Die Mitte ist nicht golden
Medien. Die Coronakrise zeigt die Verantwortung, wie Expertenmeinungen dargestellt werden.
In Fernseh-Talkshows sehen wir es fast jeden Tag, die eine sagt so, der andere so. Am Ende bleiben zwei Meinungen unversöhnlich stehen. Beide sind nachvollziehbar, beide wirken begründet, beide klingen gut. Dabei ist eine der Meinungen die wissenschaftlich anerkannte, die von Fachkollegen mitgetragen wird: der wissenschaftliche Konsens. Die andere eine Einzelmeinung, die eine solche bleiben wird. Die Rolle der Medien dabei, egal, ob Fernsehen, Radio oder Zeitung: Bei zwei widerstreitenden Meinungen dürfen beide mitspielen. Zumindest sehen sie ihre Aufgabe darin mit Berufung auf journalistisch ausgewogene Darstellung. Beide Seiten eines Arguments sollen ihren Auftritt bekommen. Aber was, wenn sich dabei eine Ausgeglichenheit darstellt, die den wissenschaftlichen Diskurs so nicht widerspiegelt?
Medienforscher sprechen in solchen Fällen von falscher Ausgewogenheit und meinen damit eine verzerrte Gewichtung von Expertenmeinungen in der Berichterstattung. Wird einer wissenschaftlichen Einzelmeinung gleich viel Raum gegeben wie dem wissenschaftlichen Konsens, wirken plötzlich beide Seiten gleich gerechtfertigt und gleich glaubwürdig.
Falsche Ausgewogenheit in der Darstellung von wissenschaftlichen Widersprüchen ist besonders dann ein Problem, wenn wir die Gründe für unser Alltagshandeln auf Expertenwissen stützen müssen.
Der Anteil der Menschen in Österreich, die Expertenaussagen voll vertrauen, hat sich während des ersten Lockdowns 2020 zum Vorjahresschnitt mehr als vervierfacht. Mittlerweile ist das Vertrauen weniger geworden, aber höher als 2019. Ist jede Entscheidung so unsicher, wichtig und dringend wie in der Pandemie, sind wir auf das spezialisierte Wissen von Experten angewiesen – aber auch der medialen Darstellung ein Stück ausgeliefert. Wenn Medien uns die Gewichtung von widersprüchlichen Meinungen nicht abnehmen können, nicht wollen, und es fraglich ist, ob sie das sollten, liegt es an uns selbst, einzuordnen.