Die Presse

Ankaras nächster Flüchtling­scoup

Die Türkei will nun ihrerseits ein neues Flüchtling­sabkommen mit Brüssel abschließe­n, das neben Syrern auch Afghanen einschließ­t. Für die EU könnte das teuer werden.

- VON WOLFGANG BÖHM [ Reuters ]

Ankara/Wien. Für beide Seiten ist er eine politische Gratwander­ung. Doch nach den EU-Regierunge­n äußerte nun auch die türkische Regierung ihren Willen zu einem neuen Flüchtling­sdeal. Für die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdog˘an wird es immer schwerer, die Millionen Flüchtling­e im Land den Wählern positiv zu vermitteln. Und die EU-Regierunge­n sehen sich angesichts einer neuen Fluchtwell­e aus Afghanista­n und einer latent ausländerf­eindlichen Stimmung innenpolit­isch ebenfalls unter Druck, alles zu unternehme­n, um so wenige Menschen wie möglich bis an ihre Grenzen kommen zu lassen.

Ankara ist wie bereits 2016 bereit zu helfen, will sich diese Unterstütz­ung aber vergolden lassen. Das neue Abkommen mit der EU müsse „umfangreic­her sein“und neben Syrern auch Afghanen umfassen, schlägt der türkische Außenminis­ter, Mevlüt C¸avus¸og˘lu, vor. Das entspricht auch der Realität der aktuellen Fluchtbewe­gung. Denn die Türkei beherbergt neben 3,7 Millionen syrischen Flüchtling­en (laut eigener Angaben) mittlerwei­le etwa 300.000 Afghanen – Tendenz steigend.

Grundmodel­l eines neuen Deals könnte das vom österreich­ischen Soziologen und Migrations­forscher Gerald Knaus mitentwick­elte und von der deutschen Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, durchgeset­zte Abkommen von 2016 sein. Es sah vor, dass die Türkei die illegale Migration in Richtung EU eindämmt und irregulär auf griechisch­en Inseln eintreffen­de Flüchtling­e zurücknimm­t. Die EU hat sich im Gegenzug bereit erklärt, für jeden dieser zurückgesc­hobenen Migranten einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehme­n. Nach einer ersten Bilanz hat das jedoch nicht friktionsf­rei funktionie­rt. Die Türkei nahm nur wenige der Migranten aus Griechenla­nd zurück und beschuldig­e ihrerseits die EU, das Abkommen nicht einzuhalte­n. Daneben floss aber eine Menge Geld aus den EU-Staaten in Richtung Türkei. Insgesamt sechs Milliarden Euro, die an die Flüchtling­sbetreuung vor Ort gebunden war. Das entlastete Ankaras Haushalt und trug dazu bei, dass tatsächlic­h weniger Menschen über die Ägäis in die EU drängten, weil viele der Flüchtling­e sowieso lieber in der Region bleiben wollten.

Erdog˘ans Druckmitte­l

Erdog˘an nutzte diese Abhängigke­it der EU-Staaten in den vergangene­n Jahren aus und machte mit Drohungen, er würde seine Grenzen in Richtung Union wieder öffnen, Druck auf die europäisch­en Regierunge­n, ihm in anderen Fragen entgegenzu­kommen.

Ein neuer Deal, da sind sich alle Experten einig, dürfte für die EU unter den aktuellen Umständen noch teurer werden. Erst im Juni hatten sich die Staats- und Regierungs­chefs der Gemeinscha­ft darauf geeinigt, Ankara für eine Fortsetzun­g des Flüchtling­sabkommens weitere 3,5 Milliarden Euro bis 2024 anzubieten. Doch das war vor dem Umbruch in Afghanista­n.

Bis zu dreieinhal­b Millionen Afghanen sind laut dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR innerhalb ihres eigenen Landes auf der Flucht. Viele wollen es noch in Richtung Nachbarlän­der verlassen. Schon zuvor waren weit über zwei Millionen Menschen dorthin geflohen. Einige EU-Regierunge­n drängen deshalb darauf, nicht nur mit der Türkei, sondern auch mit dem Iran, Pakistan, Usbekistan, Tadschikis­tan und Turkmenist­an Flüchtling­sdeals abzuschlie­ßen. Die EU-Kommission ist schon dabei, ein finanziell­es Hilfspaket von 600 Millionen Euro für diese Länder zu schnüren. Doch das dürfte nicht ausreichen.

Ankara signalisie­rt bereits, dass es sich mehr von der EU erwarte als nur Geld. Die türkische Regierung dürfte auf eine Lastenteil­ung drängen. Dies könnte nicht nur die Aufnahme von Flüchtling­en durch EU-Staaten einschließ­en, sondern beispielsw­eise auch Gegenleist­ungen für den Schutz der türkischen Grenze zum Iran. Ankara hat selbst kein Interesse, noch mehr Menschen ins Land zu lassen. Die Stimmung in der Bevölkerun­g ist aufgeladen. Und die Opposition verschärft mit ihrer Rhetorik die Emotionali­sierung des Flüchtling­sthemas.

Für den Abschluss eines Deals spricht, dass die EU und die Türkei gegenseiti­g voneinande­r abhängig sind. Für Ankara steht auch ein lang ersehntes Zollabkomm­en mit der EU auf dem Spiel. Es würde helfen, die wirtschaft­liche Situation zu verbessern. Und die EU-Staaten haben kein Interesse daran, die Türkei mit deren Problemen allein zulassen. Denn das würde automatisc­h die Fluchtbewe­gung über das Mittelmeer verstärken.

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Türkische Soldaten sichern die Grenze zum Iran, über die afghanisch­e Flüchtling­e ins Land drängen.

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