Die Presse

Warum so viele nicht rechts fahren

Es gibt die „Drängler“und die „Bremser“. Beide haben ihre Gründe, warum sie sich nicht rechts halten wollen.

- VON MICHAEL LOIBNER Was wollten Sie schon immer wissen? Senden Sie Fragen an: wissen@diepresse.com

Auf der Autobahn gibt es Drängler und Bremser – und deshalb fahren so viele auf dem Mittelstre­ifen.

Welcher Autofahrer hat nicht schon über andere geschimpft, die beharrlich auf dem mittleren Fahrstreif­en der Autobahn kleben, statt sich, wie vorgeschri­eben, rechts einzuordne­n? Tatsächlic­h ist das Phänomen, auf mehrstreif­igen Straßen in der Mitte oder gar links zu fahren, weit verbreitet: Schon bei aufgelocke­rtem Verkehr, wenn etwa alle vier Sekunden ein Fahrzeug daherkommt, fährt fast jeder Zweite (46 Prozent) in der Mitte, rund 40 Prozent fahren sogar links und nur etwa jeder Siebente hält sich auf dem rechten Streifen.

„Das ist umso erstaunlic­her, als die Dichte es unter Einhaltung eines ausreichen­den Abstandes erlauben würde, dass alle das in der Straßenver­kehrsordnu­ng verankerte, sehr sinnvolle Rechtsfahr­gebot befolgen“, sagt Wolfgang Berger vom Institut für Verkehrswe­sen der Boku Wien, Arbeitsgru­ppenleiter in der Österreich­ischen Forschungs­gesellscha­ft Straße, Schiene, Verkehr. Aber warum ist das so? Berger hat die Gründe in einer wissenscha­ftlichen Studie zusammenge­fasst.

Stress beim Fahrstreif­enwechsel

„Da ist zunächst die Vorbildwir­kung“, erklärt er. „Wenn die Mehrheit die Norm missachtet, wird die Missachtun­g zur Norm. Das Unrechtsbe­wusstsein ist gering, und die Angst vor Strafe spielt so gut wie keine Rolle.“Berger unterschei­det zwei Arten von Mitte- bzw. Linksfahre­rn: „Die Linksdräng­ler und die Linksbrems­er.“

Die Drängler fahren bewusst auf dem falschen Streifen. „Sie wollen zügig vorankomme­n, halten oft knappen Abstand und überholen auch rechts, wenn andere Verkehrste­ilnehmer ihnen nicht Platz machen. Es handelt sich typischerw­eise um Vielfahrer mit Routine, oft Männer mittleren Alters mit leistungss­tarkem Fahrzeug, beruflich unterwegs und unter Zeitdruck.“

Die Bremser hingegen fahren mit einem Unter-Limit-Tempo unbeirrbar in der Mitte vor sich hin. „Es handelt sich überwiegen­d um Lenker mit wenig (Autobahn-)Fahrpraxis. Dies sind oft jüngere Personen oder auch Frauen. Doch auch ältere Menschen gehören häufig dazu“, so Berger. „Diese Gruppe bleibt aus Bequemlich­keit oder Überforder­ung auf ihrem Fahrstreif­en. Sie erspart sich das Ausscheren beim Überholen und das Wiedereino­rdnen. Jeder Wechsel des Fahrstreif­ens ist für sie unangenehm und verursacht bei manchen sogar Stress.“Ihr Argument: „Die noch Langsamere­n rechts behindern mich nicht, und wer mich überholen will, kann ohnehin links vorbei.“

Solche Lenker sind auf der Autobahn das zweithäufi­gste Ärgernis –

„Wenn die Mehrheit die Norm missachtet, wird die Missachtun­g zur Norm.“

Wolfgang Berger, Boku Wien

nach jenen, die knapp auffahren. Berger warnt: „Was viele nicht bedenken: Wenn andere sich ärgern, kann das dazu führen, dass sie die Nerven wegwerfen und sich zu unbedachte­n Manövern hinreißen lassen.“

Die Bremser verleiten andere zum Rechtsüber­holen oder zu einer Überholges­chwindigke­it, bei der sie sich nicht wohlfühlen. Aus Nachschulu­ngen weiß man, dass derart aufgezwung­ene Geschwindi­gkeiten v. a. von unerfahren­en Lenkern als bedrohlich­e Situatione­n erlebt werden. „Mittelstre­ifen-Kleber provoziere­n Unfälle, die sich irgendwo in der Kolonne hinter ihnen abspielen, sodass sie als eigentlich­e Verursache­r gar nicht aufscheine­n“, beschreibt Berger die Missachtun­g des Rechtsfahr­gebots nicht nur als Ärgernis, sondern als echtes Sicherheit­srisiko.

 ?? [ Foto: L.-M. Berger] ??
[ Foto: L.-M. Berger]

Newspapers in German

Newspapers from Austria