Das eingelöste Versprechen
Den Schweizern ist ihre Landsfrau Belinda Bencic stets ein wenig fremd geblieben, doch nun tritt die 24-Jährige in die Fußstapfen von Federer, Hingis und Co.
New York/Wien. Gerade als sich die großen Karrieren von Roger Federer und Stan Wawrinka langsam, aber sicher ihrem Ende zuneigen, schreibt ein anderer Schweizer Tennisstar die eidgenössische Erfolgsgeschichte fort. Und zwar einer, mit dem man gar nicht mehr so richtig gerechnet hätte. Belinda Bencic, 24-jährige Ostschweizerin, räumte in Tokio olympisches Gold und Silber ab und ritt auf dieser Erfolgswelle nun auch in New York ein, wo sie bei den US Open souverän in die dritte Runde einzog. Dort wartet auf die Weltranglistenzwölfte heute mit der US-Amerikanerin Jessica Pegula (WTA 25) eine erste bedeutsamere Hürde.
Bencics Saison, die mit einer zweiwöchigen unverschuldeten Quarantäne in Australien, weil es auf ihrem Flug einen Coronafall gegeben hatte, schon sinnbildlich für ihre ganze Karriere begann, war bereits als schicksalhaft ausgerufen worden. Sie stehe endgültig an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem sie das Versprechen ihres Talents langsam einlösen müsse, hieß es in der Schweiz. Und nach Jahren des Auf und Ab lieferte Bencic tatsächlich, ihr Olympiasieg im Einzel plus Silbermedaille im Doppel (mit Viktorija Golubic) katapultierte sie in die Riege der Schweizer Tennis-Ikonen.
Für Bencic eine „Befreiung“, wie sie unumwunden zugibt. „Ich bin total entspannt und befreit, kann die Zeit auf dem Platz wirklich genießen. Denn ich weiß, dass ich nun etwas Großes gewonnen habe. Was jetzt noch kommt, ist einfach ein Bonus“, sagt sie im Schweizer „Blick“.
Als 17-Jährige war Bencic einst auf die Tour gekommen, bei den US Open marschierte sie auf Anhieb ins Viertelfinale. Doch sie wurde immer wieder zurückgeworfen, erst durch Verletzungen, dann auch durch Selbstzweifel. Und über allem hing der große Schatten von Martina Hingis, in dem die junge Eidgenossin eigentlich nur scheitern konnte.
Die Sache mit dem Vater
Bencic stürzte bis auf Platz 318 der Weltrangliste ab (September 2017), wegen chronischer Handgelenksprobleme war die Fortsetzung der Karriere alles andere als gewiss. Und in der Zwischenzeit wurden sie von noch jüngeren Kolleginnen übertrumpft: Iga Swiatek, Bianca Andreescu, Sofia Kenin, Naomi Osaka gewannen unterdessen die Grand-Slam-Titel.
Was die Sache nicht leichter machte: In der Schweiz schlug dem Bencic-Lager immer schon eine gewisse Skepsis entgegen. Das lag vor allem an Vater Ivan Bencic, einem Eishockeyprofi, einst aus der Tschechoslowakei eingewandert, der mit seinem Auftreten und seinen Aussagen nur allzu gut ins Bild des ehrgeizigen Trainervaters passte.
Zwischenzeitlich trennte sich Bencic sogar vom Vater. Sie entwickelte sich zum Profi, versteht die hohen Erwartungen an Schweizer Tennisspieler als Privileg und hatte nicht allzu viel Verständnis für Osakas Medienboykott, so dürfen ihre Aussagen interpretiert werden. Inzwischen ist der Vater zurück im Team. Wie auch ihr slowakischer Fitnesstrainer und Lebensgefährte, Martin Hromkovic, der sie physisch auf ein neues Level brachte. In dieser Konstellation erreichte sie in New York 2019 das Halbfinale, bisher ihre beste Major-Ausbeute.
Doch Bencic ist ihrer Heimat stets ein wenig fremd geblieben. „Wer keinen zweifelsfrei reinen Schweizer Stammbaum hat, der muss noch ein wenig erfolgreicher sein, um nicht nur respektiert, sondern auch geliebt zu werden“, stellte die „Neue Zürcher Zeitung“fest. Mit dem Olympiasieg und einem weiteren Erfolgslauf nun in New York könnte sich das ändern.