Was wir von Bruckner lernen können
Von 4. September bis zum 125. Todestag des Meisters am 11. Oktober 2021 feiern hochkarätige Konzerte das Schaffen Bruckners sowie seiner Schüler.
Das ist der Vater“, sprach er und schrieb den Grundton an die Tafel, „das ist die Mutter“, er setzte die Quint darüber, „und das das Kind“– und die Terz zwischen den beiden kam hinzu: So oder so ähnlich soll der Harmonielehrekursus bei Anton Bruckner begonnen haben. Wer das für naiv hält, darf sicher sein, dass für den einstigen oberösterreichischen Volksschullehrer, der schließlich in Wien an Konservatorium wie Universität unterrichten sollte, dasselbe galt, was Gustav Mahler anlässlich des Beginns seiner eigenen Symphonie Nr. 4 festgestellt hat: „Der erste Satz beginnt, als ob er nicht bis drei zählen könnte, dann aber geht es gleich ins große Einmaleins und zuletzt wird schwindelnd mit Millionen und aber Millionen gerechnet.“Bruckner selbst hat es exemplarisch im Kontrapunkt seiner Fünften getan (s. unten). Aber wir greifen vor. Ja, Bruckner, der Lehrer, er steht beim Internationalen Brucknerfest Linz 2021 im Zentrum eines vielfältigen, beziehungsreichen Programms, das ihn im Kreise seiner Schülerinnen und Schüler im engen wie weiteren Sinn zeigt. Immerhin hat er, der selbst ein zwanghaftes Bestreben zeigte, vor Autoritäten Prüfungen abzulegen und sich seine Fähigkeiten beglaubigen zu lassen, in fünf Jahrzehnten des Lehrens eine enorme Zahl musikalischer Geister mitgeprägt, ohne sie dabei in sein eigenes Fahrwasser zu zwingen: eine keineswegs selbstverständliche pädagogische Tugend.
Brahms zur Übung
Dass im musikalischen Lehr- und Anschauungsmaterial die Musik Franz Schuberts eine gewichtige Rolle gespielt hat, kann niemanden überraschen. Schon eher verblüffen mag es, dass Markus Poschner neben der „Unvollendeten“auch das d-Moll-Klavierkonzert von Johannes Brahms (mit Paul Lewis) präsentiert. Doch Bruckner erkannte in dessen zerklüftetem Kopfthema, das unter dem traumatischen Eindruck von Schumanns versuchtem Suizid als „eine Art mächtiger Schüttelfrost“entstanden war, ein verworfenes Symphoniethema seines „Antipoden“, das zu satztechnischen Übungen taugte . . . Der Name Mahler ist längst gefallen: Obwohl kein Schüler Bruckners im strengen Sinn, war er doch von seiner Musik und mittelbar von seinen Studenten beeinflusst, seinen Kollegen – zum Beispiel vom so tragisch früh verstorbenen Hans Rott (siehe rechts): Dessen Modernität schreiben eine ganze Reihe junger Komponistinnen und Komponisten fort. Kein Wunder auch, dass Mahler bei der Komposition seiner Achten eine Reverenz an Bruckners „Te Deum“eingearbeitet hat und dessen Besetzungsangabe („für Chor, Solostimmen, Orchester und Orgel“) in seiner Partitur durch die Worte „für Engelszungen, Gottsucher, gequälte Herzen und im Feuer gereinigte Seelen“ersetzt hat. Michail Jurowski stellt dem in Wien entstandenen „Te Deum“die große f-Moll-Messe aus den letzten Linzer Jahren gegenüber: tragende Säulen in Bruckners Sakralmusik.
Hinzu kommen im Orchesterprogramm Bruckners Dritte unter Martin Haselböck sowie unter Poschner auch die Vierte; außerdem Mahlers monumentale Dritte und die frühe Märchenkantate
„Das klagende Lied“: Bereits in diesem von Wagner beeinflussten Gesellenstück streben Symphonie und Lied aufeinander zu, die zwei bestimmenden Gattungen in Mahlers Schaffen. Das Lied war auch für Hugo Wolf zentral, den Dritten im Bunde der unterschiedlichen Nachfolger neben Rott und Mahler. Lieder, Kammermusik und Orchesterwerke aus seiner Feder ziehen sich ebenso durch das Programm wie die Schöpfungen weiterer Bruckner-Schülerinnen und -Schüler wie Friedrich Klose, Mathilde Kralik von Meyrswalden, Franz Marschner, Max von Oberleithner u. a.
Stars wie Martha Argerich und Lilya Zilberstein (u. a. mit einer vierhändigen Bruckner-Quadrille und Brahms’ Haydn-Variationen); Waltraud Meier, Günther Groissböck und Sir Antonio Pappano; Thomas Hampson als Interpret und Lehrer; das RSO Wien unter Marin Alsop; Quatuor Diotima und Quatuor Danel; der RIAS Kammerchor Berlin; Sophie Rennert mit Helmut Deutsch und viele mehr: Sie alle beweisen Bruckners Einfluss ebenso wie seine Faszinationskraft, einst und jetzt.