Warum so viele nicht rechts fahren
Es gibt die „Drängler“und die „Bremser“. Beide haben ihre Gründe, warum sie sich nicht rechts halten wollen.
Auf der Autobahn gibt es Drängler und Bremser – und deshalb fahren so viele auf dem Mittelstreifen.
Welcher Autofahrer hat nicht schon über andere geschimpft, die beharrlich auf dem mittleren Fahrstreifen der Autobahn kleben, statt sich, wie vorgeschrieben, rechts einzuordnen? Tatsächlich ist das Phänomen, auf mehrstreifigen Straßen in der Mitte oder gar links zu fahren, weit verbreitet: Schon bei aufgelockertem Verkehr, wenn etwa alle vier Sekunden ein Fahrzeug daherkommt, fährt fast jeder Zweite (46 Prozent) in der Mitte, rund 40 Prozent fahren sogar links und nur etwa jeder Siebente hält sich auf dem rechten Streifen.
„Das ist umso erstaunlicher, als die Dichte es unter Einhaltung eines ausreichenden Abstandes erlauben würde, dass alle das in der Straßenverkehrsordnung verankerte, sehr sinnvolle Rechtsfahrgebot befolgen“, sagt Wolfgang Berger vom Institut für Verkehrswesen der Boku Wien, Arbeitsgruppenleiter in der Österreichischen Forschungsgesellschaft Straße, Schiene, Verkehr. Aber warum ist das so? Berger hat die Gründe in einer wissenschaftlichen Studie zusammengefasst.
Stress beim Fahrstreifenwechsel
„Da ist zunächst die Vorbildwirkung“, erklärt er. „Wenn die Mehrheit die Norm missachtet, wird die Missachtung zur Norm. Das Unrechtsbewusstsein ist gering, und die Angst vor Strafe spielt so gut wie keine Rolle.“Berger unterscheidet zwei Arten von Mitte- bzw. Linksfahrern: „Die Linksdrängler und die Linksbremser.“
Die Drängler fahren bewusst auf dem falschen Streifen. „Sie wollen zügig vorankommen, halten oft knappen Abstand und überholen auch rechts, wenn andere Verkehrsteilnehmer ihnen nicht Platz machen. Es handelt sich typischerweise um Vielfahrer mit Routine, oft Männer mittleren Alters mit leistungsstarkem Fahrzeug, beruflich unterwegs und unter Zeitdruck.“
Die Bremser hingegen fahren mit einem Unter-Limit-Tempo unbeirrbar in der Mitte vor sich hin. „Es handelt sich überwiegend um Lenker mit wenig (Autobahn-)Fahrpraxis. Dies sind oft jüngere Personen oder auch Frauen. Doch auch ältere Menschen gehören häufig dazu“, so Berger. „Diese Gruppe bleibt aus Bequemlichkeit oder Überforderung auf ihrem Fahrstreifen. Sie erspart sich das Ausscheren beim Überholen und das Wiedereinordnen. Jeder Wechsel des Fahrstreifens ist für sie unangenehm und verursacht bei manchen sogar Stress.“Ihr Argument: „Die noch Langsameren rechts behindern mich nicht, und wer mich überholen will, kann ohnehin links vorbei.“
Solche Lenker sind auf der Autobahn das zweithäufigste Ärgernis –
„Wenn die Mehrheit die Norm missachtet, wird die Missachtung zur Norm.“
Wolfgang Berger, Boku Wien
nach jenen, die knapp auffahren. Berger warnt: „Was viele nicht bedenken: Wenn andere sich ärgern, kann das dazu führen, dass sie die Nerven wegwerfen und sich zu unbedachten Manövern hinreißen lassen.“
Die Bremser verleiten andere zum Rechtsüberholen oder zu einer Überholgeschwindigkeit, bei der sie sich nicht wohlfühlen. Aus Nachschulungen weiß man, dass derart aufgezwungene Geschwindigkeiten v. a. von unerfahrenen Lenkern als bedrohliche Situationen erlebt werden. „Mittelstreifen-Kleber provozieren Unfälle, die sich irgendwo in der Kolonne hinter ihnen abspielen, sodass sie als eigentliche Verursacher gar nicht aufscheinen“, beschreibt Berger die Missachtung des Rechtsfahrgebots nicht nur als Ärgernis, sondern als echtes Sicherheitsrisiko.