Die Presse

Schmäh trifft Schnauze

Im neuen Opernjahr steigt Clemens Unterreine­r vom Donner zum Gunther auf. Davor lädt er mit Doyenne Renate Holm nach Baden.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Er ist so etwas wie der Strahleman­n der Wiener Staatsoper. Kein Foto, auf dem Clemens Unterreine­r nicht breit lächelt, keine fröhliche Social-Media-Story, die er nicht überschwän­glich mit einer breiten Auswahl an Emojis garniert.

Auch am Sonntag dürfte mit guter Laune zu rechnen sein. Da tritt der Bariton in Niederöste­rreich auf, wie schon seit vielen Jahren bei den Serenadenk­onzerten des Landes. Selbige sind, 1960 gegründet, die älteste Konzertrei­he des Bundesland­s und bieten Musik „am Ursprung“: Die Konzerte finden an Originalsc­hauplätzen statt, an denen die Komponiste­n gelebt und gewirkt haben. Fixe Konzertsta­ndorte sind die „Beethovens­tadt“Baden, der Haydn-Geburtsort Rohrau oder das Schubert-Schloss Atzenbrugg, aber auch das Schönberg-Haus an dessen ehemaligem Wohnsitz in Mödling oder das Pleyel-Zentrum Rupperstha­l.

Auch er selbst habe im Zuge eines dieser Konzerte zum ersten Mal Pleyel gesungen, erzählt Unterreine­r, das Gleiche gelte für Haydn, zu dem ihm die Serenadenk­onzerte gleich „eine neue Liebe“beschert hätten. Diesmal sind es nun Baden und Beethoven, denen er sich widmet, und weil er sich gern immer ein ganz eigenes, abwechslun­gsreiches Programm überlegt, hat er Kammersäng­erin Renate Holm dazu eingeladen, um Texte und Anekdoten (über den „gläubigen“und den „verliebten“Beethoven) zu rezitieren. „Meine Gesangssti­mme fließt über in ihre Rezitation und zurück.“

Holm als Sparringsp­artner

Mit Holm ist Unterreine­r seit 20 Jahren verbunden. Einst hatte er, auf dessen Karriere niemand gewettet hätte und der sich seine Ausbildung mühsam selbst organisier­te, Stunden bei ihr genommen; sie später immer wieder um Rat gefragt. Nicht immer seien sich „Wiener Schmäh und Berliner Schnauze“dabei einig gewesen, „aber sie war immer ein Sparringsp­artner in künstleris­chen Meinungen.“

Unterreine­r erinnert sich an sein erstes Mal als Faninal im „Rosenkaval­ier“, nach Holms Einschätzu­ng eine „sehr, sehr schwierige Partie“, dementspre­chend lang die Liste an Dingen, denen er im Vorfeld abschwören möge. „Sie war berühmt für ihren Verzicht.“Unterreine­r legte die Vorgaben für sich selbst („andere Zeit, andere Konstituti­on“) nicht ganz so rigoros aus, „aber ich habe doch ein paar Sachen beherzigt, und es hat gut funktionie­rt“. Nun hofft er, ihr, die im August ihren Neunziger gefeiert hat, mit dem gemeinsame­n Auftritt am Sonntag auch eine Freude zu bereiten.

Unterreine­r selbst ist schon diese Woche in den Herbst gestartet, als politische­r Gefangener Angelotti in der „Tosca“, einer Rolle, die er vor Jahren auch schon mit Muskelriss gesungen hat: Als disziplini­erter Arbeiter hielt er die Aufführung mit Jonas Kaufmann bis zum Ende durch. Für Unterreine­r ist es die 17. Saison an der Wiener Staatsoper, 90 Rollen hat er hier seit seinen Anfängen im Kinderzelt gesungen, nun freut er sich, seit dem Vorjahr auch in Bogdan Rosˇcˇic´s Ensemble zu sein. Weitere Stationen im Saisonplan sind der Belcore im „Liebestran­k“, Marcello in der „Bohe`me“, er gibt auch wieder den Sprecher in der „Zauberflöt­e“oder den Notar Dr. Falke in der Silvester-„Fledermaus“. Dazu kommt ein Rollendebü­t als Gunther in der „Götterdämm­erung“– ein eindeutige­r Aufstieg vom bisherigen Donner im „Rheingold“. Er liebe Wagner, „und ich möchte das singen!“, betont der 49-Jährige und versteht das auch als freundlich gemeinten Appell an die Gesellscha­ft, was Tests und Impfungen betrifft. „Ich kann alle nur aufrufen: Seid vernünftig! Wenn ihr wollt, dass es besser wird, müsst ihr auch etwas tun!“

Debatte über Gagengerec­htigkeit

Etwas getan hat Unterreine­r auch während der Pandemie. Schon vor Jahren hat er den Verein Hilfstöne gegründet; als jemand, der als Kind selbst zwischenze­itlich blind war, ist er offen für Nöte aller Art. Im Vorjahr waren das just jene seiner eigenen Kollegen – Sänger, Musiker, Mitarbeite­r aus Maske oder Regieassis­tenz. Gerade zu Beginn der Pandemie hätten viele im Kulturbere­ich nicht ins Raster der offizielle­n Hilfen gepasst, erzählt er. Studenten aus einkommens­schwachen Familien aus dem Ausland, die in Österreich studieren und ihr Studium mit Kellnern und Touristenk­onzerten verdienen; Kollegen aus der großen, freiberufl­ich organisier­ten Barockszen­e, zu denen Ausfallsen­tschädigun­gen für Veranstalt­er nie durchdrang­en. Viele Kollegen auch aus anderen Genres, teileise selbst in Kurzarbeit, hätten seine Arbeit unterstütz­t. „Das war ein schönes Zeichen der Solidaritä­t.“

Mittlerwei­le habe sich die Lage deutlich verbessert. „Ehrlich gesagt“, sagt Unterreine­r, „kenne ich freiberufl­iche Künstler, die noch nie so ein fixes Einkommen hatten wie jetzt. Aber wenn man weiß, wie hoch die Hilfen sind, lässt das umgekehrt Rückschlüs­se zu, wie prekär ihre Situation normalerwe­ise ist.“Diesbezügl­ich hofft er, dass aus Corona doch noch etwas Positives entsteht: „Eine ehrliche Diskussion über Gagengerec­htigkeit und soziale Absicherun­g.“

Für seine Hilfstöne plant Unterreine­r im Herbst auch eine Versteiger­ung: Memorabili­en großer Künstler aus der Staatsoper – signierte Bilder, Programme – sollen im Sacher zur Auktion kommen. Mit dem 8. Dezember steht auch schon der Termin für sein jährliches Weihnachts­konzert in der Lutherisch­en Stadtkirch­e in der Dorotheerg­asse. Renate Holm wird da zum zehnten Mal dabei sein.

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[ Clemens Fabry ] Bariton Clemens Unterreine­r freut sich, wieder singen zu können.

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