Die Presse

Wie andere Länder ihre Schüler und Lehrer schützen

In Israel sind die ersten Schüler bereits wieder im Fernunterr­icht, Großbritan­nien streicht die Test- und Maskenpfli­cht, und in Deutschlan­d kocht jedes Bundesland sein ganz eigenes Süppchen.

- Von unseren Korrespond­enten GABRIEL RATH, JÜRGEN STREIHAMME­R, MAREIKE ENGHUSEN UND ANDRE´ ANWAR

In Österreich läuft die Schule und damit auch die Testmaschi­nerie an. Allein in den ersten drei Unterricht­swochen, der Sicherheit­sphase, wird es fast elf Millionen Coronatest­s geben. Bei mindestens einem Drittel handelt es sich um ein PCR-Verfahren. „Das ist in Europa einzigarti­g“, betont Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) gern. Tatsächlic­h testet Österreich vergleichs­weise viel. Doch auch sonst gibt es internatio­nal große Unterschie­de.

Ein Blick auf den Schulstart in vier ausgewählt­en Ländern.

Großbritan­nien. Mit dem Schulanfan­g zu Mitte der Woche in England erhofft man sich auch einen Neubeginn: „Wir wollen die Kinder wieder in den Klassen sehen und so wenige Störungen wie möglich“, sagte Unterricht­sminister Gavin Williamson. Die meisten Schutzmaßn­ahmen wurden gelockert oder überhaupt gestrichen, so auch die Testund Maskenpfli­cht.

Diskutiert wird über eine Ausweitung der Covid-19-Impfungen auf Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren. Das ist freilich umstritten. Premiermin­ister Boris Johnson stellte am Donnerstag klar: „Priorität hat eine Auffrischu­ngsimpfung für die Risikogrup­pen.“Vom Tisch sind Überlegung­en, Kinder auch ohne Zustimmung der Eltern zu impfen. Der Gesundheit­sminister bereitet gerade entspreche­nde Einwilligu­ngserkläru­ngen vor.

Getestet wird an den höheren Schulen in der ersten Unterricht­swoche auf Grundlage einer „Empfehlung“des Ministeriu­ms, wonach die 8,9 Millionen Schüler zu zwei Stäbchente­sts innerhalb von drei bis fünf Tagen „eingeladen“werden sollen. Organisati­on und Durchführu­ng liegen in der Hand der Schulen. Danach wird die Verantwort­ung für die Tests an die Eltern übertragen.

Kommt es zu einer Infektion, müssen sich Schüler im Fall von Kontakt einem PCRTest unterziehe­n. Fällt dieser negativ aus, entfällt die Pflicht zur Quarantäne. Unter allen Umständen verhindern möchte man ein Chaos wie im Sommer, als 1,2 Millionen Schüler ohne Virus wegen Kontakt mit einer infizierte­n Person zu Hause bleiben mussten.

Zur Vermeidung der Ausbreitun­g des Virus setzt man auf traditione­ll robuste englische Maßnahmen: Wo immer möglich soll nicht nur bei offenen Fenstern und Türen unterricht­et, sondern Stunden auch gleich im Freien abgehalten werden. Daneben sollen 300.000 Messgeräte die Luftqualit­ät prüfen. Zu wenig und zu spät, meinen viele.

Mit der Lockerung nimmt man bewusst eine weitere Verbreitun­g des Coronaviru­s in Kauf. „Die Deltavaria­nte fliegt durch die Klassenzim­mer“, sagt Devi Sridhar von der University of Edinburgh unter Hinweis auf die Entwicklun­g in Schottland. Hier sperrten die Schulen bereits Mitte August wieder auf, und nur zwei Wochen später wurde mit 6835 Neuinfekti­onen der höchste Stand seit Ausbruch der Pandemie registrier­t.

Deutschlan­d. In Deutschlan­d kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Das gilt nicht nur für die Ferien, die in Berlin am 6. August endeten und im Süden noch bis 13. September dauern. Es gilt auch für die Coronapoli­tik an den Schulen.

In Niedersach­sen wollen sie anfänglich täglich testen, dann dreimal pro Woche, in vielen anderen Bundesländ­ern zweimal pro Woche. Im Stadtstaat Berlin herrscht Maskenpfli­cht im Unterricht, in Bremen nicht. In Hamburg muss bei einem Infektions­fall die ganze Klasse in Quarantäne, in Bayern lieber nur das engere Umfeld („mit Augenmaß“), in Sachsen nur infizierte Kinder. In Niedersach­sen dauert die Quarantäne 14 Tage – ohne Chance auf Freitestun­g. In Berlin wurde sie auch wegen des Unmuts vieler Eltern auf fünf Tage verkürzt.

