Die Presse

Mahlers Welt vorweggeno­mmen

Staunenswe­rt: die große Symphonie in E-Dur des Buckner-Schülers Hans Rott.

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Einmal fochten sie eine erbitterte Debatte aus, wie das unter Studienkol­legen ja nicht unüblich ist: Ob für einen Komponiste­n das Beste gerade gut genug sei, um ungehinder­t schaffen zu können, oder ob auch viel weniger reichen würde? Der eine, in Wahrheit besser situiert, gefiel sich dabei in der Rolle des genügsamen Bohemien, ernannte sich selbst zum „Quargelkom­ponisten“und schimpfte den anderen einen „Rostbraten­komponiste­n“! Es „fehlte wenig, und die beiden wären einander infolge dieses Streites bitter feind geworden“, berichtet Heinrich Krzyzanows­ki, dessen Bruder Richard gleichfall­s in den 1870er-Jahren Student am Wiener Konservato­rium gewesen war – zusammen mit Gustav Mahler, der sich damals noch mit Armeleutee­ssen zufriedeng­eben wollte, und Hans Rott, der es offenbar gern besser gehabt hätte . . .

Viel Zeit blieb Rott dafür nicht, dem Sohn einer blutjungen Operettens­oubrette und eines deutlich älteren Schauspiel­ers, der sie erst nach dem Tod seiner ersten Frau heiraten konnte. Rotts große E-DurSymphon­ie, deren Stirnsatz er beim Kompositio­ns-Concours 1878 eingereich­t hatte, erntete bei der Kommission eher Stirnrunze­ln – der ausdrückli­chen Fürsprache Anton Bruckners für seinen Orgelstude­nten zum Trotz. Dieses lang vergessene Werk sollte seine größte Leistung bleiben. „Was die Musik an ihm verloren hat, ist gar nicht zu ermessen: Zu solchem Fluge erhebt sich sein Genius schon in dieser Ersten Symphonie, die ihn – es ist nicht zu viel gesagt – zum Begründer der neuen Symphonie macht, wie ich sie verstehe“, rühmte Mahler dem verlorenen Freund später nach: verloren, weil Rott mit nicht einmal 26 Jahren an Tuberkulos­e gestorben war, in geistiger Umnachtung. Die Wiederentd­eckung des Werks in den 1990er-Jahren förderte eine atemberaub­ende Symphonie zutage, ohne die Mahlers Kosmos schwer vorstellba­r wäre. Wenn sich das Brucknerfe­st Bruckners Schülern widmet, darf Hans Rott also keinesfall­s fehlen – und gemeinsam mit Mahlers „Gesellenli­edern“und zwei frühen Symphonies­ätzen Hugo Wolfs tut sich da eine fasziniere­nde Trias auf.

Der 40-jährige Jakub Hru˚sˇa ist dafür als Anwalt ideal, zumal er mittlerwei­le in die erste Dirigenten­liga vorgedrung­en ist. Nach seinem Einspringe­n für den verstorben­en Mariss Jansons haben die Wiener Philharmon­iker den Chef der großartige­n Bamberger Symphonike­r kürzlich in einem Abonnement­konzert mit offenen Armen empfangen – mit famosem Erfolg. Die Bamberger sind zudem ein Traditions­orchester, das aus Musikern entstanden ist, die 1946 aus Mahlers böhmischer Heimat in den Westen geflohen sind: authentisc­he Klänge garantiert.

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