen auch einen Teil der Verantwortung für die Folgen, ohne dass man den Eindruck hat, dass dies den Entscheidern immer bewusst ist.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
Zum Autor: Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.
Morgen in „Quergeschrieben“: Anneliese Rohrer