Wie andere Länder ihre Schüler und Lehrer schützen
In Israel sind die ersten Schüler bereits wieder im Fernunterricht, Großbritannien streicht die Test- und Maskenpflicht, und in Deutschland kocht jedes Bundesland sein ganz eigenes Süppchen.
In Österreich läuft die Schule und damit auch die Testmaschinerie an. Allein in den ersten drei Unterrichtswochen, der Sicherheitsphase, wird es fast elf Millionen Coronatests geben. Bei mindestens einem Drittel handelt es sich um ein PCR-Verfahren. „Das ist in Europa einzigartig“, betont Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) gern. Tatsächlich testet Österreich vergleichsweise viel. Doch auch sonst gibt es international große Unterschiede.
Ein Blick auf den Schulstart in vier ausgewählten Ländern.
Großbritannien. Mit dem Schulanfang zu Mitte der Woche in England erhofft man sich auch einen Neubeginn: „Wir wollen die Kinder wieder in den Klassen sehen und so wenige Störungen wie möglich“, sagte Unterrichtsminister Gavin Williamson. Die meisten Schutzmaßnahmen wurden gelockert oder überhaupt gestrichen, so auch die Testund Maskenpflicht.
Diskutiert wird über eine Ausweitung der Covid-19-Impfungen auf Kinder zwischen zwölf und 15 Jahren. Das ist freilich umstritten. Premierminister Boris Johnson stellte am Donnerstag klar: „Priorität hat eine Auffrischungsimpfung für die Risikogruppen.“Vom Tisch sind Überlegungen, Kinder auch ohne Zustimmung der Eltern zu impfen. Der Gesundheitsminister bereitet gerade entsprechende Einwilligungserklärungen vor.
Getestet wird an den höheren Schulen in der ersten Unterrichtswoche auf Grundlage einer „Empfehlung“des Ministeriums, wonach die 8,9 Millionen Schüler zu zwei Stäbchentests innerhalb von drei bis fünf Tagen „eingeladen“werden sollen. Organisation und Durchführung liegen in der Hand der Schulen. Danach wird die Verantwortung für die Tests an die Eltern übertragen.
Kommt es zu einer Infektion, müssen sich Schüler im Fall von Kontakt einem PCRTest unterziehen. Fällt dieser negativ aus, entfällt die Pflicht zur Quarantäne. Unter allen Umständen verhindern möchte man ein Chaos wie im Sommer, als 1,2 Millionen Schüler ohne Virus wegen Kontakt mit einer infizierten Person zu Hause bleiben mussten.
Zur Vermeidung der Ausbreitung des Virus setzt man auf traditionell robuste englische Maßnahmen: Wo immer möglich soll nicht nur bei offenen Fenstern und Türen unterrichtet, sondern Stunden auch gleich im Freien abgehalten werden. Daneben sollen 300.000 Messgeräte die Luftqualität prüfen. Zu wenig und zu spät, meinen viele.
Mit der Lockerung nimmt man bewusst eine weitere Verbreitung des Coronavirus in Kauf. „Die Deltavariante fliegt durch die Klassenzimmer“, sagt Devi Sridhar von der University of Edinburgh unter Hinweis auf die Entwicklung in Schottland. Hier sperrten die Schulen bereits Mitte August wieder auf, und nur zwei Wochen später wurde mit 6835 Neuinfektionen der höchste Stand seit Ausbruch der Pandemie registriert.
Deutschland. In Deutschland kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Das gilt nicht nur für die Ferien, die in Berlin am 6. August endeten und im Süden noch bis 13. September dauern. Es gilt auch für die Coronapolitik an den Schulen.
In Niedersachsen wollen sie anfänglich täglich testen, dann dreimal pro Woche, in vielen anderen Bundesländern zweimal pro Woche. Im Stadtstaat Berlin herrscht Maskenpflicht im Unterricht, in Bremen nicht. In Hamburg muss bei einem Infektionsfall die ganze Klasse in Quarantäne, in Bayern lieber nur das engere Umfeld („mit Augenmaß“), in Sachsen nur infizierte Kinder. In Niedersachsen dauert die Quarantäne 14 Tage – ohne Chance auf Freitestung. In Berlin wurde sie auch wegen des Unmuts vieler Eltern auf fünf Tage verkürzt.
