Kampagne gegen feminine Männer
Die kommunistische Führung verbannt androgyne Schauspielstars aus dem TV. Das Regime hat Angst um die Männlichkeit seiner Jugend und inszeniert eine neue Kultursäuberung.
Peking. Chinas Unterhaltungsindustrie unterliegt ohnehin bereits einer extrem strikten Zensur. Doch am Donnerstag ordnete die staatliche Fernsehbehörde ein Boykott an, das selbst für hiesige Verhältnisse einen neuen Tiefpunkt darstellt: Sämtliche Männer „mit weiblichem Stil und anderer abnormaler Ästhetik“sollen aus dem TV verbannt werden. In der Ankündigung verwendeten die Regierungsvertreter auch den überaus vulgären Begriff „niang pao“, der sich als Diffamierung für Schwule übersetzen lässt.
Pekings Parteikader plustern sich derzeit so stark als Volkserzieher auf wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dabei greifen sie auch in höchst private Lebensbereiche ein. Der Jugend wurde von der Regierung aus Angst um deren „mentale und körperliche Gesundheit“das Online-Gaming unter der Woche verboten und gleichzeitig ein neues Unterrichtsfach über die Lehre von Staatschef Xi Jinping aufgezwungen. Und etliche Stars, die in Skandale verwickelt sind, verschwanden über Nacht aus den Online-Archiven. Auch hier argumentiert die Staatsführung mit dem angeblich schlechten Einfluss auf die Jugend.
„Kulturelles Chaos“
Viele Beobachter fühlen sich bereits an die dunkle Zeit der Kulturrevolution (1966–1976) erinnert, als Landesgründer Mao Zedong hinter allem und jedem konterrevolutionäre Kräfte vermutete. Genährt werden solche Vergleiche auch durch ideologisch aufgeladenen Texte, die die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua auf ihrem chinesischsprachigen Dienst veröffentlicht.
Dort heißt es unter anderem, dass die Neuregelungen „den ganzen Staub wegwischen. Die Kapitalmärkte werden nicht länger ein Paradies für Kapitalisten sein, die über Nacht reich werden, der Kulturbetrieb wird nicht länger ein Paradies sein für nymphomane Stars, und die Nachrichten werden nicht mehr westliche Kultur anhimmeln“. Und weiter: „Wir müssen daher das gesamte kulturelle Chaos kontrollieren und eine lebhafte, gesunde, maskuline und menschenorientierte Kultur aufbauen.“
Dabei sollen nun auch sämtliche „femininen“und „politisch unkorrekten“Schauspieler ausgelöscht werden. Die androgynen Stars zählen jedoch seit Jahren zu den beliebtesten und bestbezahlten Jugendidolen. Sie stehen im starken Gegensatz zu der älteren Generation an Berühmtheiten, die noch mit Machismen und offenem Patriotismus die Massen begeisterten.
In den 2000er-Jahren schwappte der Trend erstmals von Südkorea auf das Festland über. Die K-Pop-Boybands aus Seoul verkörperten schon damals eine androgyne Ästhetik, die sich – zumindest an der Oberfläche – wenig um traditionelle Geschlechterrollen scherte: Make-up, SkinnyJeans und schrill gefärbte Haare. Schon wenige Jahre später flanierte auch die Jugend Shanghais und Pekings im Look der neuen Männlichkeit durch die Straßen.
Personenkult um Xi Jinping
Den meist über 60-jährigen Machthabern im Pekinger Regierungssitz waren die „verweichlichten“Jungen schon länger ein Dorn im Auge. Die Parteikader setzen schließlich traditionelle Männlichkeit mit Nationalismus gleich und glauben, dass es sich bei Androgynität um einen Kulturimport aus dem korrupten Westen handle. Die konservativen Staatsmedien bezeichnen die neuen männlichen Stars als „xiao xian rou“, was sich etwa als „junges Frischfleisch“übersetzen lässt – und eindeutig als Beschimpfung intendiert ist.
Öffentliche Kritik an der neuen Regierungsmaßnahme gibt es im autoritären China kaum. In den Staatszeitungen wird diese euphorisch gefeiert. „Fangruppen sind ein derart geschlossener Kreis, dass Zweifel oder unterschiedliche Ansichten über die Idole nicht erlaubt sind. Junge Fans glauben, dass ihr Star perfekt ist“, heißt es etwa in einem Artikel der „Global Times“. Der Propagandazeitung fiel offensichtlich die unbeabsichtigte Ironie nicht auf: Jene Kritik lässt sich nämlich wortwörtlich auch auf den absurden Persönlichkeitskult gegenüber Staatschef Xi Jinping ummünzen.
Der starke Führer des Landes ist seit dem neuen Schuljahr nun auch höchst offiziell Unterrichtsfach für die Jugend. Dort heißt es in einem der neuen Lehrbücher für die Kinder des Landes: „Wir alle lieben unser Mutterland zutiefst. Wie Großvater Xi sagte, ist Patriotismus das grundlegendste und beständigste Gefühl der Menschen. Es ist die Quelle unserer Tugend.“