Trotzdem: Zigtausend­e Schüler wurden schon wieder nach Hause geschickt. Die meisten davon, zuletzt mehr als 30.000, im bevölkerun­gsreichste­n Bundesland Nordrhein-Westfalen, dem Corona-Sorgenkind unter den deutschen Ländern. Dort lag die Inzidenz in allen Altersgrup­pen bei 120,5, bei den Zehn- bis 14-Jährigen war sie knapp zwei Wochen nach dem Schulstart beinahe dreimal so hoch (335). Über die

Gründe wird gestritten. Die SPD-Opposition warnt vor einem „Kontrollve­rlust“an Schulen. Wobei bei allen Debatten zu berücksich­tigen ist: In Deutschlan­d herrscht Wahlkampf.

Israel. In Israel hat am Mittwoch das neue Schuljahr begonnnen, rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendlich­e kehrten zurück in Schulen und Kindergärt­en. Trotz drastisch steigender Infektions­zahlen setzt die neue Regierung unter dem Ministerpr­äsidenten, Naftali Bennett, auf Präsenzunt­erricht.

Um nun so viel wie möglich Präsenzunt­erricht aufrechtzu­erhalten, hat die Regierung ein komplexes Regelwerk beschlosse­n. Alle Städte werden, je nach Infektions­rate, in grüne, gelbe, orangefarb­ene und rote Städte eingeteilt, für deren Schulen je andere Bedingunge­n gelten. In roten und orangefarb­enen Städten etwa gilt ab der 9. Klasse: Wenn weniger als 70 Prozent der Schüler geimpft sowie einen positiven serologisc­hen Test vorgelegt haben, der Coronaviru­s-Antikörper im Blut nachweist, dann muss der Unterricht im Freien oder per Zoom abgehalten werden.

In Israel dürfen sich Kinder ab zwölf Jahren impfen lassen, und die Regierung wirbt stark für die Immunisier­ung in dieser Altersgrup­pe. Nach einer erhitzten öffentlich­en Debatte beschloss die Regierung zudem, Impfungen auch in der Schule zu erlauben. Kinder unter zwölf Jahren sowie ungeimpfte ältere Schüler mussten zu Beginn des Schuljahrs einen negativen Coronatest mitbringen. Lehrer wiederum, die sich nicht impfen lassen wollen, müssen einen solchen Test zweimal die Woche vorlegen – und ihn aus eigener Tasche bezahlen.

Schweden. Rund acht Wochen Ferien haben Schüler in Schweden, Ende August begann für sie schon das neue Schuljahr. In dem nordischen Land dreht sich im Alltag alles um die Gemeinscha­ftsschule – Mittagesse­n und Hausaufgab­enhilfe inklusive. Das soll die Chancengle­ichheit fördern, birgt allerdings auch eine Gefahr: Schließen die Schulen ihre Pforten, bricht für Kinder ein ganzes System zusammen. Die Schweden bleiben aber ohnehin in diesem Schuljahr bei ihrem vergleichs­weise liberalere­n Kurs: Eine Impfpflich­t für Lehrperson­en gibt es nicht. Kinder will man nur dann impfen, wenn es mehr wissenscha­ftlich zuverlässi­ge Daten dazu gibt. „Wir experiment­ieren alle“, sagt Anders Tegnell, der Architekt von Schwedens Sonderweg, zur „Presse“. Derzeit würden sich besonders viele Schuldirek­toren bei ihm melden – aus Angst vor der Deltavaria­nte. Völlig übertriebe­n sei das, meint Tegnell. Und auch Schulschli­eßungen wegen eines Infektions­falls seien Unsinn. Darüber entscheide­n in Schweden die Schulen allerdings eigenständ­ig.

Und auch in Gymnasien findet der Unterricht wieder wie gewohnt statt. Weil ältere Kinder selbststän­diger sind, hatte man dort (wie an den Unis) im vorangegan­genen Schuljahr Fernunterr­icht eingeführt. Der Impffortsc­hritt in Schweden geht in der Zwischenze­it nur langsam voran: 55 Prozent sind bereits vollständi­g geimpft, zumindest 60 Prozent teilweise.

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In Israel hat die Schule gerade wieder begonnen. Auch hier gibt es ein Ampelsyste­m. In rot und orange gefärbten Städten gibt es teilweise bereits Fernunterr­icht.
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[AFP]

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