Das geheime Syrien-Treffen in Wien
Vertreter der verschiedenen Lager Syriens sprachen in der Kreisky-Villa über Versöhnung.
Wien. Wie viel die syrischen Geheimdienste davon wissen, ist nicht ganz klar. Entgangen sind ihnen die regelmäßigen Treffen aber wohl nicht. Bisher ließen sie die Teilnehmer gewähren. Denn auch Kräfte im syrischen Regime sehen in den Zusammenkünften offenbar einen Beitrag zu Versöhnung und Stabilität in dem vom jahrelangen Krieg gebeutelten Land.
Seit 2016 trifft sich die vielfältige Runde, um in diskretem Rahmen über die Zukunft Syriens zu diskutieren: Es sind Exponenten der syrischen Zivilgesellschaft, Richter, Anführer einflussreicher Stämme und Familien, Religionsgelehrte, Exil-Aktivisten, einstige Politiker und Militärs, Vertreter verschiedenster Volksgruppen. Darunter sind Personen, die Freunde und Familienmitglieder haben, die möglicherweise von Familienmitgliedern anderer Teilnehmer umgebracht worden sind; Menschen, die nach der Logik des Krieges eigentlich Feinde sein müssten. Und die trotzdem gemeinsam über ein friedliches Zusammenleben reden. Der Ort ihrer geheimen Treffen wechselt stets: Einmal kamen sie bei Madrid zusammen, einmal in Berlin, in Paris – und jetzt in Wien.
„Es kann keinen Sieger geben“
Drei Tage lang sprachen nun 23 Vertreter dieses sogenannten Rats der syrischen Charta in der früheren Kreisky-Villa in Döbling miteinander. Vor den Sitzungen gaben alle die Mobiltelefone ab – um sicherzustellen, dass nicht aufgenommen wird oder unbefugte Dritte mithören. „Die Presse“durfte an einem Nachmittag dabei sein und mit den Teilnehmern reden.
„Nach einem Krieg wie in Syrien kann es keinen Sieger geben“, sagt ein Mitglied der alawitischen Gemeinschaft, der auch Machthaber Bashar al-Assad angehört. „Wir versuchen hier gemeinsam, uns auf die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten.“Und der Vertreter eines wichtigen sunnitischen Stammes stimmt ihm zu: „Wir teilen alle dieselbe Idee: Ein Leben im Krieg ist kein Leben. Wir warten nur darauf, bis das endlich vorbei ist.“
Es waren vor allem Alawiten, die ursprünglich die Treffen initiiert hatten. Damals – vor mehreren Jahren – sah es so aus, als könnte das Regime den Krieg verlieren. Und in der religiösen Minderheit der Alawiten machte sich die Sorge breit, die Rechnung für die Taten des alawitischen Assad-Clans zahlen zu müssen. Zudem war unter den Aufständischen der Einfluss extremistischer Gruppen immer größer geworden. Und für die jihadistischen Hardliner gelten Alawiten als „Ungläubige“, die als ganze Gruppe bekämpft werden müssen.
Mittlerweile hat sich aber – mithilfe Russlands und des Iran – das Kriegsglück zugunsten Assads gewendet. Die Zusammenkünfte des Rats der syrischen Charta sind aber weitergegangen. Jetzt gibt es ohnehin nur noch Verlierer.
Elf-Punkte-Plan
Keine Kollektivschuld ist einer der Punkte, auf den sich die Runde schon geeinigt hat. Soll heißen: Man wird nicht eine ganze Gemeinschaft für die Verfehlungen einiger ihrer Mitglieder verantwortlich machen. Jede Person muss selbst für ihre Verbrechen geradestehen. Das ist ein wichtiger Passus, da die Idee der kollektiven Haftung gerade im Umgang der Stämme miteinander verbreitet ist.
Es ist einer von elf Punkten, die die Teilnehmer der Treffen bereits in ihrer Charta verabschiedet haben. Auch das Recht der Flüchtlinge und Vertriebenen auf Rückkehr und Entschädigung ist festgeschrieben, oder das Bekenntnis zur territorialen Integrität Syriens. Zwei strittige Themen werden bei den Beratungen bewusst ausgeklammert: Welche Rolle Präsident Assad in Zukunft spielen soll. Und ob der Krieg nun die Folge einer Revolution oder das Produkt einer Verschwörung gegen Syrien ist.
Mehrere Vertreter der Rats der syrischen Charta sind sich einig: Es braucht auch den Willen der involvierten internationalen und regionalen Mächte, um den Krieg in Syrien zu beenden. Währenddessen müsse aber der Grundstein für die Zeit danach gelegt werden, für Versöhnung und ein Zusammenleben aller Bürger Syriens.
Freilassung ausverhandelt
Ob gekämpft wird oder nicht, hängt aber auch schon jetzt oft maßgeblich vom Willen lokaler Entscheidungsträger wie etwa wichtiger Dorf- oder Stammeschefs ab. Und hier können Vertreter des Rats der syrischen Charta Einfluss nehmen und vermitteln. Das geschah etwa 2018. „Es gab damals Probleme in der Provinz Suwaida“, erzählt einer der Teilnehmer am Wiener Treffen. Nach Auseinandersetzungen mit sunnitischen Kämpfern hatten Mitglieder der drusischen Minderheit mehrere Angehörige eines sunnitschen Stammes festgenommen. „Wir konnten schließlich ihre Freilassung vereinbaren.“