Interdisziplinär: Wissenschaft zwischen den Stühlen?
Das Institut für Höhere Studien in Österreich setzt auf Interdisziplinarität. Eine seiner Forschungsinitiativen soll etwa das Zusammenwirken von Gesundheit, Wirtschaft und Umwelt in den Blick nehmen. Ab Herbst 2021 bieten die TU Graz und die Uni Graz einen neuen Masterstudiengang an, ebenfalls mit einem Mix aus Informatik, Psychologie, Soziologie, BWL und Rechtswissenschaften: Computational Social Systems. Dieser breitere Blickwinkel soll helfen, besser zu verstehen, wie sich Digitalisierung auf die Gesellschaft auswirkt.
Eine gewisse Verschränkung mit den Computerwissenschaften ergibt sich innerhalb der Wissenschaft quasi von selbst. Kommen doch zur Datenerhebung, Auswertung und Darstellung immer mehr digitale Tools zum Einsatz.
Was überfachliche Zusammenarbeit erschweren kann: Die Beteiligten müssen sich mit Begrifflichkeiten und Methoden über ihre disziplinären Grenzen hinaus auskennen. Und dies ist herausfordernder, als man zunächst annehmen könnte. Vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften herrscht eine große Vielfalt an Methoden. Außerdem haben zentrale Begriffe wie etwa Denken, Sprache oder Kultur je nach Disziplin oft unterschiedliche Bedeutungen. Das heißt, es braucht eine Art Übersetzung von einem wissenschaftlichen Kontext in den anderen.
Auch Warnung gehört
Wenig Euphorie über den Trend zur Interdisziplinarität kommt vonseiten des deutschen Wissenschaftsrates. In einem Positionspapier von 2020 räumt er zwar ein, dass „die Interaktion mit anderen Fächern häufig eine produktive Irritation einer Disziplin“darstelle und somit deren Entwicklung fördere. Andererseits warnen die Verfasser des Papiers davor, Interdisziplinarität per se überzubewerten. Denn die disziplinäre Gliederung an den Hochschulen schaffe Ordnung und helfe dadurch, wissenschaftliche Standards zu wahren.
Aktuelle Phänomene wie Klimawandel, Coronakrise und Digitalisierung beeinflussen die Natur und den Menschen auf vielfältige Weise. Sie schreien förmlich nach Interdisziplinarität. Wissenschaft bloß an ihrem Nutzen zu messen – das widerspräche freilich dem Prinzip der Freiheit von Forschung und Lehre.