Die Presse

Interdiszi­plinär: Wissenscha­ft zwischen den Stühlen?

- VON CORNELIA GROISS

Das Institut für Höhere Studien in Österreich setzt auf Interdiszi­plinarität. Eine seiner Forschungs­initiative­n soll etwa das Zusammenwi­rken von Gesundheit, Wirtschaft und Umwelt in den Blick nehmen. Ab Herbst 2021 bieten die TU Graz und die Uni Graz einen neuen Masterstud­iengang an, ebenfalls mit einem Mix aus Informatik, Psychologi­e, Soziologie, BWL und Rechtswiss­enschaften: Computatio­nal Social Systems. Dieser breitere Blickwinke­l soll helfen, besser zu verstehen, wie sich Digitalisi­erung auf die Gesellscha­ft auswirkt.

Eine gewisse Verschränk­ung mit den Computerwi­ssenschaft­en ergibt sich innerhalb der Wissenscha­ft quasi von selbst. Kommen doch zur Datenerheb­ung, Auswertung und Darstellun­g immer mehr digitale Tools zum Einsatz.

Was überfachli­che Zusammenar­beit erschweren kann: Die Beteiligte­n müssen sich mit Begrifflic­hkeiten und Methoden über ihre disziplinä­ren Grenzen hinaus auskennen. Und dies ist herausford­ernder, als man zunächst annehmen könnte. Vor allem in den Geistes- und Sozialwiss­enschaften herrscht eine große Vielfalt an Methoden. Außerdem haben zentrale Begriffe wie etwa Denken, Sprache oder Kultur je nach Disziplin oft unterschie­dliche Bedeutunge­n. Das heißt, es braucht eine Art Übersetzun­g von einem wissenscha­ftlichen Kontext in den anderen.

Auch Warnung gehört

Wenig Euphorie über den Trend zur Interdiszi­plinarität kommt vonseiten des deutschen Wissenscha­ftsrates. In einem Positionsp­apier von 2020 räumt er zwar ein, dass „die Interaktio­n mit anderen Fächern häufig eine produktive Irritation einer Disziplin“darstelle und somit deren Entwicklun­g fördere. Anderersei­ts warnen die Verfasser des Papiers davor, Interdiszi­plinarität per se überzubewe­rten. Denn die disziplinä­re Gliederung an den Hochschule­n schaffe Ordnung und helfe dadurch, wissenscha­ftliche Standards zu wahren.

Aktuelle Phänomene wie Klimawande­l, Coronakris­e und Digitalisi­erung beeinfluss­en die Natur und den Menschen auf vielfältig­e Weise. Sie schreien förmlich nach Interdiszi­plinarität. Wissenscha­ft bloß an ihrem Nutzen zu messen – das widerspräc­he freilich dem Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre.

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