Der Unglücksrabe an Japans Regierungsspitze gibt auf
Corona, Skandale und unbeliebte Olympische Spiele: Japans Premierminister, Yoshihide Suga, tritt nach nur einem Jahr Amtszeit ab.
Tokio. Pleiten, Pech und Pannen – bei der Coronabekämpfung hat der japanische Regierungschef eigentlich fast alles falsch gemacht. Und dann ließ Yoshihide Suga trotz der misslichen Pandemiebedingungen auch noch die beim Volk ungeliebten Olympischen Spiele durchziehen. Das Maß war voll, nur noch knapp 30 Prozent der Japaner schenken dem 72-Jährigen ihr Vertrauen. Deshalb gibt Suga nach nur einem Jahr als Premierminister auf, tritt bei der Wahl zum Präsidenten der regierenden Liberal-Demokratischen Partei (LDP) Ende des Monats nicht mehr an und ist politische Geschichte.
Als ältester Amtsinhaber seit rund 30 Jahren verfügte Suga eigentlich über alle Erfahrung, um das Werk seines Vorgängers Shinzo¯ Abe nach dessen überraschender Demission im vergangenen September weiterzuführen. Als Regierungssprecher war er beim Volk so bekannt, dass seine Zustimmungswerte
zu Beginn bei 70 Prozent lagen. Aber eine Führungspersönlichkeit war er nie.
Stattdessen erwies sich der Politroutinier als ängstlicher Zauderer ohne Fortune. Er verhängte und verlängerte mehrfach den Corona-Notstand, wollte aber nie riskieren, einschränkende Maßnahmen auch wirklich durchzusetzen. Zudem blockierte die IndustrieLobby einen konsequenten Lockdown, um nicht noch weiter hinter China zurückzufallen.
Impfkampagne vermasselt
So machte eigentlich jeder weiter, wie er wollte, und damit ließ sich die Pandemie nicht eindämmen. Vor allem nehmen die Japaner Suga übel, dass die Impfkampagne nicht auf Touren kam. Japans Pharma-Industrie brachte kein eigenes Vakzin auf den Markt, und das Misstrauen gegen ausländische Produkte bremste eine Durchimpfung immer wieder aus.
Japan trudelt derzeit in die fünfte Corona-Welle, die sich nach Olympia aufgebaut hat. Die Infektionszahlen klettern in die Höhe, viele Krankenhäuser arbeiten am Limit und müssen Patienten trotz schwerer Symptome ablehnen. Das Strukturproblem: Die weitgehend privaten und kleinteiligen Spitäler wollen und können nicht die Mittel für Corona-Intensivbetten aufbringen.
Die schlechte Stimmung hätte Suga durchstehen können, andere Premiers vor ihm waren ähnlich unbeliebt. Aber mehrere peinliche Niederlagen bei regionalen Wahlen ließen viele LDP-Granden daran zweifeln, dass mit diesem Mann an der Spitze die anstehenden Unterhauswahlen zu gewinnen sein würden. Und so drängten die Parteifreunde Suga zum vorzeitigen Abdanken. An den politischen Machtverhältnissen ändert das wenig.
Aufgrund der klaren Parlamentsmehrheit der Regierungskoalition in beiden Kammern des Reichstags gilt es als ausgemachte Sache, dass ein LDP-Chef automatisch zum Premier gewählt wird. Ein starker Kandidat dafür zeichnet sich allerdings nicht ab. Und bisher hat auch noch keiner die Kandidatur für die Parteiwahl angekündigt.
Ex-Außenminister am Start
Genannt wird immer wieder ExAußenminister Fumio Kishida, der sich schon beim letzten Mal erfolglos beworben hat. Der 64-Jährige gilt zwar als besonnener Diplomat, doch er hat kaum Charisma. Ihm gegenüber steht Sanae Takaichi. Die 60-jährige stramme Rechtsnationale saß als Innenministerin schon im Abe-Kabinett. Auch der Name von Ex-Außenminister Taro¯ Ko¯no kursiert, aber der 58-Jährige ist verantwortlich für die Impfkampagne, somit sind seine Chancen gering.
Wer auch immer das Rennen macht, ein Manko bleibt: Nach mehr als sieben Jahren Abe-Regierung fällt Japan wieder in jene unseligen Zeiten zurück, als Premierminister wie durch eine Drehtür kamen und gingen.