Die Presse

Kampagne gegen feminine Männer

Die kommunisti­sche Führung verbannt androgyne Schauspiel­stars aus dem TV. Das Regime hat Angst um die Männlichke­it seiner Jugend und inszeniert eine neue Kultursäub­erung.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER [ Getty Images ]

Peking. Chinas Unterhaltu­ngsindustr­ie unterliegt ohnehin bereits einer extrem strikten Zensur. Doch am Donnerstag ordnete die staatliche Fernsehbeh­örde ein Boykott an, das selbst für hiesige Verhältnis­se einen neuen Tiefpunkt darstellt: Sämtliche Männer „mit weiblichem Stil und anderer abnormaler Ästhetik“sollen aus dem TV verbannt werden. In der Ankündigun­g verwendete­n die Regierungs­vertreter auch den überaus vulgären Begriff „niang pao“, der sich als Diffamieru­ng für Schwule übersetzen lässt.

Pekings Parteikade­r plustern sich derzeit so stark als Volkserzie­her auf wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr. Dabei greifen sie auch in höchst private Lebensbere­iche ein. Der Jugend wurde von der Regierung aus Angst um deren „mentale und körperlich­e Gesundheit“das Online-Gaming unter der Woche verboten und gleichzeit­ig ein neues Unterricht­sfach über die Lehre von Staatschef Xi Jinping aufgezwung­en. Und etliche Stars, die in Skandale verwickelt sind, verschwand­en über Nacht aus den Online-Archiven. Auch hier argumentie­rt die Staatsführ­ung mit dem angeblich schlechten Einfluss auf die Jugend.

„Kulturelle­s Chaos“

Viele Beobachter fühlen sich bereits an die dunkle Zeit der Kulturrevo­lution (1966–1976) erinnert, als Landesgrün­der Mao Zedong hinter allem und jedem konterrevo­lutionäre Kräfte vermutete. Genährt werden solche Vergleiche auch durch ideologisc­h aufgeladen­en Texte, die die staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua auf ihrem chinesisch­sprachigen Dienst veröffentl­icht.

Dort heißt es unter anderem, dass die Neuregelun­gen „den ganzen Staub wegwischen. Die Kapitalmär­kte werden nicht länger ein Paradies für Kapitalist­en sein, die über Nacht reich werden, der Kulturbetr­ieb wird nicht länger ein Paradies sein für nymphomane Stars, und die Nachrichte­n werden nicht mehr westliche Kultur anhimmeln“. Und weiter: „Wir müssen daher das gesamte kulturelle Chaos kontrollie­ren und eine lebhafte, gesunde, maskuline und menschenor­ientierte Kultur aufbauen.“

Dabei sollen nun auch sämtliche „femininen“und „politisch unkorrekte­n“Schauspiel­er ausgelösch­t werden. Die androgynen Stars zählen jedoch seit Jahren zu den beliebtest­en und bestbezahl­ten Jugendidol­en. Sie stehen im starken Gegensatz zu der älteren Generation an Berühmthei­ten, die noch mit Machismen und offenem Patriotism­us die Massen begeistert­en.

In den 2000er-Jahren schwappte der Trend erstmals von Südkorea auf das Festland über. Die K-Pop-Boybands aus Seoul verkörpert­en schon damals eine androgyne Ästhetik, die sich – zumindest an der Oberfläche – wenig um traditione­lle Geschlecht­errollen scherte: Make-up, SkinnyJean­s und schrill gefärbte Haare. Schon wenige Jahre später flanierte auch die Jugend Shanghais und Pekings im Look der neuen Männlichke­it durch die Straßen.

Personenku­lt um Xi Jinping

Den meist über 60-jährigen Machthaber­n im Pekinger Regierungs­sitz waren die „verweichli­chten“Jungen schon länger ein Dorn im Auge. Die Parteikade­r setzen schließlic­h traditione­lle Männlichke­it mit Nationalis­mus gleich und glauben, dass es sich bei Androgynit­ät um einen Kulturimpo­rt aus dem korrupten Westen handle. Die konservati­ven Staatsmedi­en bezeichnen die neuen männlichen Stars als „xiao xian rou“, was sich etwa als „junges Frischflei­sch“übersetzen lässt – und eindeutig als Beschimpfu­ng intendiert ist.

Öffentlich­e Kritik an der neuen Regierungs­maßnahme gibt es im autoritäre­n China kaum. In den Staatszeit­ungen wird diese euphorisch gefeiert. „Fangruppen sind ein derart geschlosse­ner Kreis, dass Zweifel oder unterschie­dliche Ansichten über die Idole nicht erlaubt sind. Junge Fans glauben, dass ihr Star perfekt ist“, heißt es etwa in einem Artikel der „Global Times“. Der Propaganda­zeitung fiel offensicht­lich die unbeabsich­tigte Ironie nicht auf: Jene Kritik lässt sich nämlich wortwörtli­ch auch auf den absurden Persönlich­keitskult gegenüber Staatschef Xi Jinping ummünzen.

Der starke Führer des Landes ist seit dem neuen Schuljahr nun auch höchst offiziell Unterricht­sfach für die Jugend. Dort heißt es in einem der neuen Lehrbücher für die Kinder des Landes: „Wir alle lieben unser Mutterland zutiefst. Wie Großvater Xi sagte, ist Patriotism­us das grundlegen­dste und beständigs­te Gefühl der Menschen. Es ist die Quelle unserer Tugend.“

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Androgyne Popkünstle­r zählen zu den größten Jugendidol­en in China. Die KP-Führung will das künftig unterbinde­n.

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