Trotzdem: Zigtausende Schüler wurden schon wieder nach Hause geschickt. Die meisten davon, zuletzt mehr als 30.000, im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, dem Corona-Sorgenkind unter den deutschen Ländern. Dort lag die Inzidenz in allen Altersgruppen bei 120,5, bei den Zehn- bis 14-Jährigen war sie knapp zwei Wochen nach dem Schulstart beinahe dreimal so hoch (335). Über die
Gründe wird gestritten. Die SPD-Opposition warnt vor einem „Kontrollverlust“an Schulen. Wobei bei allen Debatten zu berücksichtigen ist: In Deutschland herrscht Wahlkampf.
Israel. In Israel hat am Mittwoch das neue Schuljahr begonnnen, rund 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche kehrten zurück in Schulen und Kindergärten. Trotz drastisch steigender Infektionszahlen setzt die neue Regierung unter dem Ministerpräsidenten, Naftali Bennett, auf Präsenzunterricht.
Um nun so viel wie möglich Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten, hat die Regierung ein komplexes Regelwerk beschlossen. Alle Städte werden, je nach Infektionsrate, in grüne, gelbe, orangefarbene und rote Städte eingeteilt, für deren Schulen je andere Bedingungen gelten. In roten und orangefarbenen Städten etwa gilt ab der 9. Klasse: Wenn weniger als 70 Prozent der Schüler geimpft sowie einen positiven serologischen Test vorgelegt haben, der Coronavirus-Antikörper im Blut nachweist, dann muss der Unterricht im Freien oder per Zoom abgehalten werden.
In Israel dürfen sich Kinder ab zwölf Jahren impfen lassen, und die Regierung wirbt stark für die Immunisierung in dieser Altersgruppe. Nach einer erhitzten öffentlichen Debatte beschloss die Regierung zudem, Impfungen auch in der Schule zu erlauben. Kinder unter zwölf Jahren sowie ungeimpfte ältere Schüler mussten zu Beginn des Schuljahrs einen negativen Coronatest mitbringen. Lehrer wiederum, die sich nicht impfen lassen wollen, müssen einen solchen Test zweimal die Woche vorlegen – und ihn aus eigener Tasche bezahlen.
Schweden. Rund acht Wochen Ferien haben Schüler in Schweden, Ende August begann für sie schon das neue Schuljahr. In dem nordischen Land dreht sich im Alltag alles um die Gemeinschaftsschule – Mittagessen und Hausaufgabenhilfe inklusive. Das soll die Chancengleichheit fördern, birgt allerdings auch eine Gefahr: Schließen die Schulen ihre Pforten, bricht für Kinder ein ganzes System zusammen. Die Schweden bleiben aber ohnehin in diesem Schuljahr bei ihrem vergleichsweise liberaleren Kurs: Eine Impfpflicht für Lehrpersonen gibt es nicht. Kinder will man nur dann impfen, wenn es mehr wissenschaftlich zuverlässige Daten dazu gibt. „Wir experimentieren alle“, sagt Anders Tegnell, der Architekt von Schwedens Sonderweg, zur „Presse“. Derzeit würden sich besonders viele Schuldirektoren bei ihm melden – aus Angst vor der Deltavariante. Völlig übertrieben sei das, meint Tegnell. Und auch Schulschließungen wegen eines Infektionsfalls seien Unsinn. Darüber entscheiden in Schweden die Schulen allerdings eigenständig.
Und auch in Gymnasien findet der Unterricht wieder wie gewohnt statt. Weil ältere Kinder selbstständiger sind, hatte man dort (wie an den Unis) im vorangegangenen Schuljahr Fernunterricht eingeführt. Der Impffortschritt in Schweden geht in der Zwischenzeit nur langsam voran: 55 Prozent sind bereits vollständig geimpft, zumindest 60 Prozent teilweise.